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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Das Lachen, mit welchem er der Besorgniß in Georg’s Zügen antwortete, fiel diesem schwer aufs Herz. Heino setzte sich nur ein paar Schritte von Dornheim und wendete demselben das Gesicht zu, welches durch eine bleifarbene Blässe, das Zittern der Oberlippe, den unstät flackernden Blick der sonst so schönen Augen entstellt war. Er hatte sich Kognak geben lassen; aber seine Finger waren wie gelähmt, und er griff mehrmals fehl, ehe es ihm gelang, das Glas zu fassen.

Den Spielpächter unverwandt anstarrend, sagte er mit heiserer Stimme:

„Also man besteht darauf, alte edle Namen in den Schmutz zu treten! Es genügt nicht, die Träger auszusaugen, herabzuziehen. Nein, sie sollen auch öffentlich an den Pranger gestellt werden.“

Dornheim horchte auf. Seine Stirn färbte ein leises Roth. Aber nachdem er mit einem Blicke aus seinen halb geschlossenen Augen die berauschte Gesellschaft überflogen hatte, legte er ruhig seine Zeitung hin, trank ohne Hast seinen Thee aus und erhob sich, um zu gehen.

Als er an Heino vorüber schritt, rief dieser mit lauter Stimme den anderen Herren zu:

„Der Spielpächter hat noch abzurechnen mit seinem Kroupier im Kotillon.“

Dornheim war stehen geblieben.

„Da ist nichts mehr zu thun,“ murmelte Georg, die Arme kreuzend.


Mit fahlem Blick sah Heino an Dornheim vorüber, und laut, in schneidendem Tone rief er dem Baron Pölz zu:

„Sie waren falsch unterrichtet über diese Paloty. Sie ist nichts als die Coeurdame eines Kartenkonigs oder –Buben.“

Todtenstille trat ein.

Nur Dornheim war mit einem Schritt dicht vor ihn getreten. Seine Augen sprühten.

„Lügner!“ rauschte es über die schmalen Lippen.

Im nächsten Augenblick sauste Heino’s erhobener Stock nach Dornheim’s Gesicht.

Georg’s starke Faust hielt ihn auf.

„Sind das die Formen,“ rief er, von heißem Zorn überwallt, „in welchen man eine Ehrensache ausficht?“

Damit warf er das Heiuo entrungene Rohr bei Seite.

Heino wurde von seinen Bekannten umringt und aus der Konditorei hinaus gezogen.




Am andern Morgen herrschte eine schwüle und doch erregte Stimmung auf der Brunnenpromenade. Die Badegäste raunten sich geheimnißvoll zu; verstörte und schadenfrohe Gesichter schauten unter den grauen Filzhüten, hinter den duftigen Schleiern hervor.

Leonoren’s Name ging von Mund zu Mund.

Ahnungslos erschien sie.

Daß Heino gestern nicht zu sehen gewesen war, hatte sie sich mit dem Abschiedsfest Ravensburgk’s erklärt. Heiter wie immer folgen ihre Augen über die Gesellschaft.

Aber sie empfing nur kalte Grüße.

Die Damen von Gokel traten schnell an einen Verkaufstisch, als sie vorüber ging; sie hörte, daß sie das Wort. „Coeurdame“ murmelten.

Sie faßte Frau von Tromsdorf ins Auge, um sie zu grüßen. Diese wandte ihr den Rücken.

Der Bergrath Müller wandelte an der Seite der Kontesse Schwuggensee vorüber. Sie schien Luft für Beide zu sein.

Frau von Giera fehlte, ein Fall, der noch nicht dagewesen war.

Nur Mister Montagu stellte sich an der Seite auf, ließ sie vorüber passiren, indem er sie, den Mund weit offen, wie immer, mit dreisten Blicken musterte, und Baron Pölz lüftete mit einem zweideutigen Lächeln den Hut.

„Was bedeutet denn das?“ fragte Leonore bestürzt ihre Mutter.

Diese antwortete mit einem Achselzucken.

Leonore sah sich um. Sie musterte die in Gruppen lebhaft sich unterhaltende Gesellschaft, konnte aber die Lösung des Räthsels nicht finden.

„Was liegt denn nur heute Empörendes in den Zügen aller dieser Menschen?“ fragte sie sich. „Wo ist Heino? Wenn er doch käme, mich hielte. Mir ist, als sänke ich tief, tief hinab.“

Da öffnete sich plötzlich die Thür des Lora-Pavillons.

