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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

In China werden dagegen beim Begräbniß nur Papierfiguren als Symbole verbrannt. Dieses billige Opfer ist auch als wirthschaftlicher Fortschritt der Sitte gegenüber zu betrachten, nach welcher bei einem südamerikanischen Volksstamm große Viehherden geschlachtet werden, damit ihr einstiger Besitzer auch im Jenseits Viehzucht treiben könne.

Selbst bei den wildesten Völkern dämmert heute die Ueberzeugung von der Unwürdigkeit und Nutzlosigkeit des Menschenopfers auf, und die Menschenschlächtereien haben in den letzten Jahrzehnten in erfreulicher Weise überall abgenommen. So sind die Tage der abscheulichen Verirrungen gezählt, und die beste Gewähr für die vollständige Ausrottung derselben giebt uns das unaufhaltsame Vordringen europäischer Civilisation in die dichtesten Urwälder und die fernsten Inseln, vor Allem aber die welterobernde Kraft des Christenthums, welches kein blutiges Opfer kennt, zu einem barmherzigen Gott betet und das hohe Evangelium der Nächstenliebe predigt.


Blätter und Blüthen.

Die Markthallen in Berlin. (Mit Illustration S. 389.) Wer in den letzten Apriltagen die Berliner Wochenmärkte durchwandelte, dem ist gewiß nicht der elegische Zug entgangen, welcher über den Bücklings-, Käse-, Gemüse- und Fleischstständen lagerte und melancholisch über die Fischbottiche wehte. Ein Jeder fühlte, daß es zum Abschiednehmen ging. Bisher hatte man im freundlichen Neben- und Durcheinander gehandelt, geliebt, übertheuert und sich wohl auch die Augen ausgekratzt – das war nun fast Alles dahin. Und hielt der Nachbar auch Einzug in der neuen Markthalle, fortan stand man doch räumlich getrennt, Bückling neben Bückling, Kohlkopf neben Kohlkopf. Und wo Kunstbutter ausgeboten werden sollte, mußte dies eine Tafel bezeichnen, reifes Obst von dem unreifen scharf getrennt und gekennzeichnet werden.

Doch es erträgt sich Alles. Anfang Mai hat Berlin seine vier ersten herrlichen Markthallen dem öffentlichen Verkehre übergeben. Mit Ausschluß weniger Mittagsstunden laden die hohen Eingangspforten vom frühen Morgen bis zur Abendstunde die Hausfrauen zum Einkaufe ihrer Bedürfnisse für Küche und Keller ein. Wenn Glockenzeichen und das Aufhissen einer Fahne das Zeichen zur Eröffnung allmorgendlich geben, hat sich bereits während einiger Stunden der Engroshandel abgewickelt.

Von den ersten vier Markthallen: I. in der Neuen Friedrichstraße, II. in der Linden-Friedrichstraße, III. in der Zimmerstraße, IV. in der Dorotheenstraße, ist die erste als die Centralmarkthalle nicht nur die größte, sondern auch vielleicht die stattlichste. So recht im Herzen des alten Berlin gelegen; hart neben dem Bahnhof Alexanderplatz, der Westen und Osten verbindenden Stadtbahn; mitten in einem Netze durch einander kreuzender Pferdebahnen; flankirt von der im Entstehen begriffenen Kaiser Wilhelmstraße als Fortsetzung von „Unter den Linden“, lehnt sie sich zugleich dicht an das Panorama von Sedan, das die Erinnerung jenes glorreichen Tages verherrlicht, von dem aus die Entstehung des Deutschen Reiches und der Aufschwung Berlins zur Welt- und Reichshauptstadt zu rechnen ist.

Ein neues Leben ist seitdem gleichsam für den Marktverkehr erblüht. Wenn auch so manche poetischen Erscheinungen dem Auge verloren gingen, wie sie unstreitig dem bunten, regellosen Marktgewühl eigen waren, was dafür an Ordnung, Sauberkeit, Eleganz und – Bequemlichkeit eingetauscht ist, überwiegt alle poetischen Bedenken. Und eine auf die Ersparniß ihrer Wirthschaftskasse emsig bedachte Hausfrau wäre auch wohl die letzte, welche solche Bedenken überhaupt hegte.

