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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

erzählte – das Buch meines Lebens – ein paar Kapitel ausgenommen – offener vor ihr lag, als es wohl jemals vor mir gelegen hatte. Und auch was jene Kapitel betraf, die ich geflissentlich überschlagen, so fiel mir allmählich auf, daß sie aus denselben – der letzten Zeit: von dem Aufenthalt in Nonnendorf an bis zu meiner Flucht – nicht den intimen Zusammenhang, aber doch Manches wußte, wovon ich nicht begreifen konnte, wie sie es wissen könne, bis ich sie zuletzt geradezu danach fragte. Sie erröthete und lachte und wollte nicht recht mit der Sprache heraus, und endlich: „Nun, es ist besser, wenn ich es Ihnen sage. Sie haben in der ganzen letzten Zeit nicht einen, sondern zwei Spione um sich gehabt: einen Oberspion, den Weißfisch selbstverständlich, der in seinem Solde einen Unterspion hatte, einen Geigenmacher – einen gewissen Streben, wenn ich nicht irre.“

„Ganz recht,“ sagte ich, „Ernst Streben. Er hatte von Herrn Israel, der mich großmüthig in meiner alten Stube gelassen hatte, die Parterreräume des sonst leer stehendem Hauses und die Werkstatt des Vaters abgemietet: ein Mensch, dem ich immer sorgsam aus dem Wege gegangen bin, wie er denn auch sonst in der ganzen Stadt verrufen war, obgleich ich ihn freilich immer mehr für verrückt als für schlecht gehalten habe.“

„Und der doch gar nicht so verrüekt sein kann,“ sagte die schöne Frau lächelnd, „wenigstens hat er seinen Auftraggeber, den Weißfisch, so ziemlich au courant gehalten. Ich will Ihnen nur gestehen, Weißfisch hatte schon von Nonnendorf aus an den Herzog geschrieben, daß er ein ausgezeichnetes Theatertalent entdeckt habe, und vom Herzog den Auftrag bekommen, Alles daran zu wenden, daß uns diese Acquisition nicht entgehe. Sie hatten in Nonnendorf Weißfisch auf seine Insinuationen und Lockungen mit einem so entschiedenen Nein geantwortet, daß er vor der Hand abbrechen zu müssen glaubte, bis er zu gelegener Zeit seine Künste wieder spielen lassen könnte. So ließ er Sie denn durch den Streben, mit dem er in seinem vielbewegten Leben früher zusammengetroffen und immer in Verbindung geblieben war, beobachten. Von Ihrem Kriegsfieber hat er wirklich nichts erfahren, oder er würde schon damals einen verzweifenen Versuch gemacht haben, der jedenfalls an Ihrem festen Entschluß, ins Feld zu ziehen, kläglich gescheitert wäre. Dann kam Ihre Verwundung, und alles schien verloren, bis der Streben schrieb, die Sache sei gar nicht so schlimm, dafür aber Ihre Situation der Art, daß er sicher glaube, Weißfisch könne es jetzt wagen.“

„Aber das ist empörend!“ rief ich in keineswegs gespielter Aufregung.

„Ich finde es eigentlich auch,“ sagte die liebe Frau mit einem Erröthen, für das ich bereitwillig den Antheil, den sie möglicherweise an dieser Intrigue gehabt hatte, im Voraus vergab. „Aber was wollen Sie? Wenn der Herzog sich einmal Etwas in den Kopf gesetzt hat, so muß das ausgeführt werden, mag’s nun biegen oder brechen. Und die Lorbeeren, die man in unserer Nachbarresidenz auf dem Theater pfückt, lassen ihn schon lange nicht schlafen, obgleich er die ganze Kunstwirthschaft dort mit dem grausamsten Spott verfolgt. Mit drei oder vier guten Künstlern, wenn ich sie nur hätte, pflegt er zu sagen, wollte ich den ganzen dortigen Blechkram aufwiegen. Nun kommt Weißfisch, dem er unbedingt vertraut, und sagt: ich habe wenigstens Einen. Das Uebrige können Sie denken. Wenn Sie zu den Zeiten jenes Preußenkönigs – wie hieß er doch nur gleich? – gelebt hätten, würden Sie mit Ihrer langen und schlanken Figur vielleicht für die Potsdamer Garde gepreßt sein. Da ist es denn doch besser, daß Sie zu uns gekommen sind. Gelt?“

Und sie streckte mir, nun wieder mit dem alten herzerquickenden Lachen, die kleine feste Hand entgegen, die ich in meiner erregten Stimmung kräftiger drückte, als es meine Absicht war.

