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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

mir war sie sicher und ebenso vor dem Herzog, der morgen früh verreiste und sie nach der Scene am Vormittage heute Abend gewiß nicht mehr besuchen würde. Da mochte sie in aller Heimlichkeit Den empfangen, um derentwillen sie sich scheiden lassen wollte. Und dem ihre Thränen geflossen waren, die sie dann so schnell wieder getrocknet hatte, weil sie wußte, daß er auf dem Wege zu ihr war; sie ihn trotz alledem binnen einer Stunde in ihren Armen halten würde: den Russen, den Herrn von Pahlen!

Als hätte das Alles nicht in meinem dunklen Herzen, sondern mit Flammenschrift vor mir auf der schwarzen Waldwand gestanden, war es der eifersüchtigen Seele aufgegangen tausendmal schneller, als Worte es auszusprechen vermögen. Aber ob ich das war, der da hinter dem Fremden her unter den breiten Kronen der Bäume am Rande des Weges hinhuschte, ob ein Gespenst meiner selbst - ich hätte es nicht zu sagen gewußt, so ganz waren alle meine Sinne nur bei der schwarzen Gestalt, die da, jetzt im Schatten, daß sie fast verschwand, jetzt deutlich im Licht des Mondes, vor mir auf dem Wege hinglitt - immer vor mir her - nun an der Mauer, die das Villawäldchen von der Fahrstraße schied; nun an dem höheren eisernen Gitter längs der Bosketts; nun an dem niedrigeren des Vorgartens und, an der Gitterthür angelangt, sich nicht weiter bewegte. Jetzt der Ton der Klingel, sehr vorsichtig, sehr leise - einmal, zweimal. Die Thür sprang auf (sie wurde vom Hause aus geöffnet); - die Gestalt glitt durch die Thür; durch den Vorgarten, in welchem sie aber erst wenige Schritte auf die Verandatreppe zu gemacht hatte, als das Licht im Salon plötzlich sich bewegte - in den nach dem Hintergarten gelegenen zweiten Salon; ich hatte ganz deutlich die Verbindungsthür auf- und zugehen sehen. Inzwischen war die Gestalt durch den Vorgarten bis zur Verandatreppe gelangt. Hier verlor ich sie hinter dem Geflecht des wilden Weines, mit dem die Treppe überrankt war; erblickte sie aber sofort wieder, als sie zwischen den Verandasäulen hinglitt und durch die offene Thür in den jetzt dunklen Salon trat. In demselben Momente hatte ich mich über das Gitter in den Garten geschwungen, mich nach rechts schlagend, wo mir die Bosketts Schutz gewährten. Hier hielt ich still, nicht aus Scham - ich empfand keine, auch nicht die leiseste Regung - nur um das hämmernde Herz ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen und zu überlegen, wie ich bis zu den Fenstern des hinteren Salons gelangen könne, in den Adele geflüchtet war, dort in größerer Sicherheit den Liebsten zu empfangen. Die Entfernung war nur gering; aber die Blumenbeete boten keine Deckung, und den Zugang zu der Thür bildete ein fast aufsteigender Rasenplatz, durch welchen ein mit Blattpflanzen in Vasen besetzter Kiespfad bis zur Thürschwelle führte. Die Thür, hier von Holz, war zu, und das war ein Vortheil für den Heranschleichenden, der nun die Wahl hatte zwischen den beiden Fenstern, je einem zu Seiten der Thür, die freilich, da der Rasenplatz nach rechts und links schärfer abfiel, bereits in ziemlicher Höhe über dem Erdboden lagen. Ich würde, den Fuß auf die schmale Mauerplinthe setzend, mich an dem Fenstersims emporziehen müssen.

Aber das letzte Schamlose wurde mir Gott sei Dank erspart. Die Thür in beiden Flugeln wurde von innen aufgestoßen und sie traten auf die Schwelle. Es mochte sie nicht geduldet haben in dem verschlossenen Raume, die Glütklichen; sie mochten die keusche Nacht und die reinen Sterne haben anrufen wollen zu Zeugen ihres Glückes.

Und so standen sie - die beiden Gestalten scharf abgezeichnet auf dem helleren Hintergrunde des Zimmers - in die Nacht hinein, zu den Sternen aufblickend; sie den Kopf an seine Schulter lehnend, wie vorhin auf die meine; er den Arm um ihren Leib schmiegend, wie ich es vorhin gethan. Und nun hob sie das Antlitz, in welchem ich ihre Augen glänzen zu sehen meine, zu ihm empor; er senkte das seine, sie ganz umschlingend, wie sie ihn.

Die Thür war geschlossen, und nur der Lampe Licht dämmerte durch die Fenster, als der Unglückliche in dem Schatten der Bosketts wieder die brennenden Augen aufzuheben wagte. Und dann schleppte er sich aus dem Garten unter der Doppellast seiner Verrätherschuld die er jetzt in schauerlichster Klarheit ermessen konnte, und seines Leides, dessen grauenhafte Tiefe ihm unermeßlich schien.

7.

