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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

plötzlich eine laute Stimme vom Vorplatz an sein Ohr schlug und ihn eilig dem Ausgang zuschreiten ließ.

„Mein gewöhnliches Zimmer Nummer 20,“ hatte die kurze Forderung gelautet.

„Nummer 20 ist bereits vergeben,“ entgegnete der Portier; „Fräulein Paloty –“

„Dann geben Sie mir ein anderes Zimmer des Lora-Flügels,“ befahl der neue Gast.

„Bedaure unendlich,“ entschuldigte der Portier; „aber die ganze Beletage des Lora-Flügels ist von Fräulein Paloty und ihrer Mutter bestellt, welche heute –“

„Nun, so gebeu Sie mir irgend ein Zimmer,“ unterbrach ihn der Fremde ungeduldig, „und lassen Sie mich mit Ihrem Fräulein Paloty in Ruhe. Arnold, so bringe doch die Pferde in den Stall,“ kommandirte er auf den Hof hinaus, wo sein Diener mit offenem Munde einen Zug von Pferden, geführt von englischen Reitknechten, einpassiren sah.

„Herr Hauptmann, die Prachtthiere gehören alle einem Fräulein Paloty,“ erwiderte Arnold ganz verblüfft.

„Marsch,“ befahl sein Herr, und Arnold kam schleunigst dem Befehl nach.

Der Hauptmann drehte sich auf dem Absatz herum.

„Blachrieth!“ rief er mit einer Stimme, die hallend Vestibüle und Korridore erfüllte, und schüttelte dem Freunde, der mit leisem, überlegenen Lächeln auf sein ungebundenes Gebahren schaute, herzhaft die Hand. „Mußte mich der Teufel reiten, daß ich gerade heute nach dem entfernten Forstort ging! Ich bin spornstreichs Deiner Fährte gefolgt, als ich Deine Karte vorfand. Aber nun laß mich das versäumte Mittagsessen nachholen.“

Die Freunde kehrten in den Speisesaal zurück, und nachdem der Hauptmann Hut und Reitpeitsche abgelegt hatte, rief er mit kurzen Kommandoworten nach Speise- und Weinkarte, während Heino die Zeit benutzte, noch einige poetische Gedanken in sein Taschenbuch einzutragen.

Bevor sich Georg in die Suppe vertiefte, erklärte er kurz und bündig seine Anwesenheit auf seinem Gut.

„Bald nach der Rückkehr von unserer gemeinschaftlichen Reise in Italien starben rasch hinter einander meine Eltern, wie ich Dir seiner Zeit gemeldet habe. Das Gut Aufdermauer ist nie von einem Pächter bewirthschaftet worden, das Leben eines Officiers in Friedenszeiten kannte ich zur Genüge, so nahm ich meinen Abschied und gedenke meinen eigenen Kohl zu bauen. Eine Aussicht, im Ernst losschlagen zu dürfen, ist doch nicht vorhanden. Vielleicht haben meine Jungen einmal mehr Glück als ich.“

„Hast Du Söhne?“ fragte Heino verwundert.

„Nein, noch nicht,“ erwiderte Georg. „Aber so viel steht fest: der Aelteste übernimmt einmal das Gut, die Andern werden alle Soldaten, die Großen Grenadiere, die Kleinen Husaren. Wir werden sie schon brauchen können.“

„So bist Du oerheirathet?“ erkundigte sich Heino ganz perplex. „Mit wem?“

„Mit Niemand,“ antwortete abermals Georg. „Aber ich gehe stark damit um, mir eine Frau zu nehmen. Nun! Und in welcher Würde habe ich Dich zu begrüßen? Denn Deine Staatsexamina sind ja wohl längst absolvirt.“

Heino schüttelte das goldbraun umlockte Haupt.

„Längst habe ich eingesehen und auch Mama überzeugt, daß es ein beklagenswerther Irrthum war, als ich das trockene Studium der Rechte zu meinem Lebensberuf erwählte. Ich wandte deshalb dem Jus für immer den Rücken und zog mich auf mein Gut zurück.“

„Du wirst auch Landwirth? Das freut mich,“ rief Georg. „Darauf wollen wir anstoßen.“ Und er füllte zwei grüne Römer mit Johannisberger.

Aber Heino schüttelte abermals den Kopf.

„Ich habe dort nur meiner Muse gelebt, indem ich die Eindrücke meiner italienischen Reise poetisch verwerthete. Als dann meine Gedichte druckreif waren, brachte ich mit Mama einige Wintermonate in der Residenz zu. Ich habe dort viel Freundlichkeit erfahren, und es wurde mir die Gnade zu Theil, in einem auserlesenen Cirkel bei Hofe eine Auswahl meiner Gedichte vortragen zu dürfen. Ich konnte nach so viel Aufmerksamkeit nichts Anderes thun, als mein Werk der Frau Erbprinzessin widmen, und erhielt dafür den Hausorden.“

Eine nachlässige Bewegung seiner marmorweißen Hand nach dem blauen Bändchen im Knopfloch begleitete die leicht hingeworfenen Worte.

