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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Zu der mich Hoheit befohlen hat,“ verbesserte Weißfisch.

„Meinetwegen! – sondern in meinem Debüt auf der Bühne. Hoheit wird – oder heißt es ,werden‘?“

„Wenn Sie mit Hoheit sprächen, würde es ,werden‘ heißen müssen; in diesem Falle, da Sie von Hoheit sprechen ist ,wird‘ zulässig.“

„Also! Hoheit wird mich doch deßhalb nicht fortschicken, weil ihm etwa meine Nase nicht gefällt?“

Der Mann sah so prüfend auf das genannte Organ, als ob er das Für und Wider der Frage in ernstliche Erwägung ziehe, und sagte dann fast heftig: „Es wäre zu arg!“

„Was?“

„Daß Sie ihm nicht gefielen.“

„Sehr schmeichelhaft; aber, wenn er der kluge Mann ist, für den Sie ihn ausgeben, so wird er doch, falls das Gegentheil einträte – was ich ja selbst nicht zu fürchten keck genug bin – das endgültige Urtheil über mich dem Publikum und der Kritik überlassen. Ich will doch nicht in seinen persönlichen Dienst, sondern auf seine Bühne gehen. Das wissen Sie ein- für allemal: zum Höfling bin ich nicht geschaffen.“

Trotz dieser kecken Reden schlug mir nun doch das Herz, als am Frühabende des folgenden Tages bei einer Biegung der Bahn in dem hügeligen Terrain auf einer grünen Thalmulde, in welche sie eingebettet war, die kleine Residenz mit ihren grauen Häusern und Kirchthürmen und einem massigen Schloß, das, auf einem Hügel gelegen, die Stadt herrisch überragte, vor meinen Blicken auftauchte. Nur für ein paar Minuten, um dann abermals hinter einem höheren Berge zu verschwinden, den die Bahn in mächtiger Kurve umkreisen zu wollen schien, bis der Zug, als sei er die Sache müde, sich nach gellem zornigen Pfeifen in die Nacht eines Tunnels stürzte. Nun kamen wir wieder ans Licht, auch alsbald in ein mit hübschen Villen besetztes Gartengelände, in Mitte dessen der Bahnhof lag. Weißfisch begann das Handgepäck zu ordnen, brauchte aber ganz gegen seine Gewohnheit sehr viel Zeit zu dem einfachen Geschäft und erregte dadurch meine Ungeduld, um so mehr, als er mir gesagt hatte, daß das Hôtel, in welchem wir absteigen wollten, am anderen Ende der Stadt unmittelbar neben dem Schlosse liege, und ich sah, daß die wenigen auf dem Bahnhofe haltenden Einspänner einer nach dem andern mit den angekommenen Passagieren davon fuhren. Endlich war er fertig, und wir betraten den bereits wieder leer gewordenen Perron. Ein Beamter, wohl der Bahnhofsinspektor, gesellte sich, mich höflich, aber stumm begrüßend, zu uns und führte uns, nachdem er einige leise Worte mit Weißfisch gewechselt, durch ein paar sehr stattliche Empfangsräume des Gebäudes, die jedoch mit ihren verhängten Möbeln für gewöhnlich nicht benutzt werden mochten, zu einer Hinterthür, vor welcher eine geschlossene Equipage hielt. Ich war einigermaßen erstaunt, als ich hörte, daß dieser Wagen für uns bestimmt sei; aber Weißfisch schob mich hastig durch die Thür, welche ein Diener geöffnet hielt, der dann auf den Bock sprang. Die Pferde zogen an; ich sah nur eben noch den sich höflich verbeugenden Inspektor. An Gärten und Villen flog der Wagen nun vorüber; rasselte durch ein altes Thor in engere und dunklere Gassen; dann über einen kleinen Platz; abermals durch ein Thor und hielt, wie ich beim Aussteigen bemerkte, auf einem weiten, von hohen düsteren Gebäuden umgebenen Hof am Fuße einer Außentreppe zu einer mit mächtigen, aus Stein gehauenen Wappen gekrönten Spitzbogenthür, aus der, als der Wagen über den Sand des Hofes knirschte, ein Diener getreten war und jetzt die Stufen herabkam. Dieser zweite Diener zu dem ersten, der vom Bock herabsprang; zu beiden Weißfisch, der sich um mich mit dienerhafter Geschäftigkeit bemühte; die im letzten Abendlicht doppelt feierliche Runde der den stillen Hof einschließenden Gebäude von verschiedener Höhe und Form mit ihren weitausladenden Erkern und ragenden Thürmen; die Equipage mit den feurigen Rossen, über deren Pracht ich mich schon auf der Fahrt durch die Stadt im Stillen gewundert hatte – „Was bedeutet dies? wo sind wir?“ raunte ich Weißfisch zu, als wir hinter dem zweiten Diener bereits die Steintreppe hinanschritten, worauf Weißfisch, mit bedeutender Gebärde nach dem Diener, den Finger auf den Mund legte. Mir war zu weiteren Fragen nicht die Begierde, wohl aber vor seltsam bangem Erstaunen, das sich immer mehr meiner bemächtigte und mir bald ein regelrechtes Herzklopfen verursachte, Muth und Athem geschwunden.

