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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Kamine loderte, vermochte den düsteren Raum nicht behaglicher zu machen, aber es lag ein Stück Geschichte darin, die Geschichte eines alten mächtigen Geschlechtes, dessen Geschick von jeher mit dem seines Landes eng verknüpft gewesen war.

Soeben wurde die Thür geöffnet, und es traten zwei Herren ein, die wohl zu den Verwandten des Hauses gehören mußten, denn die Uniform des Einen und die Civilkleidung des Andern trugen die Abzeichen der Trauer. Sie kamen in der That soeben von der Bestattung zurück, und auf den Zügen des Aelteren lag noch der ganze Ernst dieser düsteren Feier,

„Das Testament soll morgen eröffnet werden,“ sagte er. „Es ist allerdings nur eine Form, da ich die Bestimmungen bereits kenne. Der Gräfin ist ein sehr reiches Witthum und Schloß Berkheim, ihr bisheriger Wohnsitz zugewiesen, die sämmtlichen anderen Güter fallen an Hertha, zu deren Vormund ich ernannt bin. Dann kommt noch eine Reihe von Legaten, und mir, als Haupt der älteren Linie, ist Steinrück vermacht.“

Der jüngere Gefährte zuckte bei den letzten Worten leicht die Achseln.

„Ein riesiger Besitz, der jetzt in der Hand dieses Kindes vereinigt wird!“ bemerkte er. „Deine Erbschaft ist nicht gerade glänzend, Papa, ich glaube, das alte Bergschloß mit seinem Waldreviere kostet beinahe so viel, als es einbringt.“

„Gleichviel, es ist die Stammburg unseres Geschlechtes, die nunmehr in unsere Hände übergeht. Mein Vetter hätte mir kein besseres Vermächtniß hinterlassen können, und ich bin ihm dankbar dafür. Du willst morgen schon wieder abreisen, Albrecht?“

„Ich hatte mich nur auf einige Tage eingerichtet, wenn Du es indessen wünschest –“

„Nein, es ist nicht nöthig, daß Du bleibst. Ich werde allerdings um Verlängerung meines Urlaubs ersuchen müssen. Es giebt noch Vieles zu besprechen und zu ordnen, und die Gräfin zeigt sich in allen Dingen so unselbständig, daß ich ihr nothgedrungen noch eine Zeit lang zur Seite bleiben muß.“

Er trat in den Erker und blickte hinaus in die verschleierte Berglandschaft. Der Graf hatte die Mittagshöhe des Lebens bereits überschritten, aber seine Erscheinung zeigte noch die vollste ungebrochene Kraft, eine prächtige Gestalt in gebietender Haltung, die freilich in jedem Zuge den Soldaten verrieth. Er war ohne Zweifel einmal sehr schön gewesen und konnte noch jetzt dafür gelten, wo er bereits an der Schwelle des Alters stand, aber das volle, nur leicht ergraute Haupthaar, die raschen lebhaften Bewegungen und die Sprache, die noch tief und voll klang, liehen ihm etwas Jugendliches, wie das Feuer, das noch in seinen Augen blitzte.

Sein Sohn war von dem Allem das Gegentheil, eine schmächtige Gestalt von kränklichem Aussehen. Das blasse Gesicht mit den schlaffen Zügen machte einen ziemlich nüchternen Eindruck, und doch glichen diese Züge auffallend denen des Vaters. Der Ausdruck der Persönlichkeit wirkte als vollster Gegensatz, aber trotzdem war die Familienähnlichkeit unverkennbar.

„Die Gräfin scheint überhaupt eine unselbständige Natur zu sein,“ sagte er, „und der Trauerfall findet sie nun vollends ganz fassungslos.“

„Es ist aber auch hart, den Gemahl nach so kurzer Krankheit, in der Blüthe des Lebens zu verlieren, weiche Naturen werden durch solchen Schlag völlig niedergeworfen.“

„Eine Andere hätte ihm Stand gehalten! Louise würde das Unabänderliche mit einer Fassung ertragen haben, –“

„Schweig’!“ unterbrach ihn der Graf finster, indem er sich abwandte.

„Verzeih’, Papa, ich weiß, Du willst nicht daran erinnert sein, aber gerade heute drängt sich die Erinnerung unabweisbar auf. Von Rechts wegen sollte Louise um den Todten trauern. Sie wäre schwerlich mit einem wenn auch noch so reichen Witthum abgefunden worden, Steinrück hätte sie unbedingt zur Herrin über das ganze Erbe gemacht, er ließ sich ja schon damals völlig von ihr beherrschen. Und seine Hand zurückzustoßen! Namen, Heimath, Familie, Alles zu opfern, um das Weib eines Abenteurers zu werden, der sie ins Verderben zog – man möchte wahrhaftig an die alte Sage von den Liebestränken glauben, denn auf natürlichem Wege ist das nicht zu erklären.“

„Thorheit!“ sagte der Graf kalt. „Das Schicksal des Menschen ist in seine eigene Hand gelegt. Louise hat das ihrige zum Abgrund gelenkt, es war nur natürlich, daß sie hineinstürzte.“

