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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

rasch einige Brocken und flüchtet angstvoll in sein sicheres Versteck zurück. Es gelingt endlich, ihn zum zweiten Male herauszulocken, und den Zugang seines Schlupfwinkels von außen zu verschließen. Als er nunmehr den Wärter mit der Todeswaffe wiederum auf den Käfig zuschreiten sieht, erkennt er, daß er verloren ist. Wie wahnsinnig stürzt er sich auf die Thür des Schlafkäfigs, um sie womöglich zu öffnen; als ihm dies nicht gelingt, stürmt er, alle Winkel und Lücken auf die Möglichkeit zum Entfliehen hin untersuchend, durch den ganzen Käfig, und endlich, keine Möglichkeit zur Flucht entdeckend, am ganzen Leibe zitternd und bebend, wirft er sich verzweiflungsvoll auf den Boden und ergiebt sich willenlos in das Schicksal, welches ihn einen Augenblick später ereilt.

Man wird zugestehen müssen, daß kein einziges anderen Ordnungen angehöriges Säugethier, nicht einmal der von uns seit Jahrtausenden behandelte, gelehrte, unterrichtete, streng genommen geschaffene Hund, ähnlich handelt, wie geschildert. Und dennoch liegt immerhin noch eine weite Kluft zwischen den Hunds- und den Menschenaffen, von welch letzteren ich sagte, daß sie bereits über das durchschnittliche Affenthum sich erheben.


Unter dem Rathhause zu Breslau.

Das Rathhaus in Breslau.

Auf dem „Ringe“ zu Breslau ragt das alte Rathhaus, ein ehrwürdiger, stattlicher Bau empor. Spätgothischen Stils bietet es namentlich auf seiner Ostseite große architektonische Schönheiten. Doch nicht diese sind es, welche seit Jahrhunderten Tausende und Abertausende zu dem Sitze der Väter der Stadt Breslau lockten: auf der Südseite des sehenswerthen Gebäudes befindet sich ein breiter und bequemer Eingang zu einer unterirdischen Stätte, welche Niemand durstig zu verlassen braucht und die in Ostdeutschland weit und breit berühmt ist unter dem Namen „Schweidnitzer Keller“. Dieser bildet für Einheimische und Fremde den stets wirksamen Magnet, denn er ist nicht allein, wie man zu sagen pflegt, ein renommirtes Restaurant, sondern eine altersgraue Schenkstätte, die ihre eigene nicht uninteressante Geschichte besitzt.

Schon im Anfang des 14. Jahrhunderts bestand dieser Keller, ursprünglich nur ein Holzbau, in dem, wie die Chronik meldet, ein sehr guter Wein, das Quart zu 28 Heller (15 Pfennig), verabreicht wurde. Obwohl Rathsherren als Verweser des schweren Kellerweins fungirten, so machte doch dem Rebensafte das Bier frühzeitig eine gefährliche Konkurrenz, und als im Jahre 1392 zum ersten Male das damals berühmte „Schweidnitzer Bier“ den Gästen geboten wurde, trug König Gambrinus über seinen Rivalen Bacchus den völligen Sieg davon. Man nannte den Keller von nun an Schweidnitzer Keller, welchen Namen er bis auf heute behielt, obwohl das Schweidnitzer Bier kaum hundert Jahre lang seine Herrschaft behauptete und anderen Sorten, vor Allem aber dem berühmten „Scheps“, dem vielgepriesenen „Malvasier des Schlesiers“, weichen mußte.

Die alten Biersorten verschwanden und wurden vergessen, aber der Keller, der in den Jahren 1429 bis 1481 massiv ausgebaut wurde, blieb in gleichem Ansehen und lieferte schon in frühesten Zeiten seines Bestehens recht ansehnliche Erträgnisse. So bezog die Stadt aus der Verpachtung desselben im Jahre 1477 nach verbürgten Aufzeichnungen nicht weniger als 3390 Dukaten, und in der Zeit von 1707 bis 1712 betrug der Durchschnittsgewinn 6657 Thaler.

Aus früherer Glanzzeit des Kellers stammt auch das Bild, welches wir nach einem alten Kupferstiche (S. 277) wiedergeben und in welchem uns das Leben und Treiben der lustigen Breslauer vor etwa hundert Jahren vor Augen geführt wird. Man achtete im Keller streng auf Sitte, war er doch ein Ehrenplatz des zünftigen Bürgerthums. Hier hielt man beim guten Trunke Morgensprache, hier trieben die Meistersänger ihr Wesen, und hier wurden die Hochzeitstänze gefeiert. Bemerkenswerth war auch die schwarze, der geistlichen Tracht ähnliche Bekleidung der Schenken, welche erst Ende des vorigen Jahrhunderts in Wegfall kam und an deren Stelle wir heute grüne Livréen mit weißen Knöpfen sehen.

Man trank ehedem hier aus zinnernen Kannen und irdenen Krügen, später aus Yegeln, Glasgefäßen von besonderer Form, welche zwei schlesische Quart hielten. Auch sie sind seit 1783 nicht mehr in Gebrauch. Sie wurden durch unschöne, langhalsige Gläser ersetzt, die später wieder von der „bayrischen Kufe“ verdrängt wurden, die sich bis auf den heutigen Tag behauptet hat.

Ein eigenartiges Nebengeschäft blüht seit altersher in einer engen Nische an der linken Seite der Treppe, das der Würstelfrau. Nach einem alten Herkommen verfügt das „Bäckermittel“ über diesen Raum und bezieht dafür einen beträchtlichen Miethzins. Der Absatz der warmen Würstchen an dieser Stelle ist sehr beträchtlich und erreichte schon an manchen Tagen die Höhe von 1000 Stück.

Der originelle Wandschmuck, der sich im Laufe der Zeit in dem Keller häufte, hat sich zum Theil trotz vielfacher Renovationen bis auf unsere Zeit erhalten. Der „große Löffel“, der von der Decke herabhängt, soll von irgend einem Herzoge für einen im Keller empfangenen Löffel Salz geschenkt worden sein; die an der Wand gegenüber dem Eingange hängende zinnerne Filtrirmütze ist eine Gabe, welche die Zinngießer im Jahre 1636 zu Ehren des Schützenkönigs gestiftet haben, und die Holzfigur in der Ecke rechts (vergl. auch Illustration S. 284) stellt einen Auflader aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts dar. Bekanntlich thaten sich, wie wir auch in Gustav Freytag’s Roman „Soll und Haben“ erfahren, die Mitglieder der Aufladerzunft durch außerordentliche Körperkraft hervor. Das Original unserer Holzfigur soll eine 4 Centner schwere Kiste dreimal um den Ring getragen und jedesmal vor dem Keller gerufen haben: „Ha, ha! Ich bin schon wieder da!“ Eine andere in einem Glaskästchen aufbewahrte Figur, die „Fetzenpopel“, ist in so fern interessant, als sie uns die Schaubentracht der Leichenbitterinnen aus dem vorigen Jahrhundert wiedergiebt. „Fetzenpopel“ heißt so viel wie eine Person, die sich in Lumpen einhüllt. Ein Pendant zu ihr bildet ihr Zeitgenosse, der Bettler

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_283.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2024)