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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Doch er ruft: „Ihr Memmen! Die Pulverkammer
Ist geschützt durch mächtige Eisenplatten –
Wasser drauf zur Kühlung! Der Phönix darf nicht
      Sinken! Verloren

Wär’ die ganze Flotte durch uns’re Feigheit!
Löscht! Und gafft nicht! Löscht, bis die Eimer brennen!
Oder selber werf’ in die Pulverkammer
      Ich eine Lunte!“

Doch des Vaters eiserne Knie’ umklammert
Nun sein Sohn: „Gedenke des stillen Hauses,
Das Du füllen willst mit der Wittib Klagen,
      Ach! und der Waisen!“

Da aus Feuerbrausen die sanfte Alster
Sieht er schimmern – doch er zerdrückt die Thräne:
„Fort mit Dir! Wie darfst Du es wagen, Knabe,
      Mich zu erweichen!

Weißt Du nicht, daß ernster, als Weiberklagen,
Schallt der Pflicht erhabener Ruf dem Manne?
Hier zu stehen, hab’ ich gelobt den Bürgern –
      Hier will ich fest stehn!

Dieser Bord war Wiege dem Schifferkinde,
Diese Segel seien mein Leichenlinnen –
Dieses Feuer preise mit tausend Zungen
      Männliche Treue!“

Doch dem Jüngling winken die blauen Augen
Seiner Braut, der holden, vom Heimatstrande –
„Sei’s denn!“ ruft er, „Noth vor Befehl, Ihr Männer
      Senkt die Schaluppe!“

Hundert Kehlen schreien dem Kühnen Beifall!
Alles drängt und hastet zum Rettungsboote.
Doch der Admiral mit erbob’ner Rechten
      Tritt vor den Sohn hin:

„Stirb, Rebell! Du hast Dir den Tod ertrotzet!!“
Seine Waffe saust – der Getroff’ne stürzet
Hoch vom Bord – o weinet, ihr blauen Augen
      Fern in der Heimat!

Da durchbraust die Rotten ein drohend Murren,
Wüthend schwillt es: „Stoßet den Mörder nieder!“
Ein Matros, um Diebstahl gezüchtigt, rennt den
      Stahl in die Brust ihm.

Und er stürzt! Wie kniet um ihn her so Mancher
Seiner wetterfesten, ergrauten Freunde!
„Rettet Euch,“ so stöhnet er. „ich doch rette
      Mehr noch – die Ehre!“

Nun verlassen, schaut er mit matten Blicken,
Wie ein wilder Knäuel zum Boot sich wälzet,
Um den Eingang ringt – die Schaluppe kentert –
      Alle versinken!

Alle traf ein gräßlich Gericht des Aufruhrs!
Doch der Alte wankt zu der hohen Brücke,
Rings umrauscht vom Blähen des Feuersegels,
      Wie von der Fahne!

Doch der Alte ragt auf der hohen Brücke.
Stark die nerv’ge Faust ans Geländer klammernd.
Nun erglüht’s – da sinkt seine Hand – es sinkt des
      Sterbenden Wimper.

Weh! Welch abgrundspaltendes Donnerkrachen
Drob äonenjährige Felsen zittern?
’s war die Pulverkammer. Den stolzen Phönix
      Schauet kein Aug’ mehr.

Und ein Sturm zerstreute die Türkenflotte.
Ungeschädigt segelten Hamburgs Schiffe
Heimwärts, schwarz beflaggt um des Phönix Ende
      Und seines Führers.

Nein! Nicht sank das Schiff, ob die Planken barsten!
Nein! Ein Phönix, stieg’s aus der Gluthenwiege
Geisterhell empor und den todten Helden
      Trägt’s durch die Sturmnacht!

Wo die Meerschlacht tobt, da erscheint’s den Streitern,
Und der Alte winkt mit den Feuerhänden –
Und auf Meeresgrund ein erschlag’ner Wiking
      Schlägt an den Erzschild.

Segle, sel’ger Geist, durch die Seen des Weltrunds,
Wenn mit Macht die deutschen Kanonen donnern,
Und der Mannschaft rausche dein Flammenmantel
      Todesbegeist’rung!


Der kleine Schuh.

Skizze aus dem italienischen Badeleben von Isolde Kurz.

In die Farben des wärmsten Julisonnenstrahls möchte ich den Pinsel tauchen, um den ganzen Golf mit seinem tiefblauen Wasser, seinen klaren Inseln, seinen felsigen Buchten und Grotten auf dieses Blatt zu zaubern. Denn Worte sind machtlos vor dieser Fülle von Licht und Farben. Die weite See ist wie eine Palette, auf welcher der große Künstler alle seine Farben probirt und planlos mit dicken Strichen durch einander gemischt hat, ehe er damit die zarten Schattirungen der lachenden Landschaft malte.

