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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Was will das werden?

(Fortsetzung.)


Es war dem Herzog fast schon zur Gewohnheit geworden, daß er sich bei diesen Zusammenkünften ein oder das andere Gedicht, welches inzwischen bei mir entstanden, vorlesen ließ, um seine Bemerkungen daran zu knüpfen, die manchmal zu förmlichen ästhetisch-poetischen Exkursen wurden. Ich pflegte mir zu dem Zweck ein paar Sächelchen zurecht zu legen, von denen ich hoffen durfte, daß sie ihm gefallen würden. Heute stand mein Sinn ganz anders. Es war wie eine Tollheit über mich gekommen, ihm zu widersprechen, ihn zu reizen, ja mehr: ihn zu zwingen, den störrisch-widerspänstigen Menschen fortzuschicken, fortzujagen womöglich noch in dieser Stunde, auf der Stelle.

„Ich hätte Eurer Hoheit nur eines aufzuweisen,“ erwiderte ich, scheinbar ruhig, trotz des furchtbaren Herzklopfens, das mir den Athem zu benehmen drohte, „und ich fürchte, Eure Hoheit würden das eine keineswegs hübsch finden.“

„Da ich bei Ihnen sicher sein darf, daß es nicht de mauvais genre ist – ein genre, das, wie Sie wissen, ich ein für allemal nicht goutire – heraus damit! Wo steckt es?“

„Ich kann es Eurer Hoheit auswendig sagen,“ erwiderte ich.

„Desto besser. Ist es lang?“

„Nein.“

„Also!“

Er lehnte sich in die Sofa-Ecke zurück. Ich holte noch einmal hastig Athem und recitirte, ohne zu stocken und ohne die Augen von ihm zu verwenden, der die seinen, als aufmerksamer Hörer, halb eindrückte:

„Nie neidet’ ich dem Hirschen seine Schnelle;
Nie wünscht’ ich mir des Löwen wucht’ge Krallen;
Und selbst im Traum ist mir nicht eingefallen,
Zu prunken in des Panthers buntem Felle.

Den Armen war ich stets ein Gutgeselle;
Auch mied ich nicht des Reichen Marmorhallen;
Wenn fromme Leute zu den Tempeln wallen,
Verengt’ ich ihnen nie die heil’ge Schwelle.

So laß’ jedwed’ Geschöpf ich gerne gelten.
Nur ein’s, gesteh’ ich, macht mein Herz beklommen:
Der Herrscher Existenz und sondre Rechte.

Und doch unbillig wär’s, darob zu schelten,
So lang’ neun Zehntel, die zur Welt gekommen,
Sich wohlig fühlen als gebor’ne Knechte.“

„Bravo!“ rief der Herzog.

Ich starrte ihn erschrocken an.

„Das ist vortrefflich,“ fuhr er lebhaft fort; „Alles rund und klar, mit schönem Rhythmus der wohlgebauten Verse, die in vollen Reimen rein ausklingen. Auch das scheinbar bedeutungslose Vorspiel der ersten Strophe, das sich dann in der zweiten schon vertieft, bis in der dritten das Thema schnell und kräftig einsetzt, um in der vierten mit nicht minder kräftiger Ironie abgethan zu werden – es ist wirklich mit das Beste, was Sie in letzter Zeit gemacht haben. Und wie à propos der Inhalt zu unserem abgebrochenen Gespräche über den ,Münzer’! Ja, cher ami, merken Sie denn gar nicht, welche Waffe Sie mir mit diesem Sonett gegen Sie in die Hand geben? Kann man die ,Existenz der Herrscher’ und ihre ,sondren Rechte’ fester stabiliren, als auf dem Umstand, daß neun Zehntel aller Geborenen geborene Knechte sind? Sie räumen das ja selber ein. Nun, und neun Zehntel, die ohne Herrscher nicht leben können, werden wohl das eine Zehntel, das ohne dieselben fertig werden zu können glaubt, majorisiren dürfen! Dagegen kann doch der eingefleischte Demokrat nichts einzuwenden haben. Ich gebe Ihnen mein Wort: in dem Augenblicke, wo die Sache umgekehrt liegt, und unsere neun Zehntel Ihre neun Zehntel geworden sind, bin ich der Erste, der den, welcher seine fürstlichen Herrlichkeiten auskramen wollte, aufs Schafott oder ins Irrenhaus schickt. Bis dahin –“

Er brach ab, hielt nachdenklichen Blickes die ausgegangene Cigarre in das Licht und fuhr dann, leiser und mehr mit sich selbst, als zu mir sprechend, fort:

