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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Nur wenige Gäste saßen an der hochzeitlichen Tafel, aber welch echte Fröhlichkeit herrschte! Beim Nachtisch, als schon die Dämmerung herniedersank, brachte Frau Roden mir das gewichtige Schlüsselbund des Hauses, ein wunderfeines Häubchen und eine zierliche funkelnagelneue Geldtasche mit dem Purpurherz darauf. Wie stolz und doch zaghaft nahm ich die Zeichen meiner neuen Würde, wie innig habe ich die Mutter geküßt! Die Frau Oberförsterin aber rief, Fritz müsse mir nun die Haube aufsetzen; und als sie statt des Kranzes mein Haar schmückte, band ich mir scherzend die Tasche um und hakte das Schlüsselbund hinein.

Die Fenster standen offen, Musik schallte herüber und in jeglichem Hause flammten Lichter auf, ein Jubelzeichen deutscher Kraft und Einigkeit. Wir ließen die fröhliche Gesellschaft und gingen durch den wonnigen Sommerabend in den dunklen Garten, Hand in Hand; bei jedem Schritt schlugen leise klirrend die Schlüssel zusammen und läuteten meinen ersten Weg als junge Hausfrau ein. Dann saßen wir unter der Linde und sprachen von allen den Geschehnissen der letzten Jahre und wie es sich nun so wunderbar gewendet.

„Komm, Tone,“ sagte er, „ich weiß hier einen kleinen Eichensprößling, den wollen wir heute pflanzen; sieh, dort drüben, mitten auf dem Rasenplatz soll er stehen, ein Denkzeichen des heutigen Tages.“

Er holte Spaten und Schaufel und grub im Gebüsch das junge Bäumchen aus; er im Bräutigamsfrack und ich im weißen bräutlichen Gewande haben im Abendthau die kleine Eiche gepflanzt. Glückselig uns umfassend standen wir davor. „Möge es wachsen und gedeihen,“ sagte er, „möge Gott den Frieden erhalten unserem Vaterlande und unserem Hause, – denn von allen Lauten, von allen wonnigen Dir wohlvertrauten, kannst Du ein sanfter Wort als Frieden sagen?!“


Aus dem kleinen Schößling ist heute ein stattliches Bäumchen geworden. Es ist mit einem Eisengitter umfriedet und auf einer Tafel das Datum jenes Tages zu lesen, an welchem es gepflanzt wurde. Alljährlich wird dieser Tag gefeiert, in diesem letzten Jahre hat unser Aeltester sogar eine kleine Rede bei der Erdbeerbowle gehalten, die mein Mann unter der Linde auf dem steinernen Tische bereitet hatte.

Es war aber auch ein besonders festlicher Tag! – Zwischen der Mutter und mir saß eine blasse wunderschöne Frau, in reicher Toilette. Und als nun die Gläser zusammenklangen, da wollte jeder meiner blonden Buben zuerst mit der schönen Tante Lotte anstoßen. Sie war gekommen, eine Pathenstelle bei meinem jüngsten und einzigen Töchterchen zu übernehmen, das heute Abend getauft werden sollte –. Wir hatten uns nicht wiedergesehen, und lange hatte ich bitten müssen, ehe sie kam.

Sie war schon seit zehn Jahren zum zweiten Male verheirathet mit einem österreichischen Baron L. und hatte mit ihrem Gatten, der bei der Botschaft in Italien eingestellt war, lange Zeit in Rom gelebt. Kinder besaß sie nicht. Sie war entschieden beunruhigt, als die meinigen sie mit Zärtlichkeiten überschütteten. „Wenn man Kinder nicht gewöhnt ist –“ entschuldigte sie sich.

Am späten Abend, als die Gäste sich entfernt hatten, standen wir in dem Zimmer, in welchem Lotte damals gewohnt, und das auch heute wieder für sie zugerichtet war. Sie sah sich lange um. „Es ist nicht die Spur verändert in Eurem alten Neste, Tone, unten nicht und oben nicht, jedes Möbel steht noch auf dem alten Fleck.“

„Nur daß ich unten wohne und die Mutter oben, Lotte; – früher war es umgekehrt.“

Sie trat zum Fenster und blickte nach dem Schlosse hinüber, dessen weiße Mauern durch die jungen Kastanienblätter leuchteten; und in dem hellen Mondenlicht sah ich, wie mit einem Male ein müder trauriger Zug über ihr schönes Gesicht flog. Ich schlang den Arm um sie. „Ach Lotte, wenn ich nur Eines wüßte – ob Du glücklich bist?“

„Glücklich?“ sagte sie und sah an mir vorüber; „was heißt ‚Glück‘, Tone? Ich habe Alles, was man dazu zu rechnen pflegt, einen Mann, der mich anbetet, soweit der Rennsport ihm Zeit läßt, die ausgesuchteste Eleganz um mich her, die sogenannte Gesellschaft, Theater, Toilette, Equipage, Reisen – ob das Glück ist? Ich bin, glaube ich, nicht fähig Glück zu empfinden –. Aber Du, Tone?“

„Ach Gott im Himmel, Lotte, namenlos glücklich!“

„Man sieht es Dir an,“ flüsterte sie, – „und ihm auch.“

Als sie fortreiste, küßte sie das kleine Lottchen. „Bei Euch ist Frieden,“ sagte sie leise zu mir. Fritz aber stand am Wagenschlage, und mein Jüngster neben ihm mit einem frischen Strauß, darin prangten die schönsten Rosen aus unserem Garten.

