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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Er kam gerade an das letzte Boskett, um hinter demselben mit anzusehen, daß Ravensburgk Hedwig’s Hand innig drückte und so weich zu ihrem empor gerichteten Antlitz niederlächelte, wie er es dem spöttischen verlebten Mann gar nicht zugetraut hätte.

Er drehte sich abermals auf dem Absatz um und eilte mit langen Schritten davon. „Satteln! wir reiten nach Haus,“ befahl er seinem Reitknecht, der eben beschäftigt war, abzusatteln. Ein paar Minuten später sprengte er seinem Haus Aufdermauer wieder zu. Was half es ihm nun, daß seine Vermuthungen in Bezug auf das Verhältniß Hedwigs zu Heino richtig gewesen waren? Er hatte zu lange Zeit gebraucht, um darüber ins Klare zu kommen. Hedwig hatte sein Fortlaufen übelgenommen, Ravensburgk war täglich von früh bis spät mit ihr zusammen gewesen, und diese verwirrte Frau, die ihn aus seinem Himmel vertrieben hatte, fand sich nun ganz leicht in die anderweitige Verheirathung der Nichte. Er hätte mit dem Kopf gegen seine Weinterrassen rennen mögen.

Nach und nach kam ein düstrer Trotz in ihm zur Herrschaft. Nun, wenn sie so einen Jeden nimmt, kann ich mich auch trösten, murrte er, während sein Pferd langsam zu seinem Haus emporstieg.

Erst als Hedwig sich wieder vollständig gefaßt hatte, kehrte sie zu der Tante zurück. Sie wollte um Alles in der Welt nicht, daß diese eine Ahnung von dem Vorgang bekam und die Angelegenheit so lange von allen Seiten beleuchtete, bis man nicht mehr wußte, wie dieselbe eigentlich beschaffen war.

„Mein Gott, wo bleibst Du?“ klagte Frau von Blachrieth ganz aufgelöst. „Es wäre mir so erwünscht gewesen, wenn Heino mit seinem Freund den Abend verlebt hätte; aber es kümmerte sich Niemand um ihn.“

Hedwig wurde ganz blaß. „Der Hauptmann? Wo ist er denn?“ und ihre Blicke suchten in dem Menschengewimmel.

„Wie soll ich das wissen?“ erwiderte Frau von Blachrieth ärgerlich. „Wahrscheiulich ist er wieder fort.“

Hedwig spähte in alle Gänge.

Vergebens. Nirgends zeigte sich die hohe Gestalt. War der noch fernher klingende Hufschlag der Galopp des starken Eisenschimmels, den er zu reiten pflegte?

„Wir wollen nun auch gehen,“ fuhr Frau von Blachrieth verdrießlich fort. Dort kommen diese – wie heißen sie doch? Ich will nicht, daß sie sich mir vorstellen lassen, und mag auch Heino nicht in Verlegenheit bringen. Er braucht doch nun einmal ein Modell zu seiner Dichtung. Mein armer Sohn! Er ist übel dran, daß er in seiner nächsten Umgebung nur der alltäglichsten Prosa begegnet.“

Um das vergötterte Kind nicht anklagen zu müssen, verhehlte die alte Dame geflissentlich den wahren Grund ihrer Verstimmung: die Sorge, Heino könne eine Mesalliance eingehen, und rückte mit weiblicher Verschlagenheit die ganze Angelegenheit in ein anderes Licht, wobei noch ein versteckter Vorwurf Hedwig traf.

Diese ging, ohne den Angriff zu bemerken, mit zitternden Knieen nach Haus, sank in einen Fauteuil und schloß die Augen. Es wurde hohe Zeit, daß die Vergnügungsreise, welche die Tante ihr gütig angeboten hatte, zu Ende ging.

„Mein Gott, was fehlt Dir?“ rief Frau von Blachrieth und strich mit ihren nervösen Händen über Hedwige Gesicht.

„Nur ein paar Stunden Ruhe bedarf ich,“ sagte diese sanft, aber entschieden, und zog sich in ihr Zimmer zurück.

Frau von Blachrieth und Leonore waren wie Mond und Sonne. Die Erstere verschwand, wenn die Letztere erschien.

Heino spielte die Rolle des Morgensterns. Er geleitete das aufsteigende Tagesgestirn.

„So heiß es auch ist,“ sagte er, „es hilft nichts, ich muß heute nach Burg Falkeneck. Ich verschob den Ausflug immer wieder, um einen kühlen Tag abzuwarten; aber ich komme nicht vorwärts. Ich muß Anregung, Stimmung sammeln, unmittelbare Eindrücke haben. Ich fühle tief, wie der wirkliche Schauplatz der Ereignisse, wenn er auch in Trümmern liegt, auf meine Phantasie wirken muß. Der Blick auf Wald und Fluß herab wird immerhin ein ähnlicher sein wie der, den der sehnsüchtige Liebhaber, die nixenhafte Hausfrau genossen.“

„Nehmen Sie uns mit,“ bat Leonore. „Ich kenne jedes Winkelchen der Burg und könnte Ihnen eine zuverlässige Führerin sein.

