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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Humor war noch vorhanden, und wir verlebten mit ihm zusammen einen goldenen Septembertag auf der schönen Aussichtswarte des „Taubenberg“, der mir unvergeßlich sein wird.

Das Alleinseinkönnen ist bekanntlich eine scharfe Probe auf den inneren Reichthum einer Menschenseele. Scheffel hielt diese Probe glänzend aus, er saß dort in dem einsamen Waldhaus Monate lang ohne Sehnsucht nach dem Umgang mit Stadtmenschen, versenkt in seine Bücher, vollkommen zufrieden und vergnügt. Mit den umgebenden Bauern stand er vortrefflich, sprach ohne Herablassung mit ihnen und war stets bemüht, ihre Anschauungen und Gewohnheiten sorgfältig zu schonen. Dann streifte er auch wieder Tage lang in die nähere und fernere Umgebung, in die altersgrauen Stifter von Weyarn, Polling und Andechs, ging den Spuren germanischer Götter in den uralten heiligen Figuren nach und traf bei solchen Fahrten auf allerhand unerwartete Funde.

Im Herbst darauf erschien „Frau Aventiure“, aus welcher er uns damals Proben vorgelesen. Die Welt wußte nicht recht, was aus diesem Buche machen, er empfand darüber eine Art von Enttäuschung und schrieb noch später, 1869, ein Jahr nach dem Erscheinen und riesenhaften Erfolg des „Gaudeamus“:

„Als Poet hab ich mit diesem Heidelberger ‚engern‘ Humor eine eigentlich wehmüthige Erfahrung gemacht: mein ernsthaft gemeintes und aus mühsamen historischen Forschungen herausgewachsenes Büchlein ‚Frau Aventiure‘ schleicht seit 1863 durch die Litteratur und bringt’s trotz aller Anerkennung Sachverständiger kaum nach sechs Jahren zu einer neuen Auflage. Die durstigen Studentenlieder aber, welche im Nov. v. J. erschienen, waren mit allgemeinem Halloh! schon im December vergriffen!“

Sie sind freilich verständlicher für die große Menge und in ihrer Art auch ein Unikum: Das Hohelied vom deutschen Durst und Humor. Daß der Letztere indessen nicht das selbstverständliche Erbe aller Deutschen ist, zeigt die kopfschüttelnde Bemerkung eines sehr gelehrten Professors, der da meinte, als ihm das Granit- und Asphalt-Lied zu Gesichte kam: das sei doch eine kuriose Manier, die Geologie zu popularisiren!

Trotz der im Anfang kühlen Aufnahme, welche „Frau Aventiure“ fand, giebt es doch heut zu Tage Viele, die sich gern in die tiefsinnige Schönheit ihrer Lieder versenken und ihren Duft einfangen, wie die Blume alten Rheinweins. Manches steht auch darin den alten Meistern zugeschrieben das des Dichters eigenes Herz in Schmerz und Freude bewegte, ebenso wie das Trompeterlied: „Das ist im Leben häßlich eingerichtet“ existirte, ehe der „Trompeter“ geschrieben war. Aber an dergleichen Dinge ist Angesichts des frischen Grabes nicht zu rühren, und es wäre auch kein Schaden, wenn sie dem Spürsinn künftiger Litteraturhistoriker auf immer verborgen blieben. Scheffel selber war mit Allem, was sich auf seine Herzens-Erfahrungen und -Enttäuschungen bezog, so streng zurückhaltend, daß nicht viel Kunde davon existiren wird.

Scheffel auf einer Fußreise am Hohentwiel.
Nach einer Zeichnung von Anton von Werner.

