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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die Lora-Nixe.
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Ein anderes Bild rollte sich auf dem Kurplatz auf. Derselbe war mit Reitern und Equipagen bedeckt. Die Treiber der Maulthiere trugen Fackeln, deren rothes Licht auf die in Plaids und Burnus eingehüllte Gesellschaft fiel.

„Siehst Du Heino nicht?“ fragte Frau von Blachrieth, die durch ihr Nichterscheinen am Fenster eine Demonstration nach außen zu machen suchte.

Es dauerte eine Weile, ehe Hedwig antwortete; dann gab sie mit etwas zitternder Stimme Bescheid:

„Er hob eben eine Dame von einem Schimmel. Jetzt sehe ich ihn nicht mehr. Die Gesellschaft geht aus einander.“

Die Fenster des Kurhauses erhellten sich. Balkonthüren wurden geöffnet; Schatten glitten in den erleuchteten Bogen hin und wieder. Vor dem Lora-Flugel drängten sich dunkle Gestalten.

Im nächsten Augenblick enthüllten sie sich als die Musikkapelle, die zu einer Serenade zusammen getreten war. Das Heine’sche Lied: „Du hast Diamanten und Perlen“, sendete seine schmeichelnden Vorwürfe und Bekenntnisse zu Leonorens Fenster empor.

„Da läßt gewiß Heino der schonen Paloty ein Ständchen bringen,“ sagte Hedwig.

„Ach, Heino soll auch an Allem schuld sein,“ erwiderte unmuthig die Tante. „Ich glaube, da schlägt es schon zehn Uhr. Wenn der Geheimerath, der mich um neun schon im Bett wissen will, diese Nichtbefolgung seiner Verordnung erführe! Mußte denn auch der robuste Hauptmann kommen und mich um eine Stunde Ruhe und vielleicht um den Erfolg der ganzen Kur bringen? Gute Nacht, Hedwig, Du bist gewiß auch todmüde und wirst schlafen wie ein Marmottchen.“

Frau von Blachrieth hatte wieder mit ihren Vermuthungen daneben geschossen. Hedwig war gar nicht müde. Sie stand neben dem Gueridon, auf dem Georg’s Hut gelegen hatte, und zersann sich den Kopf, warum der eben noch so heitere, kecke Mann plötzlich so verändert sich von ihr gewendet haben könnte.

Es dünkte sie, als dufte es wie frischer Wald im schwülen Zimmer. Ein grüner Zweig lag auf dem Boden; es war der Bruch, mit dem heute Morgen Georg nach einem glücklichen Schuß seinen Hut geziert hatte, wie er ihr vorhin, den weidmännischen Schmuck entschuldigend, erzählte.

Sie hob ihn auf und strich mit den kühlen Blättern über ihr heißes Gesicht. Ihre Lippen berührten ihn leise. Sie sah sich erschrocken im leeren Zimmer um und verbarg den Zweig in ihrem Spitzentuch, als sie in ihr Schlafzimmerchen hinüber schlüpfte.

Und Hedwig schlief auch nicht wie ein Marmottchen.




Es wurde in dieser Nacht, die dem St. Johannistag voraus ging, überhaupt nicht viel Ruhe im Lora-Thal.

Droben im Gebirge legten die Bäuerinnen ihren langbärtigen Ziegen neue Halsbänder um, an welchen sie dieselben in der Morgenfrühe, bevor noch ein Sonnenstrahl das Wasser getroffen hatte, in das Bad zu führen gedachten, das für das ganze Jahr vor Krankheit schützen sollte. Drunten im Lora-Grund striegelten die Knechte des Hauses Aufdermauer ihre Pferde, um sie recht schmuck in die heilkräftige Schwemme reiten zu können. Alle Frauen, die hubsch bleiben wollten, stellten Krüge bereit, das alte Heilawac damit zu schöpfen, das alle Fältchen aus dem Gesicht hinweg wusch.

In Jungbrunnen schmückten die Hausbesitzer die Pforten mit Birken, bekränzten die Schiffer ihre Kähne; und selbst der Nixe, die als Wetterfahne auf dem Schifferhaus sich drehte und mit einem Bogen zielte, wurde ein Strauß in die kampflustigen Hände gedrückt.

Längs des Flußufers arbeiteten Feuerwerker mit ihren Raketen und Leuchtkugeln; auf den Bergspitzen schichteteu Waldhüter hohe Holzstöße zu den Freudenfeuern, und auf der Wiese wurde der Platz zu einem Eselswettrennen abgesteckt. Denn der jetzige Pächter der Spielbank wollte den Festtag der Lora zu seinem alten Glanze erheben.

