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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

glaubte auch an den Götterfunken, in der Seele des gebrochenen Weltkindes und fachte ihn an zu einem neuen geläuterten Leben.“

Ravensburgk nickte.

„Der alte Kreuzritter hat schon eine Umkehr gehalten, der Stifter von Himmelgarten ebenfalls. So etwas liegt zuweilen in der Familie und erbt fort. Bei uns sind es die schönen Stimmen.“ Er lachte sein dumpfes tausendjähriges Gelächter. Dann fragte er: „Sehen Sie Fräulein von Falkeneck in Himmelgarten?“

„Gewiß,“ entgegnete Hedwig. „Die Schwester Leonore hat fleißig mitgearbeitet an den Möbelbeschlägen, die ich für den alten Familiensaal im Eckthurme habe im Schwesternhause sticken lassen, und ihr feiner Geschmack ist mir dabei sehr zu Statten gekommen. Auch hat sie den Musikunterricht im Kinderchor übernommen, da die bisherige Lehrerin nach Grönland abgegangen ist, um den dortigen Missionar zu heirathen. Und mit tiefer Bewegung habe ich sie im Betsaal beobachtet, wie ihre Augen schwärmerisch an dem jungen Prediger hingen, während er in seiner einfachen herzergreifenden Weise das Evangelium verkündigte. Wer weiß, ob sich nicht bald die rosa Bänder ihres Häubchens in blaue wandeln und sie mit ihm geht, wenn er wieder als Missionar hinaus zieht.“

Es dämmerte. Im alten Eckthurm stimmte ein Heimchen sein Lied an. Die Diener brachten Windlichter und Cigarren.

Ravensburgk blies einige blaue Wölkchen in die Abendluft. Dann fragte er weiter:

„Und wie hat Heino sich mit seinem Schicksal abgefunden?“

„Er lebt in tiefster Zurückgezogenheit auf seinem Gute, verhätschelt und angebetet von seiner Mutter,“ sagte Georg. „Er thut auch besser, er baut eine gute Kartoffel als ein schwaches Gedicht. Lieber Gott! Er wünschte sich ein Schicksal, damit sein Genius sich befreien könnte. Aber wenn nichts in der Nuß ist, kommt auch nichts heraus, wenn sie aufgeklopft wird.“

„Etwas ist doch herausgekommen,“ entgegnete Hedwig. „Aus seinen freilich tief niedergeschlagenen Briefen geht hervor, daß ihn die Erlebnisse des vorigen Jahres auf den Weg zur Selbsterkenntniß und Selbstbeschränkung geführt haben.“

„Seine Poesieen sind schnell aus der Mode gekommen,“ sprach Ravensburgk. „Dagegen macht jetzt ein Gedicht von einem gewissen Viktor Scheffel großes Aufsehen und erlebt Auflage über Auflage. Es heißt: Der Trompeter von Säkkingen.“

Hedwig zog ein kleines Notizbuch aus dem Schürzentäschchen und schrieb den Titel auf. „Das wollen wir uns verschreiben.“

„Und wissen Sie, der aus der Welt kommt, nichts Neues zu erzählen?“ fragte Georg.

„Nun,“ sagte Ravensburgk, „um mich zu revanchiren für Ihre interessanten Mittheilungen, will auch ich ein Geschichtchen zum Besten geben; aber nur im tiefsten Vertrauen. Unser Gesandter beim Bundestag, der sonst nur über Menus, Toiletten und Liebesintriguen zu berichten wußte, meldete es vor Kurzem ganz konsternirt. Der jetzige preußische Gesandte, ein Herr von Bismarck, macht sich sehr mausig in Frankfurt. Der österreichische Gesandte, Graf Thun, der ja natürlich etwas voraus hat, pflegt in den Sitzungen zu rauchen. Da zieht eines Tages dieser Herr von Bismarck eine Cigarre aus seinem Etui, zündet sie sans façon an und raucht mit dem Grafen Thun um die Wette.“

Georg hatte aufgehorcht, sich aufgerichtet. Einen Augenblick starrte er vor sich hin. Dann sprach er: „Ein Trompeter hat den süßlichen Singsang in Grund und Boden geblasen, der Bismarck dem Bundestag unter die Nase geraucht. Es kommt eine neue Zeit; ich wittre Morgenluft.“ Er winkte dem Diener zu. „Eine Flasche Auslese, Schwarzsiegel. Verstanden?“

Als die Flasche gebracht war, schenkte er feierlich drei Gläser voll, stand auf stramm, als stehe er seinem Kommandeur gegenüber, erhob das Glas und sprach mit einer Stimme, die den ganzen Lora-Grund zu füllen schien: „Auf daß ich noch einmal, und sei es auch als alter Landwehrmann, zu des Vaterlandes Ehre kommandiren darf: ,Feuer!‘“

Hedwig setzte erschrocken das Glas hin und sah ihn an.

