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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Das thut mir um Ihretwillen leid,“ sagte Hedwig, „wenn auch Heino nicht dadurch freigesprochen wird. Ich habe früher besser von Ihnen gedacht und hätte nie geglaubt, daß Sie der Unbeständigkeit das Wort reden würden.“

Georg hatte sich geduldig abkanzeln lassen. Jetzt unterbrach er sie. „Eine Strafpredigt wegen Unbeständigkeit wollte ich Ihnen halten, gnädiges Fräulein. Denn jedes Mal, wenn ich nach Jungbrunnen kam, proklamirte Sie Ihre Frau Tante mit einem Anderen als Verlobte.“

Hedwig sah ihn überrascht an. Jetzt wurde ihr Alles klar.

„Ja, ja,“ sagte Georg, droheud in ihr Antlitz blickend, welches ein feines Roth überzog. „Erst war Heino der Glückliche.“

Hedwig schüttelte den Kopf.

„Alte Leute vergessen, wie man in der Jugend fühlt. Ebenso gut könnte ein Bruder seine Schwester heirathen.“

„Das zweite Mal war’s Ravensburgk,“ fuhr Georg inquisitorisch fort, „und mit dem drückten Sie sich recht ordentlich die Hände.“

Hedwig sah ihn ernst an.

„Um einen Schmerz zu mildern, den man einem Menschen zufügen muß, ist es nicht zu viel, wenn man ihm von Herzen die Hand schüttelt,“ sagte sie nachdrücklich, wandte sich um und schritt ihm voran in das Zimmer ihrer Tante.

Eine kurze Zeit darauf tönte ein Schrei. Die Klingel wurde gezogen; der Diener in die Apotheke, die Jungfer nach frischem Wasser geschickt.

Frau von Blachrieth war in allen Zuständen. Sie fiel in Ohnmacht, vergoß Thränenströme und bekam einen Sprechkrampf. Sie schalt über die leichtsinnige Spielerstochter, die darauf ausgegangen sei, alle Männer zu verführen; über Hedwig, die durch ihre Gleichgültigkeit Heino zu jener hingetrieben habe; über Georg, der um das Duell gewußt und es nicht vereitelt hätte. Sie beklagte sich, die an dem einzigen Kinde dieses entsetzliche Schicksal erleben müsse, ihren Bruder, dessen Wünsche in Bezug auf Hedwig nicht in Erfüllung gegangen seien, und vor Allem ihren Sohn. Heino mit seinem ehrlichen, nie eine Lüge ahnenden Sinn, seinem weichen Herzen das für alle Menschen schlug, seinem geraden Charakter, der sich immer geben mußte, wie er fühlte – er war der eigentliche Märtyrer, das Opferlamm, welches dieser Schwindlerin geschlachtet wurde.

Als sie endlich über das Aufsehen jammerte, welches dieser Vorfall erregen werde, den Schaden, den Heino’s Ruf als Dichter, Mann und Mensch dabei nehmen könne, verließ Georg mit den unmuthigen Worten das Zimmer:

„Aber gnädige Frau, Heino ist doch keine Dame.“

„Gott sei Dank, daß er geht,“ klagte die Trostlose; „er schreit, als kommandire er seine feuernde Batterie.“

„Gott sei Dank, daß er kommandieren kann,“ seufzte aus tiefster Brust Hedwig, indem sie ihm folgte.

Draußen bewährte Georg sein Talent für das Kommandiren. Er befahl, daß eingepackt werde, damit die Abreise der Frau von Blachrieth am nächsten Morgen vor sich gehen konnte, und sendete Heino’s Diener, mit dessen Gepäck, einigen beruhigenden Zeilen und allen Bedürfnissen für eine längere Reise versehen, nach Zürich.




Auch in der Paloty’schen Wohnung wurde eingepackt. Von ihren alten Bekannten ließ sich Niemand sehen. Selbst Frau von Giera ging am Lora-Flügel vorüber, indem sie das von der Freundin erhaltene kostbare mit Türkisen besetzte Schirmchen schützend gegen sie gerichtet hielt.

Die blasse Frau beachtete es nicht. Sie hatte nur Augen und Ohren für den Arzt, der in seinem Coupé aus Himmelgarten zurückkehrte und zuerst bei ihr vorfuhr; für den Geschäftsführer ihres Gemahls, der sich bei ihr melden ließ.

In gefaßter Haltung fuhr sie dann nach der Herrnhutergemeine hinaus.




Wie ein Schuß unter die Sperlinge war die Nachricht von den Vorgängen im Höllenschlund unter die Badegäste gefahren. Alles stiebte durch einander oder aus einander.

Große Reisewagen wurden aus den Remisen gezogen und bepackt. Die Damen der engeren Gesellschaft, welcher Leonore mit ihrer Mutter angehört hatte, fanden für besser, dem ungeheuren Skandal sich durch die Flucht zu entziehen.

