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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Erinnerungen an den Dichter des „Ekkehard“.

(Fortsetzung und Schluß.)


Scheffel’s Wohnhaus auf der Mettnau bei Radolfzell
Originalzeichnung von R. Püttner.

Im Jahr 1852 endlich waren die väterlichen Bedenken gegen das zweckwidrige In-die-Welt-hinauslaufen beseitigt, und dem nach Kunst und Schönheit Schmachtenden öffneten sich Italiens Herrlichkeiten. Rom und Neapel durchwanderte Scheffel und streifte darauf mit dem schon früher in Berlin gewonnenen jüngeren Freund Paul Heyse am Strand von Sorrent und Capri umher. Eine schöne Epistel in des Letzteren „Neuen Gedichten“ erwähnt auch voll Sehnsucht jener Zeiten:

„Lieber alter Freund, gedenkst du
Unsrer Sorrentiner Tage,
Da wir in der Rosa magra,
Jener billigen, bescheidnen
Künstlerherberg’ alten Stiles,
Treulich hausten Thür an Thür?

Du, von Capri erst gelandet,
Da wir kaum in rothem Landwein
Uns den Willkomm zugetrunken,
Gabst des Säkkinger Trompeters
Erst Kapitel mir zum Besten,
Frisch gedichtet in Paganos
Palmenschatten; ich dagegen
Ließ dich sehn die Arrabiata
Kaum noch von der Tinte trocken ...“

Unter italischer Sonne war dem Meister Josephus plötzlich sein Poetenberuf aufgegangen, und die Erinnerungen der oberrheinischen Amtsstadt zusammen mit dort gemachten historischen Studien klangen nun in den Versen aus, die frisch und kräftig, voll herzerfreuender Heiterkeit, wenn auch nicht allzu formvollendet in die bisherige Amaranthschwärmerei hinein fielen und den Namen des jungen Autors in kurzer Zeit durch ganz Süddeutschland trugen.

Zwei Jahre später saß derselbe wieder mit einem Freunde, dem allzu früh geschiedenen Maler Anselm Feuerbach, in italischer Landschaft, diesmal im Kastell Toblino am gleichnamigen See. Seine dortigen Erlebnisse hat Scheffel 1856 im „Frankfurter Museum“ (herausgegeben von Creizenach) äußerst anmuthig und humoristisch erzählt.

Es ist charakteristisch für seine Eigenart, daß ihm der längere Aufenthalt in Italien bei aller Liebe zur südlichen Landschaft, die er später sich so oft zeichnend vor die Seele zurückrief (vergl. Illustration S. 341), keine dichterische Verklärung italischer Menschen gezeitigt hat. Er sah sie, ungerührt von der malerischen Außenseite, mit demselben kritischen Auge an, womit etwa ein Gefolgsmann des Rothbarts die welschen National-Eigenthümlichkeiten mochte betrachtet haben, und der Ausspruch des Alten in der Heidenhöhle (Ekkehard): „Aber nach Welschland muß gerannt werden, als säß in den Bergen hinter Rom der große Magnetstein. Ich hab’ oft darüber nach- gedacht, was uns in die falsche Bahn gewiesen – wenn’s nicht der Teufel ist, kann’s nur der gute Wein sein!“ – er entstammte einem althistorischen Span in der Seele seines Autors. Denn für dessen Augen waren die vergangenen Jahrhunderte nicht todt, er stand wie ein Mitlebender in ihren Ereignissen, die er aufs Genaueste kannte, ihm füllten sich die verlassenen Stätten mit lebendigen Figuren, die ihre charakteristische Sprache redeten. Seine Phantasie hatte gleich der Walter Scott’s einen starken Zug zur realistischen Darstellung, und seinem bilderreichen Humor war die derbe Sprache der Vorfahren das willkommenste Ausdrucksmittel. Auch war er der Erste, welcher mitten in die gangbaren süßlichen Verhimmelungen der „Ritterzeit“ hinein der auri sacra fames als Triebfeder der schönsten romantischen Begebenheiten zu ihrem Rechte verhalf.