„Welch ein entzückender Gedanke. gemeinsam mit Ihnen an dem Werk zu arbeiten!“ rief er.

Das angeschlagene Thema fluthete weiter.

„Eine Kahnfahrt nach Falkeneck,“ jubelten die Damen.

Heino widersprach entsetzt. Er sehnte sich, endlich einmal mit Leonoren allein zu sein.

Aber die allgemeine Begeisterung ließ sich keinen Damm entgegen setzen. Die Stunde der Abfahrt wurde verabredet.

„Herr von Ravensburgk, werden Sie auch von der Partie sein?“ rief Baron Pölz dem Vorüberschreitenden zu.

„Wohin?“ fragte dieser.

„Nach Falkeneck, Herr von Blachrieth sucht Inspirationen,“ lautete die Antwort.

„Wozu?“ fragte Ravensburgk.

„Zu meiner Dichtung,“ erwiderte Heino.

„Warum?“

„Wohin? Wozu? Warum?“ parodirte Leonore. „Bilden Sie sich zum Fragezeichen aus?“

Ravensburgk warf ihr einen nachlässigen Blick unter den tief gesenkten buschigen Brauen zu. „Nein; aus allem Fraglichen mache ich mir nichts.“

„Ich bin an einen Punkt gekommen, wo ich nicht weiter weiß,“ vermittelte Heino.

Ravensburgk’s Lippen umspielte ein leiser Hohn. „Dann würde ich die Sache abbrechen,“ entgegnete er scharf. „Uebrigens begreife ich nicht, was Sie noch hinzudichten wollen. Der Ritter Falkeneck zog, nachdem er erfahren hatte, daß er eine Mesalliance eingegangen war, zu einer Kreuz– und Bußfahrt aus, die Nixe versank. Damit ist die Sache ganz korrekt zu Ende geführt.“

„Vor diesem Schluß graut mir,“ wendete Heino ein. „Ich möchte eine glückliche Lösung für den Konflikt finden.“

Ravensburgk schüttelte den Kopf. „Alle Nixensagen nehmen ein trauriges Ende. Von den Sirenen will ich schweigen, da sie keine deutschen Gestalten sind. Aber Loreley lockt gleich ihnen die Männer mit süßem Gesang ins Verderben, Undine löst sich in einen Bach auf, Melusine kehrt unglücklich in ihr feuchtes Element zurück, und Ilse sitzt, von Heinrich dem Finkler verlassen, traurig in Vollmondnächten auf ihrem Stein. Ganz natürlich! Die Wassergeister stammten zwar von den alten Göttern ab; aber sie waren heruntergekommen, und wer einmal in den Pfuhl hinabgetaucht ist,“ fügte er mit ausbrechender Bitterkeit hinzu, „für den giebt es kein Emporkommen mehr.“ Dann schloß er in wegwerfendem Tone: „Wenn Sie die Sage durchaus anders als bisher beenden wollen, so lassen Sie die Wasserjungfer den Erlkönig heirathen. Dann bleibt das Gelichter unter sich.“




So glänzend und wechselnd die Bilder waren, die in Jungbrunnen sich aufrollten, so unscheinbar und gleichförmig verlief das Leben in Himmelgarten.

Die Schwestern zogen am frühen Morgen aus dem gemeinsamen Schlafsaal, wo die langen Reihen schmaler weißer Betten standen, in den Betsaal, dessen weiß getünchte Wände nur ein Bild des auferstehenden Heilandes schmückte. Das Lied, mit dem sie den Tag begannen, zählte ihnen die Pflichten auf, welche sie zu erfüllen hatten, und sagte ihnen, was eine ledige Schwester zu thun habe, wenn die Frage sie verunruhige, wozu sie in Zukunft berufen sein könne. Die schlichten Schlußverse lauteten:

„Dann überläßt sie sich dem Herrn
Als seine Magd in Allem gern
Und bleibt indeß auf ihren Stand
Gerad und aufrichtig gewandt.“

Und nun begaben sich Alle an ihr Geschäft im Haushalt, in den Schulstuben und den Zimmern fur Handarbeit. Geräuschlos vollbrachte Jede das ihr obliegende Werk. Sie hießen nicht umsonst „die Stillen im Lande“.

Vor ihrem altmodischen verschnörkelteu Schreibpult saß Schwester Jakobine und sah die Schaustücke durch, welche an sie, als Vorsteherin des Schwesternhauses, kamen.

Da verlangte eine Gemeine am Rhein eine Schwester, welche das Abhaspeln der Seidenkokons verstand. Aus Schlesien kam die Anfrage nach einer in der Oekonomie bewanderten, in Thüringen wurde eine Vorsteherin für den Kinderchor gesucht. Auch ein Brief des Missionars aus Grönland war dabei, welcher eine Lebensgefährtin begehrte, die „nach Jesu Ruf und Gnadenwahl bereit war, vereint mit ihm durchs Jammerthal zu wallen“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_363.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)