„Bis dahin, fürchte ich, wird noch viel Wasser bergab laufen. Ich sage: fürchte, denn im Grunde meines Herzens gehöre ich zu Ihrem einen Zehntel, und wäre ich nicht auf einem Throne geboren, würde ich ein fanatischer Revolutionär geworden sein, ja auch auf dem Throne, wäre der Thron hoch genug gewesen, daß sich das Revolutioniren der Mühe verlohnt hätte. Dennoch habe ich es versucht. Was ist mein Lohn gewesen? Des Thoren Lohn, der zusehen muß, wie nun hinterher Schlauere jene neun Zehntel, die ich aus ihrer stumpfen Lethargie wecken und zur Freiheit begeistern wollte, mit dem Mohnsaft von Macht und Ruhm – ah bah!“

Er hatte die Cigarre in den Aschbecher geschleudert und sich erhoben.

„Da schwätzt man die Mitternacht heran, und ich muß morgen so früh heraus. Ich möchte Sie eigentlich mitnehmen, um Sie auf andere Gedanken zu bringen; aber an dem leidigen Berlin würden Sie auch keine Freude haben. Ich will Ihnen einen andern Vorschlag machen. Laufen Sie einmal, während ich weg bin, in meinen lieben Bergen herum! Das wird Ihnen gut thun. Sie sehen verzweifelt blaß und angegriffen aus. Sie können ja den Holzbock mitnehmen, oder Sie gehen auch meinetwegen allein. Aber gehen Sie. Und kommen Sie wieder mit rothen Wangen und Augen, die fröhlich in die Welt und nicht in Jedem, der das Unglück hat, als Fürst geboren zu sein, gleich einen Tyrannen sehen, zumal wenn er es so herzlich gut meint, wie ihr unterthänigster Diener mit Ihnen – Sie Brausekopf, Sie!“

Er hatte mir bei den letzten Worten die Wange sanft mit der Hand gestreichelt, die er mir nun mit lässigem Drucke reichte.

Dann war ich allein, verstört auf die Thür blickend, durch die er gegangen war.

So mag ein Gefangener auf die Thür blicken, die der Kerkermeister hinter sich abgeschlossen. Der dumme Teufel hatte wirklich versucht, die goldenen Ketten abzustreifen. Für diesmal war es ihm nicht gelungen.


8.

Am andern Morgen war der Herzog bereits fort, und das Ränzelchen, das er mir noch herübergeschickt mit dem Bemerken, er habe es selbst als junger Mensch durch den Wald getragen, hatte Holzbock, den ich zu Hause lassen wollte, bereits sorgfältig gepackt, als mir ein Briefchen von Adele gebracht wurde:

„Lieber Trauter! Sei so gut und komme sofort zu mir! Ich habe Dir etwas mitzutheilen, wozu ich gestern nicht den Muth hatte und woran das Glück meines Lebens hängt, das Du in Deiner Hand hast, die viel mächtiger ist, als Du ahnst. Ich darf dem Papier nicht mehr anvertrauen, wie ich Dich denn auch bitte, Niemand wissen zu lassen, daß Du zu mir gehst. Aber so viel mußte ich schreiben, weil ich fürchte, daß Du mir zürnst und auf eine nicht unterstrichene Bitte nicht kommen würdest.“

Ich fand in meinem Herzen nicht die Kraft, ihr jetzt schon wieder unter die Augen zu treten; ich fühlte, daß ich mich verrathen würde. So nahm denn der Bote, ihr alter treuer Diener, die Antwort zurück:

„Ich kann nicht kommen. Der Herzog schickt mich auf acht Tage in den Wald. Der Befehl ist bündig; ich muß gehorchen. Auch würde ich jetzt, wo die Leute auf mein Fortgehen warten, ohne Aufsehen zu erregen, Dich nicht besuchen können.“

Nach einer halben Stunde brachte der Mann ein zweites Billet:

„Nun wohl! Es ist vielleicht besser so. Im Walde wirst Du Deine Liebe zu mir wiederfinden. Halb, wie sie jetzt ist, kann ich sie nicht brauchen: sie würde das Geheimniß, das ich ihr anzuvertrauen habe, nicht verstehen. Also Dein ganzes Herz! Deine volle Liebe! Und: auf Wiedersehen in acht Tagen.“

Im Walde wirst Du deine Liebe wiederfinden! Aber hatte sie mich denn verlassen selbst in dem schauderhaften Moment, als ich den fremden Mann in ihren Armen sah? Und ob mein Herz in Eifersuchtsqualen zuckte, war es nicht wieder die Liebe zu ihr, aus der ich den Muth schöpfte, dem Herzog zu trotzen und für die Tochter an sein Vaterherz zu appelliren, wenn ich auch den Vaternamen nicht aussprechen durfte? Er hatte mich wohl

verstanden. Dann erst, als dieser Appell kein Echo in seinem

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