„Was ist denn groß an mir gelegen!“ rief ich. „Ich wußte längst, daß mein Lebenslos außerhalb des Kreises gefallen ist, in welchem die Menschen in hergebrachter Weise ruhig und behaglich wohnen, und auf einen Umweg oder Irrweg mehr kommt es nun schon gar nicht an, zumal ich eben in jenem Augenblick keinen Ausweg aus der Verstrickung und dem Wirrsal meiner Lage sah. Nein, das ist es nicht, was mich jetzt bedrückt und quält. Wohl aber die Möglichkeit und, wie mir in trüben Stunden vorkommen will, Gewißheit, daß Weißfisch sich doch geirrt, mich weit übertaxirt, dem Herzog ein Stuck Glas anstatt eines Edelsteines geboten hat, und bei der ganzen Sache nichts herauskommt, als für den Herzog der Aerger, sich getäuscht und nebenbei das schöne Geld zwecklos verthan zu sehen, für mich eine grenzenlose Beschämung.“

Die schöne Frau saß da, in den Schoß blickend und mit ihren Ringen spielend, was, wie ich schon herausgefunden hatte, ihre Weise war, wenn eine schwierige Frage aufs Tapet kam und ihr Nachdenken herausforderte. Sie sah aber dabei nicht eigentlich nachdenklich aus, sondern eher erschrocken und verlegen, wie ein Kind, dem das Kartenhaus eingefallen ist. Nun hob sie die Augen wieder, mit einem Ausdruck, als wenn sie mir etwas abzubitten habe, und sagte mit schüchterner Stimme:

„Ich sehe, ich muß schon versuchen, Sie zu beruhigen; und ich hoffe, daß es mir gelingen wird, wenn ich Ihnen sage, was ich gestern von dem Herzog gehört habe. Er war, nachdem Sie ihn verlassen hatten, noch über zwei Stunden bei mir und hat die ganze Zeit nur von Ihnen gesprochen. Sehen Sie, Sie kennen den Herzog nicht; und wie sollten Sie auch nach den paar kurzen Begegnungen, und wenn Sie der größte Menschenkenner wären. Und auch dem würde der Herzog zu rathen geben. Es kennt ihn keiner, außer – ach! und ich stehe noch oft vor ihm wie vor einem Räthsel, obgleich er mir mehr vertraut, als irgend einem Anderen. Er ist der beste Mensch und der edelste Mensch, wenn er auch leicht aufbraust und zornig wird, sobald die Anderen seine guten Absichten nicht einsehen wollen oder können, was denn leider nur zu oft vorkommt und ihm das Leben verbittert, daß er zu Zeiten ganz oerzweifelt ist und am liebsten mit der Welt gar nichts zu thun hätte. Aber dann braucht ihm nur wieder ein Mensch zu begegnen, der ihm sympathisch ist, und er ist wieder ganz Vertrauen und Zuversicht und kann sich begeistern und schwärmen, wie ein Jüngling. Und sehen Sie, so ist ihm das nun mit Ihnen ergangen. Daß Weißfisch ihm einen guten Schauspieler versprach, war ihm schon ganz recht; aber unendlich viel mehr werth ist ihm, daß er in Ihnen einen jener Menschen gefunden hat, wie er sie braucht, nach denen er sich sehnt, von denen er sagt, daß sie ihm die Jugend wiederbringen, die er das einzige wahre Gluck des Lebens nennt, und um deren Verlust er immer trauert, wenn er auch kein Wort darüber verliert. Nun können Sie sich wohl, oder doch wohl schon eher denken, daß ihm ein solcher Mensch, der ihm das Herz neu belebt, viel zu kostbar und schade für – nun ja, für einen Schauspieler ist. So große Stücke er auf die Schauspielkunst hält, so wenig hoch denkt er von den Schauspielern. Lieber Himmel, er wird wohl seine Gründe dazu haben! Ein gut Theil Eifersucht mag in Ihrem Falle auch ins Spiel kommen: wer möchte denn nicht gern, was er schätzt, möglichst für sich behalten, anstatt es mit aller Welt zu theilen! Mit einem Worte: der Gedanke, daß Sie Schauspieler werden könnten, werden wollten, ist ihm jetzt entsetzlich. Und warum will er Schauspieler werden, hat er gestern einmal über das andere gesagt, wenn er alles mögliche Andere ebenso gut und zehnmal besser werden kann, und was denn doch auch etwas zehnmal Besseres ist! zum Beispiel –“

Die schöne Frau begann das Spiel mit den Ringen wieder, diesmal aber nur für ein paar Momente; dann fuhr sie entschlossen fort:

„Habe ich so viel gesagt, kann ich das auch noch sagen. Aber unter einer Bedingung: Sie müssen mir zuvor Ihre Bismarck- Gedichte recitiren.“

Ich war starr vor Schreck, und zugleich befiel mich in Erinnerung gewisser Bemerkungen gestern Abend aus dem Munde des Herzogs eine schauerliche Ahnung.

„Hat der Herzog – kennt der Herzog –“ vermochte ich endlich zu stammeln.

„Ja, ja!“ unterbrach sie mich. „Der Herzog kennt die Gedichte. Weißfisch hat heimlich eine Abschrift davon genommen und sie ihm gesandt.“

„Das ist wiederum abscheulich!“ rief ich.

„Ganz gewiß,“ sagte sie; „aber geschehen ist nun einmal geschehen. Und der Herzog, obgleich er, wie Sie wissen, ganz anders über den Mann denkt, dessen Namen er, wenn irgend möglich, nicht nennt, sagt, die Gedichte seien nichts desto weniger sehr schön. Ich weiß nicht, warum er sie mir nicht geben will. Also, bitte, bitte, sagen Sie sie mir. Sie kennen sie doch gewiß auswendig.“

„Das wohl,“ erwiderte ich. „Aber einmal kann ich mich jetzt zu dem Inhalt der Gedichte, welche in der Zeit entstanden

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