Da sitze ich nun auf meiner meerumspülten alten Felsenburg unter dem dichten Schatten eines Feigenbaumes, um dessen vielverschlungenen Doppelstamm sich üppige Reben winden, und stehle dem lieben Gott den Tag ab.

Und die Gedanken kommen und schwinden wie die Wellen drunten am Ufer, sie haben keine feste Gestalt, Alles schwimmt und rinnt, bis es vom großen Meere wieder verschlungen ist.

Aber je länger ich dem rastlosen Treiben zusehe, desto mehr scheint es mir, als sei jede dieser Wellen ein persönliches Wesen, das sich für einen kurzen Moment mit seiner Eigenart behauptet, um schon im nächsten nicht mehr zu sein. Die eine wogt anmuthig herbei, und sowie sie am Ufer ist, dehnt sie sich wallend aus und giebt in friedlichem Zerrinnen dem Meere ihren Inhalt wieder, die andere muß sich gewaltsam an den Kieseln zerschlagen, die dritte bringt es gar nicht bis ans Ziel, sondern fällt auf halbem Wege zurück wie eine matte Kugel.

Ein grenzenloser Fatalismus kommt über mich (in Deutschland würde man’s Faulheit nennen), eine Stimmung, die nicht frohlich, nicht traurig ist, aber jede Thatkraft lähmt, eine wahrhaft orientalische Beschaulichkeit!

Da wogt eine große Welle prahlerisch herbei mit ihrer weißen Schaumkrone, aber sie ist so hohl wie die andere, denn wenn sie an die Klippe schlägt, zerbricht sie, spritzt ein wenig Schaum, und es bleibt Alles wie zuvor.

Ich begreife nicht, daß die Menschen, die an dieser Küste aufwachsen, überhaupt zum Leben zu gebrauchen sind. Die Tage schwinden hier wie ein seliger Traum, und wer wie ich den Kalender zu Hause gelassen, verliert jeden Begriff der Zeit, wie die Eingeborenen, die Einem nicht genau sagen können, wie alt sie sind. Und doch wohnt hier ein thatkräftiges Volk, kaum einer von diesen braunen, wetterharten Matrosen, der nicht schon in den kalifornischen Goldgruben oder am Ganges sein Glück gesucht hätte. Die männliche Jugend, die dem Staat die besten Seeleute liefert, ist fast immer von Hause fort, nur wenn Einer in der Welt Etwas vor sich gebracht hat, kommt er nach San Terenzo zurück, kauft sich hier an und lebt mit Frau und Kindern wie die andern Dorfbewohner.

Es macht einen seltsamen Eindruck, wenn man diese Männer, die zum Theil stattliche Güter besitzen, barfuß ihre Netze ans Land ziehen und ihre Fische selber kochen sieht. Tritt man zu ihnen ins Haus, so bieten sie dem Fremden mit dem Anstande eines homerischen Fürsten einen Platz bei ihrem Mahle, das am Herde verzehrt wird, und ein Glas Wein an, und erzählen von fernen Ländern und von den Gebräuchen fremder Völker, deren Sprachen sie auch zum Theile bei langem Aufenthalte erlernt haben.

Mein Hauswirth, der alte Giacomino, ist der Patriarch des Orts, bei ihm holen sich die Mitbürger Rath, und sein Wort entscheidet jede Frage. Er hat auch eine Odyssee hinter sich, wie keiner seiner Gefährten, alle Länder der bewohnten Erde hat er befahren, unzählige Abenteuer zu Wasser und zu Land bestanden, ehe er sich in San Terenzo seinen Herd gegründet hat. Jetzt sagt er, die Erde sei eigentlich doch gar zu klein, es gebe nichts mehr zu sehen.

Wäre dieser Weltumsegler nur ein besserer Schriftgelehrter, so hätte er es mit Leichtigkeit zum Kapitän gebracht; aber die Buchstaben haben ihn stets gelangweilt. In dem großen Buche des Lebens aber, in dem so viele verschollene Generationen ihre Erfahrungen niedergelegt haben und das vor jedem hellen Auge aufgeschlagen liegt, hat er geblättert wie Wenige. Wenn er mir Mittags das Fleisch aufträgt, das er selbst gebraten hat, und von dem Weine einschenkt, den er auf dem Kastell zieht, so scheint es mir nicht anders, als ich sei landfremd bei dem vielgewandten Beherrscher von Ithaka zu Gast. Und dann erzählt er mir von

seinen Abenteuern unter den Beduinen, den Indianern, den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_414.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)