Eill sehr glücklicher Griff war es, als er, von Italien heimgekehrt, die sanktgallischen Klostergeschichten zur Hand nahm, die der Mönch Rutpert begonnen und der jüngere Ekkehard bis ans Ende des 10. Jahrhunderts fortgeführt hat. Der heutige Leser sieht mit Ueberraschung, wie viele Details aus dem „Ekkehard“ in dieser von Scheffel selbst einer werthvollen Perlenschnur verglichenen Chronik bereits wörtlich stehen, aber er staunt nur um so mehr darüber, was der Dichter zu diesem kleinen Kreise der Klostergeschichten neu geschaffen hat. Es wäre überflüssig, noch ein Wort zum Preise des großen Kunstwerkes „Ekkehard“ hinzuzufügen, das so rasch eines der werthvollsten Besitzthümer unserer Nation geworden ist.

Vater Scheffel söhnte sich auch erst nach dem Erscheinen dieses Buches und seinem stets wachsenden Erfolge mit dem Gedanken aus, daß sein Joseph wirklich für den badischen Staatsdienst verloren sei, und legte Nichts in den Weg, als jener nun den Plan faßte, nach München überzusiedeln in den Kreis hervorragender Menschen, den König Max dort um sich versammelt hatte. Marie, seine Schwester, sollte ihn dahin begleiten. Sie hatte kurz vorher eine übereilt geschlossene Verlobung unmittelbar vor der Hochzeit gelöst und vertauschte gern die engeren Karlsruher Verhältnisse mit der freieren Atmosphäre von München. Alles schien sich dort vortrefflich anzulassen: der feine und interessante junge Poet, die schöne, sehr geistvolle Schwester fanden die zuvorkommendste Aufnahme bei Einheimischen und „Berufenen“. Scheffel wurde sofort zur Mitarbeiterschaft an der unter des Königs Protektorat erscheinenden „Bavaria“ geworben, die Pforten eines reichen Lebens thaten sich mit einer Fülle neuer Beziehungen auf. Aber es waren nur wenige Monate, welche die Geschwister in so reizenden Verhältnissen leben durften: im Februar 1857 raffte der damals in München so heimtückisch umgehende Typhus das schone, lebensfrohe Mädchen in wenig Tagen hin, und Scheffel brach in tiefem Schmerze um sie alle Verbindungen ab und kehrte nach Karlsruhe ins einsame Haus, zu den trostlosen Eltern zurück.

Diese Wendung war, abgesehen von dem persönlichen Verluste, für ihn ein großes Unglück, denn in dem heiteren Münchener Leben, im Verkehre mit so ebenbürtigen Geistern hätte er doch nicht seinen Hang zur Einsamkeit dermaßen ausbilden können, wie er es nun in der Heimath that, wo er die Menschen geradezu vermied. Und ein weiteres Unglück war es für sein litterarisches Schaffen. Zwei große Romane, deren einen er früher am Tobliner See, den andern jetzt in München geplant und begonnen hatte, sind in jener dumpfen und trauervollen Zeit zurückgelegt und später nie mehr aufgenommen worden. „Tizian’s Ende“ hieß der eine, und was sein Mittelpunkt sein sollte, das sagt Scheffel selbst in jenen Unglückstagen:

„Ist es nicht ein Verhängniß, daß ich in München eine Arbeit begann, drin ich allen Glanz einer edlen, jugendschönen, der Kunst zugewandten Weiblichkeit in Gestalt von Tizian’s Schülerin Irene schildern wollte und zu Marien sagte: ,Wenn was Gutes hinein kommt, ist’s von Dir, aber sie muß frühe sterben, die Gestalt meiner Dichtung!‘ Jetzt kommt der Tod und reißt mir mein bestes Leben von der Seite, und ob ich je wieder eine Feder anrühren kann, weiß ich nicht!“

Das Andere sollte ein Wartburgroman werden, ein Werk in großem Stile, dessen Bestandtheile der Hof des Thüringer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_340.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2021)