Ich weiß nicht, wie ich in das Schloß und auf mein Zimmer zurückgekommen bin, wo Holzbock ängstlich meiner harrte. Der Herzog hatte bereits zweimal anfragen lassen, ob ich noch immer nicht zu Hause sei; er wünsche mich heute Abend auf eine Stunde zu sprechem

Holzhock war davongeeilt, die Nachricht von meiner Rückkunft hinüber gelangen zu lassen. Ich machte mich in aller Eile ein wenig zurecht. Es war durchaus nichts Seltenes, daß der Herzog mich so auf meinem Zitntner besuchte, besonders des Abends, wenn er drüben fürstliche oder andere besonders vornehme Gesellschaft bei sich gesehen hatte, zu der ich niemals gezogen wurde. Ich hatte manchmal das wunderliche Gefühl gehabt, als wolle er mich dann für eine Entbehrung, die freilich nur in seinen Augen eine sein mochte, in den meinen nur eine Wohlthat war, durch eine besondere Gunst entschädigen. Jedenfalls war er niemals munterer und liebenswürdiger, als in solchen Stunden, in denen es mir wahrlich oft schwer fiel, mich daran zu erinnern, daß der Mann da vor mir auf dem Sofa, der so endlos Cigarren rauchte, die ihm im Eifer der Rede immer wieder ausgingen, und dazu Wasser mit Kognak nippte (nur um sich die Zunge im erfrischen, denn er war im Essen und Trinken die Mäßigkeit selbst.) daß dieser Manne der über Gott und die Welt seine Gedanken mit dem höchsten Freimuthe eines Künstlers oder Gelehrten aussprach, ein Herzog und gebietender Herr sei.

So waren mir diese Besuche immer ein kleines Fest gewesen; heute sah ich seinem Kommen schaudernd entgegen. Er pflegte unter zwei Stunden nicht zu gehen, und ich fühlte mich zum Tode erschöpft, wollte ich auch an meinen Seelenzustand gar nicht denken. Es würde eine fürchterliche Qual werden. besonders wenn er, was ich zuletzt am „Thomas Münzer" unter seiner Einwirkung fast nach seiner Angabe geschrieben, zu hören verlangte. Ich wußte, daß ich nicht die Kraft dazu haben würde. Sollte ich nicht versuchen, mich mit Unwohlsein zu entschuldigen? Es wäre keine Lüge gewesen; aber bei Hofe durfte man ja nicht unwohl sein, sobald der Dienst es anders verlangte. Und da kam auch schon Holzbock athemlos zurück: Hoheit folge ihm auf dem Fuße.

Es währte in der That nur noch wenige Minuten, als ich bereits seinen schweren und etwas unregelmäßigen raschen Schritt hörte. Einen Blick aus mein geisterhaft blasses Gesicht im Spiegel, einen zweiten nach dem Tische vor dem Sofa, wo die Kognak- und Sodawasserkaraffen mit dem Glase auf dem silbernen Präsentirteller und daneben die Cigarrenkiste mit dem Aschbecher zwischen den beiden dreiarmigen Leuchtern regelrecht standen, und er trat herein, während Holzbock, der ihm die Thür geöffnet, und der Kammerdiener, der ihn hierher begleitet, auf dem Korridor blieben: er liebte es, die kleinen Dienste, die etwa im Laufe eines solchen Abends nöthig wurden, sich von mir leisten zu lassen. So mischte ich ihm denn als er in seiner Sosa-Ecke Platz genommen und sich das Kissen unter den Arm geschoben hatte (die Lehne war ihm etwas zu niedrig.) sein Glas, bot ihm die Cigarre, deren Spitze bereits abgeschnitten sein maßte, und setzte mich auf seinen Wink ihm gegenüber, im Kampfe mit einer halben Ohnmacht, die mich für den Rest des Abends das Schlimmste befürchten ließ.

O dieser Abend. Wie oft habe ich später seiner denken müssen mit Schaudern des Entsetzens, in Erinnerung der Qualen, die ich während desselben erduldet, und tiefster Wehmth, eingedenk, daß es der letzte war, welchen ich mit ihm verleben durfte, der, wie er von sich zu sagen pflegte, etwas Besseres verdient hätte, denn als Fürst geboren zu sein, und dessen Andenken mir ewig theuer bleiben wird - trotz alledem!

Ich erinnere mich nicht genau, worüber er im Anfang sprach. ich sollte meinen, es waren Theaterangelegenheiten, die ihm gerade jetzt viel Aerger bereiteten. Einige tüchtigere Kräfte hatte man verloren, weil der Etat mit den immer sich steigernden Gage-Anforderungen nicht Schritt halten konnte; ein paar neue Engagements waren nur als Nothbehelfe zu betrachten; die trostloseste Saison stand in Aussicht, wenn man sich nicht Knall und Fall entschloß, die so schon ein kümmerliches Dasein fristende Oper ganz und gar aufzugeben, was wieder des Publikums wegen sein Bedenkliches hatte. Es war ein Glück für mich, daß diese Dinge seit

Wochen das ständige Thema der Kavaliertafel gewesen waren; so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_333.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)