So ging es, immer den Diener voran, schweigsam die Außentreppe vollends hinauf, durch die Spitzbogenthür; andere, mit Teppichen belegte Steintreppen empor; über enge Korridore, die mir endlos schienen, und die bald durch das Abendlicht, das durch die Fenster hereinfiel, bald durch Lampen erhellt waren, bis wir vor einer Thür Halt machten, welche der voranschreitende Diener zu einem großen Gemach öffnete, in das wir hinter ihm eintraten. Schweigsam entzündete er eine Anzahl von Kerzen auf verschiedenen Tischen und an den Wänden; verschwand dann in einem Nebengemach, in welchem er dasselbe Geschäft zu vollführen schien, kam alsbald wieder herein, flüsterte ein paar Worte mit Weißfisch und verließ das Zimmer. Ich hatte, mitten in dem Raume regungslos stehend, mit den Blicken den Mann verfolgt, während unter seinen Händen ein Theil des Gemaches nach dem andern: ein Spiegel hier, ein Kamin da, ein Sofa dort aus dem Dunkel – denn die Vorhänge waren geschlossen gewesen – hervortrat. Nun, als er die Thür hinter sich zugwdrückt hatte, erwachte ich jäh aus meiner Versteinerung.

„Um Himmelswillen, Weißfisch, was bedeutet dies Alles?“

Auf dem glatten Gesichte wollte das gewöhnliche freche verschmitzte Lächeln nicht recht gelingen: es war ein gut Theil Verlegenheit darin; und so klang auch seine Stimme ein wenig unsicher, als er nach einer kleinen Pause erwiderte:

„Ich gebe Ihnen mein Wort, ich wußte selbst nichts davon, bis mir der Bahnhofsinspektor sagte, daß ein Hofwagen draußen stehe. Ich hatte die Zimwer in dem Gasthof bestellt, Sie können sich morgen danach erkundigen. Es scheint, daß der Befehl in der letzten Minute gekommen ist.“

„Dann sind wir also –“

„Im herzoglichen Schloß – allerdings.“

„Aber wozu? weßhalb? was soll ich hier? was will der Herzog mit mir? So reden Sie doch, Mann!“

Ich hatte ihn in meiner Aufregung an der Brust gepackt und geschüttelt. Die Verlegenheit aus seinem Lächeln wollte noch immer nicht weichen.

„Lassen Sie mir denn Zeit zum Antworten?“ sagte er. „Und was soll ich antworten? Ich weiß nicht mehr, als Sie. Hoheit haben es so befohlen. Uebrigens ist es im Grunde auch ganz egal, ob Sie sich aus einem Gasthofszimmer zur Audienz bei Seiner Hoheit zurecht machen, oder hier im Schlosse – es ist nur so viel bequemer. Sehen Sie, da kommen Ihre Sachen schon.“

Die beiden Diener trugen meine Koffer herein und auf Weißfisch’s Wink sofort in das Nebengemach, worauf sie sich wieder entfernten, nachdem der eine abermals Weißfisch etwas zugeflüstert, wovon ich nur die Worte: „pünktlich neun Uhr“ deutlich verstand.

„Es ist jetzt halb Neun,“ sagte Weißfisch, seine Uhr mit der Standuhr auf dem Kaminsims vergleichend; „wir haben eben noch Zeit.“

Ich brauchte nicht zu fragen, wozu, da weißfisch mir gesagt hatte, daß ich im Gesellschaftsanzuge, der auch deßhalb wohlverpackt zuoberst im Koffer lag, vor dem Herzog zu erscheinen habe. Er hatte mir außerdem noch gar Vieles gesagt, was bei dieser Gelegenheit von meiner Seite in Beziehung auf Haltung, Rede und Antwort und, ich weiß nicht, auf was noch Alles, zu beobachten sei; ja, er hatte mir die Scene spaßeshalber wiederholt vorgeführt, wobei er abwechselnd mit tollem Uebermuth den Herzog und mich selbst gar ergötzlich darstellte. Aber jetzt waren ihm der Spaß und der Uebermuth vergangen, und seine Mahnungen und Vermahnungen kamen so kläglich heraus, daß ich nun meinerseits in ein lautes Gelächter ausbrach.

„Ei was, Weißfisch,“ rief ich; „der Mann ist doch schließlich ein Mensch wie wir auch. Was kann mir denn passiren, als daß er nicht der Narr ist, einen Narren an mir zu fressen, wie gewisse andere Leute.“

„Und wäre das etwa noch nicht schlimm genug?“ fragte Weißfisch.

Der Mann hatte es so ernsthaft gesagt, daß es mich selber ernsthaft und nachdenklich machte. Er hatte ja Recht. Von dem Ausfall dieser Audienz, von dem Eindruck, welchen der Herzog von mir bekam, und dem Urtheil, zu welchem er nach einer Prüfung, die er mit mir anstellen würde, über meine schauspielerische Begabung gelangte, hing doch mein Schicksal ab und, was mir erst jetzt zum ersten Male schwer auf die Seele fiel, das des Mannes, der sein Schicksal an meines geknüpft, der Alles aufgegeben

hatte, um mir eine glänzende Zukunft zu verschaffen, und,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_273.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)