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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ich hatte mich getäuscht. Die Falten von seiner Stirn waren verschwunden, als er jetzt nach einer kleinen Pause ruhig, fast freundlich erwiderte:

„Das klingt Alles recht schön und gut, und ungefähr habe ich dergleichen schon oft selbst gesagt. Sie vergessen nur in diesem Falle Eines. daß in der Wagschale nicht immer gerade Gold zu liegen braucht, oder ein Brennusschwert oder dergleichen rohe Dinge. Daß es wiederum eine Ueberzeugung und ein Herzensbedürfniß sein kann, wie eben in diesem Falle. Zugegeben, Frau von Trümmnau bringt ein Opfer; aber sie bringt es mir - Jemandem, dem sich dankbar zu erweisen, den zu lieben sie sich verpflichtet fühlt. Dankbarkeit und Liebe sind keine sklavischen Gesinnungen, und man darf sie acceptiren, wie ich es thue, ohne sich damit zu einem Tyrannen zu erniedrigen.“

Es war das erste Mal, daß der Herzog seinem Verhältniß zu Adele mir gegenüber einen so unzweideutigen Ausdruck gab, und ich fühlte mich halb entwaffnet. Nur halb: denn auf den heiligen Glanz des Verhältnisses von Vater zu Kind fiel ein dunkler Schatten. Unten im Thal war ich eben durch die Mühle gekommen, in der Eine gewohnt hatte, die für sich selbst auf Liebe und für ihr Kind auf ein Vaterherz Anspruch erhoben hatte und - damit abgewiesen war. Mit der Heiligkeit der Naturbande schien es hier also doch nur mißlich zu stehen. Mich aber fesselte an ihn kein Band, das ich nicht hätte zerreißen dürfen, ohne göttliche und moralische Gesetze zu verletzen. Was denn zögerte ich?

Für den Moment hatte ich jedenfalls schon zu lange gezögert, denn er fuhr, offenbar mein Schweigen für sich deutend, in einem Tone fort, der jetzt fast herzlich klang:

„Sehen Sie, Sie wissen nichts vorzubringen, und ich freue mich, offen gestanden, Sie überzeugt zu haben. Schon deßhalb, weil ich, nachdem dieser Stein des Anstoßes für Sie beseitigt ist, mit Ihnen selbst glattere Bahn zu haben hoffe. Frau von Trümmnau sagt mir, daß Sie mit Hartnäckigkeit daran festhalten, ihr Berhältniß hier zu mir und meinem Hause als ein passageres zu betrachten - als einen Besuch gewissermaßen, den Sie mir auf meine Einladung machen, und der, wie jeder Besuch, einmal sein Ende finden wird. Ich wünsche, daß Sie diese Auffassung fallen lassen. Selbstverständlich sind Sie mir gegenüber vollkommen frei und Herr ihrer Handlungen und Entschlüsse. Daß Sie, wie Sie Frau von Trümmnau gesagt haben, mein Schuldner wären, weil ich Sie aus ihren alten Verhältnissen gelöst und ihnen die Mittel gewährt habe, ein halbes Jahr oder so unter Weißsisch' Leitung die Schauspielkunst zu studiren, ist mit ihrer Erlaubniß falsch. Das Gegentheil findet statt: nachdem ich Sie aus ihren alten Verhältnissen gelöst, habe ich auch die Verpflichtung, weiter für Sie zu sorgen. Das kann auf mancherlei Weise geschehen, und ich habe mir auch bereits einen Lebensplan für Ihre nächsten Jahre ausgedacht und Frau von Trümmnau mitgetheilt, die ganz damit einverstanden ist. Daß wir, Frau von Trümmnau und ich, dabei auf unsere Kosten zu kommen suchen, das heißt: Sie so viel als möglich in unserer Nähe behalten wollen, werden Sie begreiflich finden. Damit genug für heute. Und jetzt gehen Sie auf ihr Zimmer. Auf Wiedersehen in einer Stunde beim Thee!“

Er winkte mit der Hand; ich erhob mich, an allen Gliedern wie gelähmt. Gegen seinen Zorn wäre ich gewaffnet gewesen, gegen seine Güte war ich machtlos. Ach, und er hatte so gütig gesprochen wie noch nie; so wohlwollend, so bittend fast, ohne auch nur einmal den Fürsten durchblicken zu lassen, so ganz nur als ein älterer, reiferer, besorgter Freund! Und da war mir denn, während er sprach, gewesen wie damals, als ich und Fritz Brinkmann unser leckes Boot gegen Strom und Wellen zum Ufer zwingen wollten und es nicht konnten, und endlich die Ruder sinken ließen und sagten: wenn der Wind nicht umgeht, sind wir verloren

Damals ging der Wind um, aber jetzt -

Ich schwankte fast über den Marmorboden nach der Thür, durch die wir eingetreten waren.

„Da kommen Sie in den Park!" sagte der Herzog hinter mir her.

„Ich wollte nur meine Reisetasche holen," erwiderte ich verwirrt.

