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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ausstattung dort mit dieser hier den Vergleich nicht aushielt. Ich hätte glauben können, in einem mir völlig fremden Raume zu sein, nur daß mich die Nische mit dem Sopha und dem Marmortischchen davor, auf welchem wieder das Ebenholzkästchen mit den widerspenstigen Cigarren, der große silberne Aschbecher und der silberne Leuchter mit der rothen Kerze standen, an gestern Abend erinnerte und den seltsamen Mann, welcher der Besitzer all dieser Herrlichkeiten und ein Herzog war und für Socialdemokratie schwärmte.

Ich hörte ein Geräusch hinter mir. Als ich mich umwandte, trat er eben durch eine schmale Tapetenthür, welche ich vorher nicht bemerkt hatte, im Jagdkostüm: geschmeidigen Stiefeln aus braunem Leder, die ihm bis zur Mitte der kräftigen Schenkel reichten, und brauner Joppe – ritterlicher noch als gestern, aber um mehrere Jahre älter, wie mir schien, und mit etwas wie einer Wolke auf der breiten Stirn und über den Augen, deren gläserne Härte ebenfalls stumpfer war als gestern im Lampenlicht. Dennoch lächelte er, als er mir die Hand reichte und mich fragte, wie ich geschlafen habe?

„Im Volksmunde, Hoheit, sagt man: wie ein Prinz,“ erwiderte ich.

Ich weiß nicht, ob die Antwort nicht förmlich genug war; es ging wie ein Zucken über sein Gesicht, und aus den gläsernen Augen schoß es wie ein Blitz. Im nächsten Moment lächelte er bereits wieder und sagte:

„Nun, zu einem Prinzen kann ich Sie freilich nicht machen; aber doch zu etwas Rechtem, und das vielleicht besser ist. Ich wollte heute Morgen ausführlich mit Ihnen sprechen - ich hatte zu viel Anderes zu erledigen. Nur so viel: bis ich mich entschieden habe, bleibt das Theater in suspenso, und ich bitte Sie, über Ihre schauspielerischen Aspiratronen mit Niemand zu sprechen; hören Sie wohl: mit Niemand, außer mit Frau von Trümmnau, einer Dame, die, wenigstens vorübergehend, zu meinem Hofe gehört und der Sie noch im Laufe des Tages werden vorgestellt werden. Ich habe mit der Dame, die mein volles Vertrauen genießt, über Sie kommunicirt. Sie dürfen annehmen, daß, was sie Ihnen sagen wird, von mir selbst gesagt ist. Außerdem werde ich Sie jetzt beim Frühstück mit Baron von Renten bekannt machen, einem meiner Kavaliere, der hernach mit Ihnen einige Visiten, unter anderen bei Frau von Trümmnau, machen, Sie überhaupt ein wenig auf dem Ihnen fremden Terrain orientiren soll. Sie werden einen charmanten Mann an ihm finden; und ich wünsche, daß Sie ihm Ihr Vertrauen in dem vollen Maße schenken, in welchem er es verdient. Kommen Sie!“

Er schritt mir voran durch eine Thür auf der anderen Seite in den Raum nebenan, in welchem ein runder Tisch mit drei Kouverts gedeckt war. Ein Herr von etwa fünfundzwanzig Jahren, dessen kleiner runder Kopf mit einer üppigen Fülle kurz geschorner blonder Löckchen, wie mit einer Perrücke, bedeckt war, und aus dessen rundem rosigen Gesicht ein paar runde blaue, etwas hervorstehende Augen gar freundlich blickten, trat, sich tief verbeugend, an den Herzog heran, der ihm die Hand reichte und mit halber Wendung zu mir sagte: „Herr Baron von Renten! – Dies, lieber Renten, ist mein junger Protégé, über den ich mit Ihnen gesprochen habe und den Sie ein wenig unter die Flügel nehmen werden: Herr Lothar Franc.“

„Es wird mir eine Freude und eine Ehre sein,“ sagte Herr von Renten, mir die Hand reichend.

Ich verbeugte mich stumm und verlegen, denn ich fühlte, daß mir die helle Gluth in das Gesicht geschlagen war, als der Herzog mich nicht mit dem Namen des Vaters, sondern meiner Mutter vorstellte. Hatte ihm Weißfisch nur diesen Namen angegeben, oder die beiden Namen? und war es im letzten Falle von seiner Seite eine Verwechselung, oder war es Absicht? Durfte ich den mir lieben Namen des Vaters, mit dem ich bis jetzt noch von Jedermann genannt worden war, reklamiren? Mußte ich den andern, der so bittere Gefühle in mir wach rief, nachdem er einmal von den Lippen des Herzogs gekommen, als etwas Unvermeidliches hinnehmen?

