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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 21.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Lora-Nixe.

Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)

Am andern Morgen erschien Ravensburgk frühzeitig am Brunnen. Er war mit außergewöhnlicher Sorgfalt gekleidet, trug eine Rose im Knopfloch und hatte die röthlichen Bartspitzen in zwei horizontale Linien gedreht. Die Badekapelle in ihrem mit vergoldeter Kuppel gedeckten Pavillon hob eben ein neues Musikstück an.

„Die Ouverture zum ‚Tannhäuser‘ von Richard Wagner,“ sagte achselzuckend Baron Pölz. „Warum spielen sie nicht ein Ballet aus ‚Wilhelm Tell?‘“

„Wie kann man von dem Revolutionär etwas aufführen?“ bemerkte Frau von Tromsdorf. „Fifi verabscheut Wagner.“

„Und diesen hirnverrückten Wirrwarr, der gegen die Gesetze des Generalbaß verstößt, nennt man Zukunftsmusik!“ schalt der Professor einer musikalischen Akademie.

„Ueberall zerbrochene Ketten,“ sprach Ravensburgk, aufmerksam zuhörend. „Wenn es wahr ist, daß in erleuchtete Geister die Zukunft ihr Bild vorauswirft, so stehen wir vor einer großen Wende der Zeit.“

Ein alter Intendant, der hauptsächlich Ausstattungsopern aufführte, schüttelte den Kopf. „Ich denke, das gesunde Urtheil unseres Publikums wird diesen mittelalterlichen Unsinn verwerfen.“

„Wenn es nicht eher die tanzenden Nonnengeister und mädchenanbeißenden Vampyre verwirft, um sich dem Tannhäuser zuzuwenden, der wie Ahasver, Don Juan und Faust die Jahrhunderte überdauert,“ entgegnete Ravensburgk. Und beklommen setzte er hinzu. „Zweifelhaft ist nur, ob sich immer eine Elisabeth findet, die Erbarmen mit dem armen Gestrandeten fühlt.“ Er ging grüßend weiter.

Während er scheinbar ziellos den Weg zum Lora-Ufer hinab schlenderte, überflog sein scharfer Blick den einsamen Pfad, der dasselbe entlang führte. Jetzt sah er durch die Blätter der Silberpappeln und Weiden ein rosenrothes Schirmchen schimmern.

Mit lautlosem Schritt trat er näher und stand neben Hedwig, welche an dem Geländer lehnte und den Wellen nachschaute, die in den Lora-Grund hinabrauschten. Sie seufzte tief.

„Warum seufzen Sie?“ fragte er mit seiner klanglosen Stimme.

Sie fuhr ein wenig zusammen. Dann antwortete sie aufrichtig: „Ich wollte, ich wäre daheim.“

„Man muß nicht zu viel auf einmal verlangen,“ verwies Ravensburgk mit halbem Ernst, während er mit ihr weiterging. „Der ist schon glücklich zu preisen, der überhaupt ein Daheim hat.“

„Ein Heim kann sich jeder Mensch gründen,“ entgegnete Hedwig, „wenn er

Neckereien.0 Nach dem Oelgemälde von Alexander Rontini.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_361.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2020)