„Ja so! á propos Reisetasche! Haben Sie das Buch gefunden, das ich ihnen hatte hineinlegen lassend?“

„Ja, Hoheit.“

„Wissen sie, daß es eigentlich ein wenig unfreundlich von Ihnen ist, mir darüber auch nicht ein Sterbenswort zu sagen? Sie haben es ani Ende nicht einmal gelesen?“

„Doch, Hoheit!“

„Oder nicht goutirt. Man schweigt sich doch nicht aus über ein Buch, an dem man Freude gehabt hat. Nun?“

„Was soll ich sagen, Hoheit?“

Ich hatte mich auf seinen Aufruf wieder gewandt, und wir standen uns jetzt, da er sich inzwischen ebenfalls erhoben hatte, einander gegenüber. Aber die herzgewinnrnde Freundlichkeit, die vorhin seine Züge belebt hatte, war völlig verschwunden und hatte einem finsteren Ausdruck Platz gemacht, welcher sich besonders um die Augen koncentrirte, die starr und gläsern auf mich geheftet waren.

„Was sie sagen sollen?" rief er mit unterdrückter Heftigkeit. „Schöne Frage! da darf ich sie wohl in ihrem Sinne beantworten? Der gute Herr hätte besser gethan, die Hände von dem Spiel zu lassen, das er nicht versteht, das nur wir verstehen, wir, die Poeten von Gottes Gnaden! Meinen Sie das? Dilettantenkram! Verse, wie sie Jeder machen kann! Schülerarbeit! nicht werth, einem Meister vorgelegt, von einem Meister beurtheilt zu werden! So sagen Sie es doch! Oder hätte der Herr Poet von Gottes Gnaden nicht einmal den Muth seiner Meinung?“

„Lassen mich denn Hoheit auch nur zu Worte kommen?“

Er biß sich auf die Lippen und aus seinen Augen schoß ein zorniger Blitz.

„ich danke ihnen für diese Lektion," sagte er mit bebender Stimme. „Nun die andere, wenn ich bittem darf!“

Jetzt war der entscheidende Augenblick da. Ich fühlte es bis in den letzten Nerv. Jagte er mich weg, weil ich seine Verse nicht loben wollte, nun, so war die Freiheit, die ich bei ihm genießen sollte, eitel Schein und Lüge; so war es von allem Anderen abgesehen mein Recht und meine Pflicht, dieser Lüge ein Ende zu machen mit Schrecken, wenn es sein mußte, lieber, als das Grauen dieser Lüge endlos weiter zu schleppen.

Er hatte den Platz, auf dem er mir gegenüber gestanden, verlassen und ging mit Schritten, die von dem marmornen Fußboden widerhallten, auf und ab. Ich folgte ihm mit den Augen und sagte mit einer Festigkeit, über die ich mich selbst wunderte:

„Zuerst werden mir Hoheit die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich mich nie für einen Poeten von Gottes Gnaden ausgegeben habe. Ich habe mich für einen solchen in meinem Innern auch noch nie gehalten, und ebenso wenig für einen Kenner in poetischen Dingen, der zu einem Urtheil berechtigt wäre und dessen Urtheil einen Werth hätte. Ich kann nichts geben, als meine subjektive Empfindung, und wenn also Hoheit darauf bestehen, daß ich dieselbe über Ihre Gedichte äußere, so muß ich allerdings sagen - “

Ich kam nicht weiter. Eine schmale Seitenthür dicht neben dem gewaltigen Kamine hatte sich geöffnet und Adele war in das Gemach getreten, eilenden Schrittes auf den Herzog zugehend, der sich in diesem Momente halbwegs zwischen jener Thür und mir befand.

„Was soll das heißen?“ rief er heftig.

Sie antwortete nicht, sondern kam vollends an ihn heran und suchte seine Hand zu fassen, die er ihr entzog.

„Wer hat Dich gerufen?“ herrschte er sie an; „Du weißt, ich liebe dergleichen Ueberraschungen nicht. Oder bin ich nicht mehr Herr in meinem eigenen Hause?“

Sie hatte nun doch seine Hand ergriffen und war, dieselbe festhaltend, an seiner Seite niedergesunken, mit leisen, flehenden Worten, in die sich manchmal ein lauteres Schluchzen mischte, zu ihm emporsprechend, der sich vergebens loszumachen suchte, wobei er fortwährend die blitzenden Augen auf mich gerichtet hielt.

Und während ich, ein stummer Zeuge dieser seltsamen Scene, da stand, kam plötzlich jene wunderlichste aller Empfindungen über mich, daß man das, was da um uns geschieht, schon einmal erlebt hat. In diesem Saale, in welchem jetzt der Abendschimmer längst erloschen war und dessen mächtigen Raum die spärlichen Lampen nur so weit erhellten, daß ein gespenstischer Schein von den weißen Statuen an den Wänden flimmerte, und aus den Wandgemälden, an deren gewaltigen goldenen Rahmen hier und da ein röthlicher Reflex aufblitzte, ein nackter Menschenleib tauchte, oder ein unheimliches Gesicht, wie wenn Jemand durch die Wand herein- und auf mich niederschaute - in diesem Saale war ich

schon einmal gewesen zu eben dieser Stunde. Und den hohen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_386.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)