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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

im Gleichgewichte halten, die Daumenzehen möglichst spreizen und nunmehr mit kleinen, rasch auf einander folgenden Schritten kläglich dahin trippeln. Ihre Bewegungen müssen daher als einseitige bezeichnet werden; denn was sie an Kletterhaftigkeit vor anderen Menschenaffen voraus haben, wiegt ihre Hilflosigkeit auf dem Boden nicht auf.

Wer erfahren will, bis zu welcher Höhe die geistige Begabung eines Affen sich zu erheben vermag, muß den Schimpanse oder einen seiner nächsten Verwandten zur Beobachtung wählen und mit ihm längere Zeit einigen Umgang pflegen, wie ich gethan habe: er wird dann mit Verwunderung und Staunen, vielleicht auch gelindem Grauen erkennen, wie weit die Kluft, welche Mensch und Thier scheidet, sich verringern kann. Auch die anderen Menschenaffen sind geistig hochbegabte Geschöpfe; auch sie übertreffen in dieser Beziehung alle übrigen Affen; ihre Begabungen gelangen aber weder bei den Langarmaffen noch bei dem Orang-Utan zu so allgemein verständlichem Ausdrucke, ich möchte sagen, zu derartig zwingender Geltung, wie bei jenen. Sie, die Pongos, Gorill, Tschego und Schimpanse, kann man nicht mehr wie Thiere behandeln, wenn man ihre Geistesgaben erkennen und abwägen will. Ihr Verstand steht dem eines rohen, ungeschulten, ungebildeten Menschen wenig nach. Sie sind und bleiben Thiere; aber sie handeln so menschlich, daß man das Thier in ihnen vergessen möchte.

Ich habe Jahre nach einander Schimpansen gepflegt, sie genau und soviel als mir möglich, vorurtheilsfrei beobachtet, mit ihnen eifrig und innig verkehrt, sie in meine Familie ausgenommen, mit mir speisen lassen, sie unterrichtet, gelehrt, förmlich erzogen, in Krankheiten abgewartet und auch in ihrer Todesstunde nicht verlassen: ich darf daher glauben, sie ebenso gut kennen gelernt zu haben als irgend ein Anderer, und zu einem zutreffenden Urtheile über sie berechtigt zu sein. Aus diesen Gründen wähle ich den Schimpanse zu dem Versuche, darzulegen, wie weit die geistige Begabung eines Thieres reicht.

Der Schimpanse ist nicht allein eines der klügsten aller Geschöpfe, sondern auch ein nachdenkliches sinniges Wesen. Jede seiner Handlungen geschieht mit Bewußtsein und Ueberlegung. Er ahmt nach, aber mit Verständniß und Urtheil: er läßt sich belehren und lernt. Er erkennt sich und seine Umgebung und ist sich seiner Stellung bewußt. Im Umgange mit Menschen ordnet er sich höherer Begabung unter; im Verkehre mit Thieren bethätigt er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch. Was bei anderen Affen in dieser Beziehung angedeutet ist, erscheint bei ihm klar ausgesprochen.

Wie scharf er beobachtet, geht schlagend aus seiner fast immer richtigen Beurtheilung der Menschen hervor. Er kennt und unterscheidet nicht allein seine Freunde von anderen Leuten, sondern auch wohlwollende von übelwollenden Menschen so scharf, daß der Wärter eines Schimpanse überzeugt war, jeden Menschen, welcher den Schimpanse abstieß, als Taugenichts oder Bösewicht bezeichnen zu dürfen. Ein vollendeter, aber seiner Heuchler, welcher mich und Andere täuschte, war dem einen Schimpanse von Anfang an ein Gräuel, gerade, als ob er den rothhaarigen Schuft vom ersten Augenblicke an erkannt gehabt hätte. Am liebsten verkehrt jeder Schimpanse, mit welchem man sich viel beschäftigt, im Kreise einer Familie. Hier benimmt er sich, als ob er sich unter seines Gleichen fühle. Er achtet genau auf Sitte und Gewohnheit des Hauses, merkt sofort, ob er beobachtet wird oder nicht, und thut im ersteren Falle das, was er soll, im letzteren das, was ihm gerade behagt. Spielend leicht und mit wahrem Eifer, ganz im Gegensatze zu anderen Affen, lernt er, was ihm gelehrt wird, beispielsweise aufrecht am Tische zu sitzen, mit Löffel, Messer und Gabel Speise in den Mund zu führen, aus einem Glase oder einer Tasse zu trinken, den Zucker in der Tasse umzurühren, mit dem Nachbar anzustoßen, sich des Mundtuches zu bedienen etc.; ebenso leicht gewöhnt er sich an Kleidungsstücke, Decken und Betten; ohne sonderliche Mühe eignet er sich endlich ein Verständniß der menschlichen Sprache an, welches das eines wohlgezogenen Hundes bei weitem übertrifft, da er sich nicht nach der Betonung, sondern nach der Bedeutung der Worte richtet und bestimmte Aufträge nicht minder richtig als Befehle zur Ausführung bringt. Aeußerst empfänglich für jede Liebkosung oder Schmeichelei und selbst für gespendetes Lob, ebenso empfindlich gegen unfreundliche Behandlung oder schon Tadel, ist er auch lebhafter Dankbarkeit fähig und beweist diese, ohne hierzu besonders abgerichtet worden zu sein, durch Handschlag und Kuß. Besonders lebhafte Zuneigung legt er Kindern gegenüber an den Tag. An und für sich weder tückisch noch bösartig, behandelt er Kinder, so lange sie ihn nicht reizen, stets äußerst freundlich, kleine, noch unbehilfliche Kindlein mit wahrhaft rührender Zärtlichkeit und Zartheit, wogegen er im Verkehr mit anderen seiner Art, anderen Affen und anderen Thieren nicht selten rauh und unfreundlich sein kann. Ich hebe diesen Charakterzug, welchen ich bei allen von mir gepflegten Schimpansen wahrgenommen habe, namentlich deßhalb hervor, weil er zu beweisen scheint, daß der Schimpanse auch im kleinsten Kinde den Menschen anerkennt und würdigt.