„Den schenkt Dir der Vater, Tante Lotte,“ sagte der kleine treuherzige Kerl und reichte ihr die Blumen.

Sie nahm den Strauß und stieg mit abgewandtem Gesicht in den Wagen, und dort ließ sie den Schleier über ihre thränenden Augen fallen.

„Lebe wohl, Lotte!“ riefen wir.

Arm in Arm standen Fritz und ich und winkten ihr nach, die hinausfuhr in das bunte bewegte Leben mit seinem trügerischen Glanz und Schimmer.

Bei uns aber steht die Friedenseiche im Garten, und unsere Kinder spielen in ihrem Schatten; in unserem altmodischen Hause wohnt das Glück.


Noch heute „das geheimnißvolle Grab“.

Neue Studien und alte Erinnerungen von0 Friedrich Hofmann.

Vor dreiundzwanzig Jahren führte ich die Leser der „Gartenlaube“ vor „ein geheimnißvolles Grab“. In den Nummern 19 und 20 des Jahrgangs von 1863 erzählte ich ihnen von einem Menschenpaar oder vielmehr von drei Personen, welche im Jahre 1807 plötzlich in Hildburghausen aufgetaucht waren, ungemeldet und unbekannt und offenbar hohem Stande angehörig. Im eigenen Geschirr angekommen, stiegen vor dem Gasthause zum „Englischen Hof“ am Marktplatz ein Herr und eine tiefverschleierte Dame aus; der Mann, der ihnen in silberbetreßter Livrée Kutscherdienst geleistet hatte, entpuppte sich bald als Kammerdiener und Faktotum der Herrschaften. Die Ansprüche derselben zeigten sofort einen ungewöhnlich hohen Maßstab, aber ebenso die Honorirung für geforderte Leistungen. In kurzer Zeit stand in der kleinen Stadt die Ansicht fest, daß diese Fremden mindestens ein Graf und eine Gräfin sein müßten, diese Bezeichnung wurde bald allgemein, und da von keiner Seite je ein Widerspruch dagegen erfolgte, so erhielt sich dieselbe im Volke fort und ging schließlich auch in die Presse über; auch wir wollen sie, der Kürze und Allgemeinverständlichkeit wegen, beibehalten.

Auffallend wurde bald aber Eines. Hildburghausen war zu jener Zeit noch die Residenz eines herzoglichen Hofes. Wie damals sämmtliche sächsische Herzogshöfe, nicht bloß Weimar und Gotha, sich durch frisches geistiges Leben auszeichneten, wie in Meiningen wenige Jahre früher Herzog Georg mit Jean Paul in traulichstem Verkehr gelebt, in Koburg der edle Prinz Friedrich Josias, der Feldmarschall, einen Anziehungspunkt bildete, so glänzte Hildburghausen durch seine Herzogin Charlotte[1], die durch Schönheit und Geist ausgezeichnete Schwester der Königin Luise von Preußen. Hier wurde besonders die Musik gepflegt, die Kapelle hatte so tüchtige Kräfte, daß Karl Maria von Weber seiner Ausbildung wegen längere Zeit dort wohnte, und die Herzogin selbst wurde von den Kunstrichtern jener Tage als eine der größten Sängerinnen von feinster Schulung gepriesen. Es war ein vielbegehrter Vorzug, die schöne Fürstin in Hofkoncerten oder bei Kirchenmusiken singen zu hören. Mußte man nicht erwarten, daß so vornehme Fremde, welche sich für längeren Aufenthalt einzurichten schienen, vor Allem einem solchen fürstlichen Hofe sich nähern würden?

Vom ersten Tage an hatte man jedoch das Gegentheil davon zu erleben. Herr und Dame beharrten in strengster Abgeschlossenheit von der gesammten Außenwelt. Angeblich der größeren Ruhe wegen zog man erst in ein anderes Haus am Markt, dann aber in ein isolirt stehendes in der sogenannten Neustadt, einer von französischen Emigranten gebauten freundlichen Vorstadt von Hildburghausen. Wie die Lebensweise der drei fremden Menschen in ihrer oft wunderlichen Absonderlichkeit nach und nach ruchbar wurde, wie sie nach drei Jahren (1810) die Stadt verließen, um in dem anderthalb Stunden entfernten, an der Straße nach Koburg liegenden Landschloß von Eishausen dauernde Unterkunft zu finden, und wie dort ihr Dasein, soweit man dasselbe wahrnehmen konnte, sich gestaltete, bis der Tod der Gräfin, noch mehr aber der des Grafen an dem Schleier des Geheimnisses zu zerren veranlaßte, das habe ich in dem ersten Artikel über unsern Gegenstand dargelegt. Erst drei Jahre später, im Jahrgang 1866, Nr. 24, benutzte ich noch einmal meine erste Quelle, Dr. Kühner’s Mittheilungen in Bülau’s „Geheimen Geschichten und räthselhaften Menschen“, sowie meine eigenen Nachforschungen an Ort und Stelle zu einem Rückblick auf die Herkunft und Vergangenheit der

  1. Vgl. „Gartenlaube“ 1863, S. 294, und 1874, S. 454.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_268.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2024)