Ein alter Mann in der schwarzen Tracht eines Kammerdieners stürzte heraus; sein weißes Haar flog im Morgenwinde, als er auf sie zu eilte.

Die Befremdung, mit der sie ihm entgegen blickte, verschwand nach seinen ersten athemlos ihr zugeraunten Worten.

Sie stand wie vom Blitz getroffen und starrte ihn an, bis er seinen hastigen kurzen Bericht mit den Worten schloß:

„Vor zwanzig Minuten sind sie Alle in den Höllenschlund gefahren.“

Da hörte sie nicht mehr.

Sie flog durch die verwundert und mißbilligend vor ihr aus einander weichenden Menschen. Sie eilte nach dem Platze, wo die Droschken hielten. Mit raschem Blicke hatte sie die kräftigsten Pferde ausgewählt. Zwei Worte an den Kutscher. Sie stieg ein, und in vollem Galopp ging es dem Höllenschlund zu.

Sie stand im Wagen. Ihre Augen waren starr, gerade aus gerichtet. Wie ein Uhrwerk wiederholte ihr Mund das Wort:

„Schneller! schneller!“

Ihre Glieder bebten wie im Frost, trotz der warmen Sommerluft. Vor ihren Augen lag ein trüber Schleier, trotz der strahlenden Beleuchtung der Morgensonne.

Da jagten sie über die Kettenbrücke. Wie eine riesige graue Schlange wand sich der Nebel über der Lora hin, duckte sich zusammen und bäumte sich auf, wie die Schlange, die zum Sprunge ansetzt.

„Sei ruhig, Du kannst mich noch haben,“ murmelte Leonore mit klappernden Zähnen.

Da sausten sie in den Wald hinein, den sie mit Heino hoch zu Roß durchzogen hatte, in den er – und noch ein Anderer – jetzt vor ihr gefahren waren.

Ringsum glitzerten helle Thautropfen sie an, als bezeichne ein Thränenregen den Weg. Sie drückte die eiskalten Hände an ihre glühende Stirn, sie preßte sie auf das wild schlagende Herz.

„Vorwärts, schneller!“ keuchte sie wieder.

„Die Pferde stürzen, wenn sie noch mehr getrieben werden,“ widersetzte sich der Kutscher, ließ aber doch die Peitsche durch die Luft sausen.

Da tönte schon der Schrei des Raubvogels aus dem Höllenschlund heraus. Kreiste er über einem bereits Gefallenen?

Wie ein zähnefletschender Teufel stieg in ihrem schwindelnden Gehirn die Frage auf: Welchen von Beiden möchtest du preisgeben? Da ist sie am großen Scheideweg.

Seitwärts halten mehrere Wagen. Sie springt aus der Droschke und eilt im Fluge hinab in den Grund.

Da fällt ein Schuß.

Die Kniee brechen unter ihr. Aber sie rafft sich empor. Durch Gestrüpp und Sumpf drängt sie vorwärts. Die Dornen zerreißen ihr Kleid, ihre Hände; das Wasser des Sumpfbodens überfluthet ihre Füße, die, vom einbrechenden Moorboden festgehalten, nur mühsam weiter eilen können.

Jetzt ist die Lichtung des Waldes erreicht. Dort stehen die beiden Männer sich gegenüber. Heino hat die Pistole gehoben.

Der Andere schaut mit furchtlosem Blicke der Mündung der drohenden Waffe entgegen.

Sie will rufen. Die athemlose Brust versagt ihr den Laut.

Da – fällt ein zweiter Schuß. Der Ranch verfliegt.

Heino’s Arm sinkt mit der abgefeuerten Waffe.

Noch steht Dornheim. Im nächsten Augenblick aber wankt er. Seine Hand faßt nach der Seite. Mit einem unterdrückten Stöhnen sinkt er zusammen.

Sie stürzt zu ihm hin.

Aus ihrer athemlosen Brust reißt sich mit wildem Aufschrei ein einziges Wort, das wie der Schlag eines Hammers auf alle Herzen fällt: „Vater, mein Vater!“

Sie kniet neben ihm; sie will ihn aufrichten. Aber ihre Kraft ist erschöpft. Sie sinkt zusammen. Ihre Hände schlingen sich um seinen Hals, ihr Kopf gleitet an seine Brust, über das goldene Haar rieseln die Tropfen des entströmenden Blutes.

(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_383.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2023)