Rührend geberdet sich ein kranker, schwer leidender Menschenaffe. Kläglich bittend, wahrhaft menschlich, schaut er seinem Pfleger ins Gesicht, erkennt jede Hilfe oder doch Hilfsleistung mit warmem Danke und in dem Arzte bald seinen Wohlthäter, hält letzterem den Arm hin, oder streckt die Zunge heraus, sobald dies gefordert wird, thut dasselbe nach einigen Besuchen des Arztes auch ganz von selbst, nimmt Arzneien willig ein, läßt sich sogar wundärztliche Griffe gefallen, benimmt sich, mit einem Worte, nicht viel anders als ein kranker und geduldiger Mensch. Je mehr sein Ende sich nähert, um so milder wird er, um so mehr verliert sich das Thierische, um so heller treten die edleren Züge seines Wesens hervor.

Der Schimpanse, welchen ich am längsten pflegte und mit Hilfe eines thierfreundlichen Wärters am sorgfältigsten erzog, erkrankte an Lungenentzündung, welcher sich Vereiterung der Lymphdrüsen des Halses gesellte. Wundärztliche Behandlung der eiternden Drüse erwies sich als nothwendig. Zwei mir und dem Schimpanse befreundete Aerzte unternahmen es, die Geschwulst am Halse zu öffnen, um so mehr, als der Affe in ihr den Sitz seines Leidens zu erkennen vermeinte und die Hand des untersuchenden Arztes fort und fort nach ihr hinleitete. Aber wie sollte der nothwendige Schnitt an der gefährlichen Stelle ausgeführt werden, ohne das Thier zu gefährden? Betäubende Mittel waren wegen der kranken Lunge ausgeschlossen, und der Versuch, den Schimpanse durch mehrere kräftige Männer festhalten zu lassen, scheiterte an dessen hochgradiger Erregung und dem nachdrücklichen Widerstande, welchen er leistete. Was Gewalt nicht zu erreichen vermochte, erzielte Ueberredung. Durch gütliches Zureden und Liebkosungen seitens seines Wärters wieder beruhigt, gestattete der Affe nochmalige Untersuchung der eiternden Geschwulst, ohne mit einer Wimper zu zucken, Annäherung und Gebrauch des Messers, ohne zu klagen, anderweitige schmerzende Eingriffe des Arztes, insbesondere die Nachhilfe bei Entleerung der geöffneten Geschwulst. Mit dieser trat augenblickliche Befreiung der bisher quälenden Athemnoth ein; ein unverkennbarer Ausdruck der Erleichterung drückte sich im Gesichte des Leidenden aus, und dankbar reichte er beiden Aerzten die Hand, und beglückt umarmte er seinen Wärter, ohne zu der einen wie zu der anderen Handlung aufgefordert worden zu sein.

Leider vermochte die Beseitigung des einen Leidens das Leben des Thieres nicht zu retten. Die Halswunde heilte, aber die Lungenentzündung griff um sich und machte seinem Leben ein Ende. Er starb bei vollem Bewußtsein, sanft und ruhig, nicht wie ein Thier, sondern wie ein Mensch stirbt.

Dies sind Züge aus dem Betragen und Gebühren eines Menschenaffen, welche weder mißverstanden, noch bemäkelt werden können. Bedenkt man dazu, daß sie alle nicht erwachsenen, sondern im Kindesalter stehenden Menschenaffen abgelauscht werden konnten, so wird man diesen Thieren unzweifelhaft eine sehr hohe Stellung einräumen müssen. Denn die von irgend einem unfähigen Beobachter aufgestellte, von Hunderten gedankenlos nachgesprochene Behauptung, daß der Affe mit zunehmendem Alter an geistiger Begabung verliere, also gleichsam zurückgehe und verdumme, ist eben nichts Anderes als eine plumpe Lüge, welche jeder wirklich und unbefangen von seiner Jugend an bis zu seinem Alter beobachtete Affe widerlegt. Wenn wir von erwachsenen Menschenaffen auch weiter nichts wüßten, als die beiden Thatsachen, daß sie Bauten errichten, welche man eher Hütten als Nester nennen muß, um in ihnen eine einzige Nacht zu verweilen, und daß sie hohle Bäume als Trommeln verwenden und letztere zu ihrem Vergnügen rühren: wäre dies doch genug, um dieselben Schlüsse zu ziehen, zu denen uns kindliche, von uns gepflegte Affen dieser Grrippe führen, oder mit anderen Worten, um in ihnen die weitaus begabtesten, am höchsten stehenden und unsere allernächsten Verwandten zu erkennen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_399.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)