„Ich glaube gar, Du fürchtest Dich!“ rief Georg. „Vorwärts! Angefaßt!“

Da raffte sich die junge Frau zusammen: „In Gottes Namen!“ Und sie stieß herzhaft an.

Ravensburgk hatte dem Vorgang mit seinem leisen skeptischen Lächeln zugeschaut. Nun stand er auf und knöpfte seinen Rock zu. „Die Luft weht kühl,“ sagte er. „Es wird Zeit für den alten Raben, daß er von dannen zieht.“

Er drückte Georg die Rechte, neigte sich tief über Hedwig’s dargebotene Hand und stieg gravitätisch in den vorgefahrenen Wagen.

„Schwager, ein lustiges Stück,“ rief er im Davonrollen. Und während der Wagen in der Nacht verschwand, schmetterte es hell in die Luft hinein: „Ich hab’ mein Sach auf Nichts gestellt! Hurrah!“

Georg und Hedwig saßen noch eine Weile vor dem alten Hause. Georg rauchte seine Cigarre aus, und sie sprachen von den Arbeiten des kommenden Tages.




Vom Nordpol bis zum Aequator.

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IV. Von der Begabung der Menschenaffen. – Schlußbetrachtung.

Wir verstehen unter Menschenaffen diejenigen, welche in ihrer Gestalt dem Menschen am meisten ähneln, von diesem aber durch die stark hervortretenden Eckzähne, die verhältnißmäßig langen Arme und kurzen Beine, den Bau der Hand, die bei einzelnen Arten vorkommenden Gesäßschwielen und das Haarkleid auch äußerlich noch immer wesentlich sich unterscheiden. Sie bewohnen die Gleicherländer Asiens und Afrikas, ersteres zahlreicher an Arten als dieses, und zerfallen in drei Sippen, von denen die eine auf Afrika beschränkt ist. Jede dieser Sippen umfaßt nur wenige Arten, doch scheint es, als ob uns gegenwärtig noch keineswegs alle bekannt seien.

Auch die Menschenaffen sind, gemäß ihres Baues, auf Bäume angewiesen, aber eben so wenig wie Schlankaffen, Meerkatzen und Makaken Baumsklaven, vielmehr ausgezeichnete Kletterer. Als geradezu unerreichbare Meister im Klettern erscheinen die Langarm-Affen oder Gibbons, Menschenaffen mit so unverhältnißmäßig langen Armen, daß sie doppelt soweit klaftern können als die Länge ihres in aufrechter Stellung gedachten Leibes beträgt. Mit unvergleichlicher Schnelligkeit und gleicher Sicherheit erklettern sie einen Baumgipfel oder Bambusstengel, versetzen ihn oder einen geeigneten Zweig in Schwingungen und schnellen sich sodann beim Zurückprallen desselben mit solcher Leichtigkeit über Zwischenräume von acht bis zwölf Meter hinweg, daß es aussieht, als flögen sie wie abgeschossene Pfeile oder abwärtsstoßende Vögel. Auch sie sind im Stande, noch im Sprunge die zuerst beabsichtigte Richtung zu ändern und ihren Sprung jählings zu unterbrechen, indem sie den ersten besten Zweig ergreifen, an ihm sich festhängen, schaukeln, wiegen und endlich ersteigen, sei es, um fortan ein Weilchen zu ruhen, oder sofort wiederum das alte Spiel zu beginnen. Nicht selten springen sie solcherart drei-, vier-, fünfmal nach einander durch die Luft und lassen dann fast vergessen, daß die Gesetze der Schwere auch für sie maßgebend sind. Ebenso ausgezeichnet als sie klettern, ebenso schwerfällig gehen sie. Andere Menschenaffen sind im Stande, ohne sonderliche Beschwerde in aufrechter Stellung, also auf den Füßen allein, ein mehr oder minder bedeutendes Stück Weg ohne Unterbrechung zurückzulegen, fallen jedoch bei eiligem Laufe stets auf alle Viere, hierbei auf die eingeschlagenen Knöchel der Finger, hinten auf die äußeren Kanten der Füße sich stützend, und den Leib zwischen den aufgestemmten Armen hindurch mühsam und schwerfällig vorwärtswerfend; die Langarmaffen aber bewegen sich nur im äußersten Nothfalle in dieser Weise und dann mehr hüpfend als laufend, legen dagegen kürzere Strecken zurück, indem sie sich zu voller Höhe aufrichten und mit den bald weniger, bald weiter ausgebreiteten Armen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_398.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)