Natürlich entschied ich mich für das Letztere, aber über den bangen Zweifeln war mir mein bischen Sicherheit und Unbefangenheit völlig verloren gegangen, zumal mir auch heute der Herzog viel mehr Herzog schien, als gestern: nicht mehr der warmherzige, geistreich-gesprächige Mann, sondern der souveräne Herr, der sich, trotz aller Höflichkeit und seinem: bitte unterthänigst, lieber Renten, die Sache verhält sich so und so – der unermeßlichen Kluft zwischen ihm und seiner Umgebung in jedem Momente bewußt blieb und es ganz gewiß auf der Stelle streng geahndet hätte, wäre es Jemand beigekommen, seinerseits die Kluft zu übersehen. Ja, wenn ich jetzt beobachten mußte, mit welcher Vorsicht Herr von Renten sich im Gespräch bewegte, wie klüglich er seine Worte setzte, wie sehr er sich jeden Augenblick bereit zeigte, eine Behauptung zu modificiren oder ganz zurückzuziehen, sobald er merkte, daß sein Gebieter anderer Ansicht war, und der Keckheit dachte, mit der ich gestern Abend dem hohen Herrn gegenüber getreten war und mit ihm gesprochen hatte, durfte mir wohl der bekannte Reiter über den Bodensee in warnende Erinnerung kommen.

So saß ich stumm da, während die Diener in schier lautloser Geschäftigkeit die Speisen servirten und der Kavalier dem Herzog, der sich zuerst über verschiedene Jagd-Themata erging, bescheiden und geschickt sekundirte. Dann war, ich weiß nicht wie, das Gespräch auf den Krieg gerathen, in welchen Herr von Renten den Herzog begleitet hatte, und plötzlich wurde in irgend einem Zusammenhang der Major von Vogtritz genannt. – „Ein tüchtiger Officier und guter Generalstäbler,“ sagte der Herzog, „bei dem es nur schade um die romantischen Velleitäten ist, mit denen er sich und anderen Leuten das Leben sauer macht. Mir ist das ein Gräuel. Diese Deutschthümelei, in welcher der gute Vogtritz schwelgt, ist doch nur ein Chauvinismus ad usum Germanorum. Sie hat sich nach den Freiheitskriegen breit gemacht und wird sich jetzt wieder breit machen. Damals brachte sie das ungeschorene Teutschthum mit den umgeklappten Hemdkragen auf die Bahn, die dann selbstverständlich in die öde Reaktion der zwanziger und dreißiger Jahre ausmünden mußte. Welche Formen sie heute annehmen wird – nun, man braucht gerade kein Prophet zu sein, um das vorauszusehen. Jedenfalls werden sie alle mit dem Kachet eines gewissen Jemand gezeichnet sein. Nationalitätsprincip! Nun ja, das ist eine schöne Sache, eben so wie, daß jeder Mensch seine eigene Nase im Gesicht hat; aber wenn kein Mensch über seine eigene wohllöbliche Nasenspitze hinauszublicken vermag, so ist das ein schlimmes Ding, denn die nothwendige Folge ist, daß sie fortwährend an einander rennen und sich blutige Köpfe holen. – ,Bohrt Ihr mir einen Esel? – Ich bohre einen Esel!‘ – und der Skandal ist fertig, mag Verona darüber zu Grunde gehen. Nun vielleicht, daß Europa diesen Nationalitätsschwindel durchmachen muß, den Louis Napoleon, mein sehr würdiger Freund, wenn nicht erfunden, doch in die Mode gebracht hat. Er war ja immer der Hecht im Karpfenteich und der stets verneinende Geist, der doch am Ende das Gute schaffen, zum wenigsten schaffen helfen mußte. Es ist damit wie mit den Kinderkrankheiten. Sie sind an sich nicht gut, aber wer sie gründlich absolvirte, hat die Anwartschaft auf ein gesundes Mannesalter. Das Nationalitätsprincip ist und bleibt in meinen Augen Schaukelpferdreiterei, das nicht aus der Stelle bringt. Vielleicht lernt aber der dumme kleine Kerl dabei auf einem wirklichen Pferde sitzen, das denn freilich etwas schwerer zu regieren ist: Lassalle’sche Arbeiterbataillone lassen sich nicht so leicht drillen wie pommersche Rekruten. Aber, Ihr Herren, ich rede mich hier fest, und der Zug wartet schon auf mich. Gesegnete Mahlzeit! Amüsiren sich die Herren besser, als ich es jedenfalls thun werde!“

Er hatte Jedem von uns die Hand gereicht und, mächtig in seinen hohen Jagdstiefeln ausschreitend, das Gemach verlassen.

„Ist er nicht bewunderungswürdig?“ sagte Herr von Renten mit einem starren Blicke der blauen Puppenaugen auf die Thür, durch welche der Herzog verschwunden war. „Und Alles aus dem Handgelenk! Be-wun-derungswürdig!“

Ich blieb stumm, nicht sowohl der Diener wegen, in deren Gegenwart mir dieses Rühmen des Gebieters nicht ganz schicklich schien, sondern weil mir im Geiste nachging, was er von dem Major von Vogtritz gesagt hatte. Romantische Velleitäten! Deutschthümelei! – Reaktion! War’s das? der Schatten, der mir von Anfang an auf dem theuren Bilde gelegen hatte; der in der Zeit meiner Kriegsbegeisterung wohl verbleicht und doch nicht ganz geschwunden und seitdem wieder stärker und dunkler hervorgetreten war? Ich hatte es einen Verrath gescholten, den ich an meinem Ideale beging. Wie aber, wenn die Liebe zu diesem Ideale der wahre Verrath, der Verrath an meinem wirklichen Ideale war? Ich konnte es nicht herausbringen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_288.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2024)