„Ich gratulire,“ schaltete Georg ein. „Kellner, wo bleibt mein Fleisch mit Gurken? Nun, wie ging die Geschichte weiter?“ Und er sah Heino auffordernd an.

Dieser war ein wenig nervös zusammengefahren bei der prosaischen Unterbrechung. Aber er sprach gern von dem, was seine Muse ihm zuflüsterte, und so überwand er seine aufsteigende Empfindlichkeit und fuhr fort:

„Als der Frühling ins Land kam, zog ich wieder von dannen, um neue poetische Anregung zu suchen. Denn wie sollte ich in unserem Dörfchen Stoff zu einer Dichtung finden?“

„Na,“ meinte Georg nachdenklich, „ich verstehe freilich nicht viel davon; aber Auerbach hat seine berühmten Geschichten von einer Dorfgasse aufgelesen.“

„Er hat eben das Glück gehabt, in einer poetischen Umgebung zu leben, unter einem Volke, dessen Eigenthümlichkeiten das Publikum interessiren,“ bedeutete ihn Heino und sah fast beleidigt aus über das blinde Glück des Dorfgeschichtenerzählers. „Ich dagegen habe in Wochen die einzige stimmungsvolle Stunde in der Walpurgisnacht auf dem Brocken verlebt.“

„Wie?“ rief Georg. „Die Fahrt hättest Du den alten Weibern überlassen sollen. um die Zeit hast Du ja keine Christenseele zur Gesellschaft gehabt.“

„Mein Gesellschafter laßt sich allerdings schwerlich mit diesem Namen bezeichnen,“ entgegnete Heino. „Bei Schierke und Elend erwartete mich sein Geist; er zeigte mir die Felsennasen, die man die Schnarcher nennt, und ließ mich am Ilsenstein der Eule ins Nest schauen. Er hieß Goethe,“ schloß er mit tiefer Neigung des Hauptes.

Georg rückte unruhig hin und her.

„Na ja, den ‚Faust‘ von Goethe kenne ich. Aber was hast Du zu Stande gebracht?“

Heino nickte gewichtig.

„Mein Ohr öffnete sich für das Murmeln der Quellen unter den Granitblöcken, für das Rauschen der hinabstürzenden Bäche. Die Sage von der Liebe der Ilse zu Heinrich dem Finkler hatte mich fast festgehalten; aber wenn ich Begeisterung an ihren sprühenden Wasserfällen schöpfen wollte, brachte sie mich durch ihre Unbändigkeit, mit der sie den Brocken hinunter poltert, stets auf den Gedanken, daß sie mehr ein wilder Junge als das schöne Liebchen des alten Sachsenherzogs sei. Meine Mama entriß mich meinen Träumereien, indem sie mich nach Hause berief und mir einen Bade-Aufenthalt in Jungbrunnen verordnete, das sie mit meiner Kousine, Fräulein von Grundleben, zu besuchen gedachte.“ Ein leises Lächeln spielte einen Augenblick um seine feinen Lippen. „Sie strebt das Eine an, ich erreiche das Andere. Auf Deinem Grund und Boden tauchte die verführerische Nixe auf, die ich suchte. Du überläßt mir doch das schöne Lora-Weib?“

„Ich liebe Fischschwänze nur blau gesotten auf meinem Teller,“ erwiderte Georg, sich eine Forelle zulangend. „Aber der Fisch ist kalt. Kellner, was ist das für eine Wirthschaft?“

„Ich bitte tausendmal um Entschuldigung,“ bat der Gescholtene. „Es herrscht einige Verwirrung bei uns. Erst heute früh kam Befehl, die Zimmerreihe in Bereitschaft zu setzen, welche Fräulein Paloty –“

„Ich glaube, Sie sind Alle verrückt geworden,“ schnitt Georg ihm die Rede ab und maß ihn mit einem zornfunkelnden Blick. „Gehen Sie mit Ihrer Forelle und Fräulein Paloty zum Teufel und schaffen Sie mir eine ordentliche Cotelette und Bohnen. Nein,“ fuhr er zu Heino gewendet fort, „ich habe kein Recht an die Wasserfrau. Auf der Mauer ist’s stets mit richtigen Dingen zugegangen. Wir haben die Ehre des Nixenverkehrs den Falkenecks überlassen, welche auch jedenfalls mit ihren Rittersporen und dem goldenen Falken im blauen Feld der Lora besser gefallen haben als meine derben Vorväter mit ihrer Mistgabel. Da Du schon die Bekanntschaft der geschwänzten Schönheit gemacht hast, wirst Du auch wissen, daß sie die Stammmutter der Freiherren von Falkeneck sein soll.“

„Die Sage hat mich förmlich gepackt,“ entgegnete Heino mit schwärmerischem Aufschlag seiner braunen Augen. „Sie ist hoch poetisch vom Einzug der schönen Lora an mit ihrem Schatz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_258.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2021)