Die drei Fräulein von Gokel schnürten ihr Bündelchen. Sie priesen die wunderbare Führung, daß das Ereigniß mit der gänzlichen Entleerung ihrer Kasse zusammen fiel und ihnen einen Vorwand bot, sofort abzureisen.

Frau von Tromsdorf folgte verdrießlich ihrem Beispiel. Sie kehrte abermals unverrichteter Dinge von einer Badereise zurück. Es war nicht Fifi’s specieller Fall, sich zu verloben.

Auch der nach Juchten duftende Reisewagen der Frau von Nihiloff fuhr, mit vier Pferden bespannt, vor.

„Mit dem Amüsement ist es für diese Saison vorbei,“ sagte sie. „Nitschewo![1] wir gehen nach Nizza.“

„Heino!“ rief der Papagei diesmal ungebeten, während er neben dem Heiligenschrein, der im Schlafzimmer gethront hatte, in den Reisewagen gesetzt wurde. Er machte Niemand mehr eine Freude damit.

„Fräulein Leonore!“ jammerte Vera, während sie hinein gehoben wurde. Mademoiselle legte ihr den Finger auf den Mund. Maman befahl die Abfahrt.

Mitten in die verstörte Gesellschaft trat am Abend während der Brunnenpromenade, schon im Reiseanzug Ravensburgk, wenn auch einen Schein bleicher als sonst, doch ruhig wie immer.

„Wozu der Lärm?“ sprach er mit Mephistopheles. „Es ist doch nichts Außergewöhnliches, daß der Sprößling eines alten Geschlechtes verschuldete Güter ererbt und diese Schuldenlast, den Traditionen seiner Familie gemaß, als flotter Officier in einem vornehmen Regiment noch erhöht, bis ihm die Wucherer die Kehle zuschnüren und er seinen Abschied nehmen muß. Das ungewöhnliche in dem Fall Falkeneck ist nur, daß er auch noch als professionsmäßiger Spieler sein Standesgefühl so rein erhielt. Was mag er, der um seines nicht ganz ehrenwerthen Metiers willen seinen Namen abgelegt hatte, gelitten haben, als dieser elende Faucon sich geheimnißvoll mit demselben schmückte! In dieser Angelegenheit hat sich Falkeneck ganz als Edelmann benommen. Und welche Selbstüberwindung hat es ihn wohl gekostet, sich von der einzigen geliebten Tochter freiwillig zu trennen, um es ihr zu ermöglichen, in die Kreise wieder zurückzukehren, denen er einst angehörte! Die Tochter muß die Liebe des Vaters ebenso warm erwidert haben. Denn um ihm nahe zu sein, sind die Damen in jedem Jahre zur Saison hierher gekommen. Ziehen wir das Resumé der Ereignisse, so können wir sagen: Wir haben mit einer Freiin von Falkeneck eine brillante Saisoa verlebt; und wenn auch dieselbe damit abschloß, daß zwei Herren von Familie um eines Mißverständnisses willen ein paar Kugeln mit einander wechselten, so hat das Duell doch glücklicher Weise keinen tödlichen Ausgang genommen.“

„Ein dunkler Punkt bleibt immer,“ sagte naserümpfend Frau von Giera, „Frau Paloty. Ich hatte immer das Gefühl, daß sie nicht zu uns gehörte. Und sie war mindestens sehr einfach.“ So sagte man damals anstatt beschränkt.

„Frau Paloty ist die Gemahlin des Freiherrn von Falkeneck,“ betonte Ravensburgk kategorisch. „Sie ist die schöne Tochter eines armen, aber nicht unbekannten böhmischen Komponisten, die er geheirathet hat, weil sie die Einzige war, die ihm treu blieb, als seine Standesgenossen, alle seine Freunde und Freundinnen ihn in der Noth verließen, wie das bei den Gesellschaftsratten von je zum guten Ton gehört hat. Sie hat ihren Familiennamen wieder angenommen, als ihr Gemahl wünschte, daß sie die Tochter in die Welt begleiten sollte. Sie ist keine bedeutende Frau; aber, meine Gnädigste, wir können nicht Alle bedeutend sein.“

„Wie mag es bei Blachrieth’s stehen?“ fragte der Präsident.

Ravensburgk’s Augen und Lippen schlossen sich einen Augenblick. Er wußte es ganz genau. Als er vorhin dort gewesen war, um seine Dienste anzubieten, hatte er den Hauptmann Aufdermauer als Höchstkommandirenden vorgefunden, und Hedwig war ihm mit rothen Wangen entgegen gekommen und hatte unter schüchtern bittenden Blicken versichert, daß Alles bestens geordnet sei.

„O,“ erwiderte er dem Präsidenten mit seinem spöttischen Lächeln, „da drüben herrscht jetzt vollständige Klarheit über alle Gefühle. Ich wünsche allerseits, daß das Bad gut bekommen möge.“

Nachdem er so der Gesellschaft vorgeschrieben hatte, wie der Vorgang aufzufassen war, und diese über die annehmbare

  1. Das schadet nichts!
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_395.jpg&oldid=- (Version vom 27.5.2021)