„Und vielleicht hättest Du trotz alledem die Verlorene wieder aufgenommen, wenn sie reuevoll zurückgekehrt wäre.“

„Nie!“ Das Wort klang in unbeugsamer Härte. „Uebrigens wäre sie auch nicht zurückgekehrt. Sie konnte zu Grunde gehen in der Schmach, in dem selbstverschuldeten Elend, aber um Gnade betteln bei dem Vater, der sie verstoßen, das hätte Louise nicht gekonnt. Sie war trotz alledem mein Blut!“

„Und Dein Liebling!“ ergänzte Albrecht mit aufwallender Bitterkeit. „ich habe das oft genug empfinden, es oft genug hören müssen, daß ich keinen Zug Deines Charakters besitze. Nur Louise hatte Dein Blut geerbt, die schöne, geistvolle, energische Louise, die war das Kind Deines Herzens. Dein Stolz und Dein Glück. Nun, wir haben es ja erlebt, wohin diese Energie führte, wir erfuhren es ja noch, daß sie von Stufe zu Stufe sank an der Seite jenes Mannes und endlich –“

„Deine Schwester ist todt,“ unterbrach ihn der Graf schneidend. „Laß die Todten ruhen!“

Albrecht schwieg, aber die Bitterkeit wich nicht aus seinen Zügen, er konnte es offenbar seiner Schwester noch im Grabe nicht verzeihen, was sie der Familie angethan hatte. Zu einer weiteren Erörterung kam es nicht, denn so eben erschien ein Diener und meldete:

„Hochwürden der Herr Pfarrer von Sankt Michael.“

Der Gemeldete schien erwartet zu werden, denn der Diener öffnete, ohne erst eine Antwort abzuwarten, die Thür, und der Pfarrer trat ein.

Es war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, mit schon völlig ergrautem Haar, einem Antlitz voll stiller, ernster Ruhe, mit tiefen, blauen Augen, und auch Haltung und Sprache verriethen dieselbe Ruhe und Milde, die von dieser Erscheinung unzertrennlich zu sein schienen.

Graf Steinrück ging ihm einige Schritte entgegen und begrüßte ihn höflich, aber fremd. Die altere Linie des Hauses war protestantisch, und ein katholischer Priester hatte als solcher keine Bedeutung für sie.

„Ich habe Ihnen zunächst meinen Dank auszusprechen, Hochwürden,“ begann er, indem er den Pfarrer mit einer Handbewegung einlud, Platz zu nehmen. „Es war der ausdrückliche Wunsch der verwittweten Gräfin, daß Sie die Trauerceremonien leiten sollten, und Sie haben ihr an dem heutigen schweren Tage so aufopfernd zur Seite gestanden, daß wir Alle Ihnen dankbar dafür sind.“

„Ich erfüllte nur meine Pflicht als Seelsorger,“ erwiderte der Geistliche ruhig. „Dafür bedarf es keines Dankes. Zu Ihnen aber, Herr Graf, komme ich in einer anderen Angelegenheit, unaufgefordert und in Ihren Augen vielleicht unberechtigt, dennoch muß ich sie zur Sprache bringen, da der Trauerfall Sie so ganz unerwartet in unsere Berge führt. ich ersuchte Sie deßhalb um eine Unterredung.“

„Und ich wiederhole, daß ich Ihnen zur Verfügung stehe, Herr Pfarrer Valentin. Wenn die Unterredung eine geheime sein soll, so wird mein Sohn uns sofort –“

„Ich bitte, daß der Graf bleibt.“ fiel Valentin ein. „Er kennt gleichfalls die Angelegenheit, die mich herführt, sie betrifft den Pflegesohn des Försters Wolfram.“

Er hielt inne, wie um eine Antwort zu erwarten, doch diese erfolgte nicht; der Graf saß mit völlig unbewegter Miene da, während Albrecht plötzlich aufmerksam zu werden schien, doch auch er äußerte nichts, und so war der Pfarrer genöthigt, fortzufahren.

„Sie werden sich erinnern, Herr Graf, daß ich es war, durch den Sie die Nachricht von dem Aufenthalt des Knaben erhielten und die Bitte, sich seiner anzunehmen.“

„Eine Bitte, der ich unverzüglich entsprochen habe. Wolfram nahm auf meine Weisung das Kind in Empfang, ich unterrichtete Sie ja davon.“

„Allerdings, ich hätte es freilich lieber in anderen Händen gesehen, indessen die Bestimmung hing von Ihnen ab. Jetzt aber ist der Knabe herangewachsen und kann unmöglich länger in derartiger Umgebung bleiben. Ich bin auch überzeugt, daß dies keineswegs Ihr Wille ist.“

„Weßhalb nicht!“ fragte Steinrück kalt. „Ich kenne Wolfram als durchaus zuverlässig und hatte meine Gründe, gerade ihn zu wählen, oder wissen Sie irgend etwas Nachtheiliges von ihm?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_410.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)