Wie leicht fluthet jetzt der Verkehr in diesen schönen Hallen auf und nieder, durch deren Glasdach der Sonne Licht sich goldig bricht, in welche das Läuten der Pferdebahnen, der schrille Pfiff der Lokomotive, Wagengerassel, das unnennbare Tongewirr einer Weltstadt hereintönt! Mit welchem Wohlgefallen schweift das Auge über die in peinlichster Schlachtordnung aufmarschirten Händler und Verkäuferinnen in der schmucken Umgebung ihrer Verkaufsstände! Wie nimmt sich Alles jetzt noch einmal so einladend aus! Selbst unter den Damen der Halle erscheint jetzt so manche, herausgeschält aus ihren bisherigen Tüchern, befreit von der weit beschattenden strohernen Schaube, liebenswürdiger und liebenswerther. Im Einklang mit der architektonisch künstlerischen Umgebung scheint auch das Wort auf ihren Lippen milderen Sitten sich zu beugen. Der alte Berliner Witz ist ja leider seinem Ende nahe, vielleicht daß auch die Grobheit des Berliner Hökerthums denselben Weg geht. Nur der Heimgang des Ersteren dürfte auf aufrichtiges Bedauern Anspruch erheben können. Und man sehe sich die Fische lustig rudernd in den eleganten Bassins an: der Herrgott verbot ihnen das lebendige Wort, aber auf ihren Gesichtern steht jetzt eine Lebensfreude geschrieben, als dächten sie nimmer an Köchin und Küchenmesser. Es ist Alles so anders ringsum geworden! Nur das mit Kaffee, Schrippen und sogenanntem Kuchen von Stand zu Stand schlurrende alte Weib, das einzige, welchem es auch hier wieder gestattet wurde, ihre unheimlichen Kreise zu schlagen, erinnert noch an die Marktplätze und ihr harmloses, buntes Treiben.

Noch blüht ja der Marktverkehr auf einer Reihe von öffentlichen Plätzen, aber auch seine Tage sind gezählt. Wenn die geplante Anzahl stattlicher Markthallen in allen Theilen der Riesenstadt vollendet sein wird, dann wird das Grabgeläute des letzten Markttages den Beginn einer neuen Aera unseres öffentlichen Handelsverkehrs künden. Dann wird das „Märkische Provinzial-Museum“ seine Pforten weit aufthun, um die letzte fliegende Marktbude, das letzte Marktkostüm wie einen Katalog sämmtlicher Schmeichelworte Berliner Hökerinnen seinen Sammlungen einzuverleiben, als eine denkwürdige Erinnerung für kommende Geschlechter, wie einst das alte Berlin auf seinen öffentlichen Marktplätzen in Handel und Wandel sich den Zeitgenossen offenbarte. A. Trinius.     

Wirbelstürme. (Mit Illustration S. 377.) Am 14. April dieses Jahres um ½4 Uhr Nachmittags wurden die Einwohner des Städtchen St. Cloud in Minnesota von einem jener Wirbelstürme überrascht, welche fast zu den ständigen Naturereignissen des amerikanischen Nordwestens zählen. Diesmal war die Cyklone nicht nur überaus heftig, sondern auch in ihrer Erscheinung höchst eigenartig. Ohne Vorboten, ohne von Jemand aus der Ferne in der Landschaft gesehen zu werden, schoß der Wirbelsturm wie vom Aether herab, um, aufspringend von der Bahn, sich wieder und wieder zur Zerstörung zu senken, bis er aufsteigend verschwand. In St. Cloud zerstörte der Sturm gegen 100 Gebäude und zog von hier nach Sauk-Rapids, einem Städtchen mit ungefähr 800 Einwohnern. Hier scheint seine Wuth den Höhepunkt erreicht zu haben. Zunächst flogen Dächer in die Höhe, dann ergriff die Windsbraut selbst leichtere Häuser, trug sie hundert Fuß weit davon und warf die Trümmer auf die benachbarten Felder; in wenigen Minuten waren ganze Straßenfronten in Trümmerhaufen verwandelt. Ein Bach, der in der Nähe der Stadt fließt, wurde stellenweise von der Cyklone trocken gesogen und der Schlamm seines Grundes in breiten Streifen rechts und links über das Land gespritzt. Außer Sauk-Rapids wurde noch die Ortschaft Benton-County schwer heimgesucht und in Schultz’s Platz eine Hochzeitsgesellschaft unter den Haustrümmern begraben. Die Breite des Wirbelsturmes betrug nur 800 Fuß, die Länge der Bahn etwa 12 Meilen, und doch bezifferte sich der Verlust an Menschenleben allein in den genannten Städtchen auf 74 Todte und über 200 Verwundete. Auch in der alten Welt traten in letzter Zeit Wirbelstürme mit besonders verheerender Macht auf. Am 14. Mai wurde die Stadt Crossen a. O. von einer Cyklone heimgesucht, welche den Thurm der Marienkirche umstürzte, viele Häuser mehr oder weniger zerstörte und auch Opfer von Menschenleben forderte. Wenige Tage vorher meldeten Depeschen aus Madrid von einem starken Sturmwetter, welches in der spanischen Hauptstadt und in der Umgebung derselben große Verheerungen angerichtet hatte. Eine naturwissenschaftliche Erklärung dieses Phänomens findet der Leser im Jahrgang 1885, S. 632 der „Gartenlaube“. *     