Die nun folgenden Jahre wohnte Scheffel dauernder in Karlsruhe und wurde umgänglicher gegen die Karlsruher, als er dies früher gewesen. Die Freundschaft mit dem jung aufstrebenden A. von Werner wurde ihm zur Lebensfreude, und Poet und Maler vereinigten sich zu gedeihlichem Schaffen. Die illustrirten Ausgaben von „Gaudeamus“, „Trompeter“, „Frau Aventiure“ entstanden rasch nach einander, und es steht zu hoffen, daß Werner, der schriftgewandte Künstler, seine Erinnerungen an jene Tage festgehalten haben wird. Aus späterer Zeit stammt die Zeichnung, welche wir in Holzschnittreproduktion wiedergeben. Sie ist gelegentlich eines Besuches Anton von Werners bei Scheffel im Jahre 1882 auf einem Ausfluge, den die beiden Freunde zusammen nach dem Hohentwiel machten, entstanden.

1865 endlich hatte er den Schritt gethan, den seine Mutter schon seit lange so sehnlich gewünscht, indem er sich mit Freiin Karoline von Malsen, einer geist- und anmuthvollen Dame, verheirathete. Allein beide Naturen stimmten so wenig zusammen, daß schon nach kurzem Bestand der Ehe eine Trennung eintrat, die bis acht Tage vor Scheffel’s Ende andauerte, wo die so lange von seinem Hause Ferngebliebene zurückkehrte, um ihm den letzten Trost einer vollen Versöhnung zu gewähren. Die Mutter erlebte diese Trennung nicht mehr, sie schied im Bewußtsein des Glückes ihrer Kinder und ließ dem tief gebeugten alten Mann allein die Sorge für den geistesschwachen Sohn Karl, den dritten der Geschwister, welcher den Vater noch um mehrere Jahre überleben sollte.

Das Kind seiner kurzen Ehe, den blonden Knaben Viktor, erzog Scheffel im elterlichen Hause und zog mit ihm im Sommer an den Bodensee, wo er sich auf der vorspringenden Landzunge der Mettnau bei Radolfszell ein stattliches Haus erbaute und unermüdlich war, diesen Besitz immer zu vergrößern und zu verschönern.

Die stumpfen Klippen des Hohentwiel und Hohenkrähen stehen über der Landschaft, und der Erstere ist neuerdings ein vielbegangener Berg geworden. Scheffel erzählte mir, als wir vor einigen Jahren mit einander hinaufstiegen, von der Verzweiflung des alten Wächters, der, nur eingeübt auf die Erzählung von der tapferen Vertheidigung des Kommandanten Widerhold im Dreißigjährigen Krieg und vom Fall der Veste im Jahr 1800, sich nun plötzlich von den zahlreich heraufkommenden Reisenden bestürmt sah um Auskunft über die Herzogin Hadwig, den Ekkehard und den Kämmerer Spazzo. Endlich aber erfuhr er auch, in welchem Buch das Alles geschrieben stehe, kaufte sich das Buch und legte sich als verständiger Custode die Lokalität zurecht. „Und sehen Sie, Herr Doktor, wenn sie mich jetzt fragen, wo die Hadwig gewohnt hat, dann zeig’ ich ihnen den Thurm dort, und wenn sie die Linde im Burghof sehen wollen, führ’ ich sie unter selbigen Quetschenbaum, da sind sie ganz zufrieden. Aber Ihnen vergeß’ ich’s nicht, daß Sie mir mit dem Buch eine solche Unmuß’ gemacht haben!“

Die Jahre zogen ihren Gang, und Scheffel’s Name wuchs zu einer Nationalcelebrität. Auflagen um Auflagen seiner Bücher wurden vergriffen, die Autographensucht schrieb tonnenweis unnütze Briefe an ihn, um Antwort zu erpressen, Reporter erschienen und „interviewten“ ihn, er schloß sich solchen Bestrebungen gegenüber immer hartnäckiger ab. Es kam der fünfzigste Geburtstag im Jahr 1876, wo Fürsten und Volk von Deutschland wetteiferten, sein Haupt mit reichen Ehren zu bedecken. Der Großherzog verlieh ihm den erblichen Adel, und Viktor von Scheffel, wie er mehr und mehr in Büchern und Zeitungen genannt wurde und, dem allgemeinen Druck nachgebend, sich schließlich selber nannte, er fügte das neuverliehene Wappen über das Portal

seines Hauses der Mettnau ein, sprechend: „Man muß nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_343.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2021)