Die geheimnißvolle Mittsommernacht ging ihrem Ende zu. Noch strahlten die Sterne, noch lag Finsterniß in Schlucht und Wald. Aber im Osten lichtete sich schon der Himmel, und die Wellen des Flusses begannen bereits zu schimmern.

Da öffnete sich die Pforte des Gartensaales im Lora-Flügel, und eine weiße Gestalt trat heraus im lose nachwallenden Nachtgewand, das über den thaufeuchten Rasen streifte.

In den Händen trug sie einen Glaskelch und eine Wasserrose.

Barfuß, wie es der strenge Kultus der alten Heidengötter heischte, schritt sie hinab zur Lora.

Leichte Nebel webten über dem Fluß. Sie schwebten dahin gleich einer verschleierten Frauengestalt, die in stummer Klage die Arme ausstreckte. Sie zerflossen und verschwanden wieder in dem Wasser, das vorüber rauschte mit eifrigem Murmeln, als wolle eine Stimme etwas erzählen, wenn nur ein Ohr die Sprache verstünde. Unablässig folgten die Wellen einander.

Jetzt schwammen auch einzelne Blumen heran.

Der schlanke Stengel eines blaßrothen Fingerhutes glitt vorüber, den man auch Frauenhandschuh nennt. Die Spenderin desselben war wohl nicht vertraut gewesen mit der Lora-Sage. Sie hätte sonst diese Blüthen nicht gewählt. Mußten sie doch der Nixe die wehleidige Erinnerung an die längst versunkene Mittsommernacht wecken, wo sie sich unter den Tanz der Menschenkinder gemischt hatte und der Ritter von Falkeneck ihr die blaßrosa Handschuhe raubte und versteckte, ohne die sie nicht wieder in das feuchte Element zurück konnte.

Jetzt schaukelte ein kleines Brot vorbei. Hatte die Lora tückisch ein Menschenkind hinabgezogen, und sollte die Opfergabe, wie das Volk es glaubt, sie bestimmen, die todte Hülle wenigstens zurück zu geben?

Die weiße Gestalt schauderte. Wie mußte es kalt, einsam, freudlos da unten sein!

Ein Kranz folgte mit der nächsten Welle, Dunkelrothe Rosen glühten durch die dämmrige Nacht. Das war wohl ein heißes Herz gewesen, das ihn der Lora übergeben hatte. Sie sollte helfen, sie, die sich selbst nicht lösen konnte von dem ewigen ungestillten Liebessehnen.

Mehr und mehr Blumen schwammen heran. Sie drängten sich. Jede Welle trug eine duftige Gabe auf dem matt silbern schimmernden Kamm. Unzählbar waren sie wie die Wünsche im klopfenden Menschenherzen.

Vielleicht schwamm auch manche Thräne mit in den Wellen und gab ihrem Murmeln den melancholischen Klang.

Und doch war keine unter diesen Spenderinnen so qualvoll bedrückt, von so aufreibender Angst erfüllt als das junge Mädchen, das am Ufer stand mit dem kostbaren Kelch und der Wasserrose in der Hand – wie Leonore.

Was wollte die Sorge bedeuten, mit der die blutrothen Bergnelken, die eben vorüber glitten, droben im Gebirge geopfert worden waren? Sie mochten von dem nußbraunen Mädchen in dem Walddörfchen stammen, das so schöne Erdbeeren nach Jungbrunnen brachte. Mit solchem Federgras band sie auch die Sträußchen ihrer Beeren zusammen. Und die Lora sollte ihr dafür sagen, ob sie der flachshaarige Fischerbube, der sie immer in seinem Kahn mitnahm, noch in diesem Jahre freite. Die Lora wird ein Ja für sie haben; denn was könnte zwischen ihnen stehen? Er kennt das graue Holzhäuschen, in dem ihre Mutter ihr das erste Bettchen mit duftendem Waldheu gestopft hatte. Es ist so ehrenwerth wie seine Hütte im Schilf, dessen braune Wedel seine Ruhepfühle füllen. Die Glücklichen! Sie wußten nichts davon, daß einem Menschenkinde vor der einfachen Frage: „Woher kommst Du?“ bangen kann.

Und die Spenderin des Vergißmeinnichtstraußes dort, den der Flachsfaden zusammen hielt, durfte vollends leichten Herzens ihre Frage an die Nixe richten. Es war gewiß das Töchterlein des Lora-Müllers. Die blauen Blumen wuchsen am Mühlgraben, wo sie mit dem jungen Forstwart schäkerte, während Leonore ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_326.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2021)