Ein neues Vogelbuch von Karl Ruß. Seit einer langen Reihe von Jahren steht der Verfasser des Werks „Die fremdländischen Stubenvögel“ vielen Tausenden von Liebhabern als ein bewährter Rathgeber gegenüber. Durch sein genanntes, mit prächtigen Farbenbildern ausgestattetes Werk, dann vornehmlich durch seine Zeitschrift „Die gefiederte Welt“, sein „Handbuch für Vogelliebhaber“ und sein umfassendes „Lehrbuch der Stubenvogelpflege, –Abrichtung und –Zucht“, war Dr. Ruß bestrebt, auf diesem Gebiete eine ganz neue Richtung ins Leben zu rufen, die nämlich, daß man die Vögel nicht mehr bloß wie in früherer Zeit hält und verpflegt, um sich an ihrem Gesange, ihren schönen Farben und ihrem munteren Wesen zu erfreuen, sondern daß man sie auch züchtet, und zwar sei es lediglich um Freude an der Entstehung jungen Lebens zu haben, oder für wissenschaftliche Zwecke, oder auch zum Erwerb. Nach diesen Seiten hin hat die Vogelliebhaberei in Deutschland in den beiden letzten Jahrzehnten einen staunenswerthen Aufschwung und eine nie geahnte Verbreitung gewonnen. Betrachten wir die Vogelzüchtung mit Einschluß der Kanarienvogel-Liebhaberei und -Zucht vom letzterwähnten Gesichtspunkt aus, so finden wir, daß dieselbe auch bereits einen beträchtlichen volkswirthschaftlichen Werth gewonnen hat. Diese kurzen Bemerkungen mußten wir vorausschicken, um die Aufmerksamkeit der Liebhaber darauf hinzulenken, daß soeben ein neues Buch „Vögel der Heimath“ von Dr. Karl Ruß (Verlag von G. Freytag, Leipzig), ausgestattet mit farbenprächtigen, lebenstreuen Bildern nach Aquarellen von Emil Schmidt, in Lieferungen zu erscheinen begonnen hat. Im Prospekt ist gesagt, daß es eine stichhaltige Naturgeschichte der einheimischen Vögel sein solle, bei welcher nicht zum Mindesten der Werth in den schönen Farbendruckbildern liegt.


Allerlei Kurzweil.

Rebus von Erin.

Auflösung des magischen Problems auf Seite 376: Verfolgt man die Schriftzüge in der Weise, daß man, vom Aufstrich ausgehend, stets den betreffenden Buchstaben derjenigen Querlinie (Zeile) abliest, an welcher der Schreibstrich endigt (sei es oben oder unten), und so die ganzen Schriftzüge durchgeht, so erhält man die Worte: „Aller Anfang ist schwer.“


Kleiner Briefkasten.

J. D. in Zwickau. Herzlichen Dank für die „zur Beschaffung von Fahrstühlen“ übersendete Summe von 10 Mark. Möge Ihr menschenfreundliches Beispiel recht viele Nachahmer finden, denn der Armen und Elenden, die Hilfe heischen, sind gar so viele!

O. S. in Potsdam und B. B. Wir bitten um Angabe Ihrer genauen Adresse, damit wir Ihnen brieflich antworten können.


Inhalt: Die Lora-Nixe. Novelle von Stefanie Keyser (Fortsetzung). S. 377. – Studien nach dem Leben. Von Hermann Heiberg. Gewohnheiten und Unarten. I. S. 384. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 385. – „Kaufen Sie Kornblumen?“ Gedicht von Viktor Brüthgen. S. 387. Mit Illustration S. 384. – Die Neugriechen. Von Eduard Engel (Berlin) S. 388. – Das Menschenopfer und die Grabesnachfolge. Eine kulturgeschichtliche Skizze. Von C. Falkenhorst. S. 390. Mit Illustration S. 380 und 381. – Blätter und Blüthen: Die Markthallen von Berlin. Von A. Trinius. S. 392. Mit Illustration S. 389. – Wirbelstürme. S. 392. Mit Illustration S. 377. – Ein neues Vogelbuch von Karl Ruß. – Allerlei Kurzweil: Rebus von Erin. – Auflösung des magischen Problems auf Seite 376. – Kleiner Briefkasten. S. 392.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redakteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_392.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)