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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Chinesen, von Kämpfen an fernen Küsten mit Haisfischen und Klapperschlangen, mit eingeborenen wilden Völkern, von Inseln, die er mit Feuer versengte, um sich vor den Raubthieren zu schützen, von zerbrochenen Schiffen auf dem Eismeere und nicht die kleinste Rolle in diesem vielbewegten Leben spielen Frauen aus allen Menschenrassen.

Das Meer singt dazu seine eintönige Begleitung, vier weißliche Möwen tauchen über dem Wasser auf und nieder und ziehen große langsame Bogen durch die Luft, als ob sie zusammen einen feierlichen Tanz aufführten. Die Schiffer im Hafen unten liegen in ihren schaukelnden Kähnen ausgestreckt und schlafen, Dutzende halb nackter Kinder spielen in dem seichteren Wasser und wälzen sich im Sand. Hier oben aber schmettern die Cikaden, die Käfer und Mücken schwirren und taumeln umher wie trunken von Sonne und Seligkeit. Einzelne Luftwellen tragen von dem Bergabhang den heißen würzigen Pinienduft herauf, der wie ein warmer Strom durch die kühlere Luftregion zieht.

Das ist der Sommer im Süden, das ist die wonnige Faulheit des italienischen Badelebens.

Da plötzlich ein starker Donnerschlag. Der Himmel ist dunkel verhangen und schwere Tropfen fallen. Giacomino ist aufgesprungen; mit kundigem Auge wirft er nur einen Blick auf Himmel und Meer und eilt dann mit seinen bloßen Füßen die Stufen des Kastells hinunter. Eine Minute später sehe ich ihn schon unten am Hafen, wo er seine verschiedenen Barken losbindet und ins Trockene bringt. Eine Menge brauner Gestalten läuft geschäftig durch einander, überall werden die Anker gelöst, und bald sind über vierzig Kähne hoch ans Land hinaufgezogen.

Jetzt bläst der Wind von Süden her, das Meer hebt sich höher, die Nachen, die noch draußen sind, suchen das Land, denn sie werden schon herumgeworfen wie Nußschalen. Breite Wellen kommen wie Mauern heran und werfen sich mit Brüllen und Zischen an den Hafendamm, andere schwellen hoch auf wie einzelstehende Thürme, indem sie um sich her Abgründe aufreißen, dann schlägt ihre Spitze über, sie brechen in sich zusammen, und wehe dem Schiffchen, das ihnen ungeschickt entgegen käme! Es ist ein Krachen und Donnern wie auf einem Schlachtfelde. Der Regen schlägt mir ins Gesicht, der Sturm rüttelt an mir, als ob er mich von meinem luftigen Standorte ins Meer herunterschleudern wolle, und unversehens mit einem zweimaligen Rucke bricht die Dunkelheit herein. Ich flüchte mich auf mein Zimmer, wo mich das Toben des Meeres die ganze Nacht nicht schlafen läßt.

Am Morgen, der trüb und neblig heraufkommt, kann ich in der grauen zischenden Wassermasse zu meinen Füßen die freundliche klare Fluth nicht mehr erkennen, der ich mich noch vor Kurzem so zutraulich überlassen habe. Der Tag schleicht griesgrämlich hin, erst gegen Abend treten die Wolken aus einander, der Regen hört auf und die Sonne lacht einen Augenblick hervor, als wolle sie der Welt noch vor Schlafengehen kund thun, daß sie jetzt ausgeschmollt hat. Nur das Meer wüthet immer weiter und kann sich nicht zufrieden geben.

Reine Regenluft, vermischt mit dem köstlichen Duft frisch durchnäßter Erde, dringt mir von außen entgegen, und ich eile, im Freien Athem zu schöpfen. Auf der Rückseite des Kastells, wo die Schießlöcher einen Ausblick auf Portovenere und die Inseln gewähren, war um die hohen Klippen eine prächtige Brandung. Das kleine Thörchen in der Schloßmauer war vom Winde aufgerissen, der die Fichten und immergrünen Eichen an diesem Abhang wie Weiden zusammenbog.

Hier tritt das schroffe Felsengestade zu einer kleinen Bucht aus einander und bildet zugleich nach innen eine naturliche Grotte mit einem kleinen halbmondförmigen Strand, auf dem das Meer immerwährend Kies und Muscheln ablagert. Aber der Ausgang ist heute abgeschnitten, denn das Wasser spritzt jetzt hoch uber die Felsen weg, von denen man nach dieser Bucht hinabklettern muß. Noch immer nimmt der aus Südwesten kommende Libeccio seine Backen voll, hundert Blasebälge arbeiten in der Fluth, und ich meine, den Erderschütterer Poseidon zu sehen wie er mit seinem Dreizack die Tiefen aufwühlt und unter Sprudeln des Wassers allerlei fremde Gegenstände herausschleudert, die schon seit Jahren friedlich auf dem Grund geruht haben. Kork, Stücke Holz, vielleicht die Ueberreste zerschmetterter Schiffe, treiben vermischt mit Seetang, auf der Fluth und werden mit Muscheln und Kieseln an den Strand geworfen. Aber die Welle, die sie eben hergewälzt hat, reißt sie auch wieder zurück, wie einen Ball, den eine kundige Hand wirft und hascht, und so kann das Spiel stundenlang dauern, bis ihm einmal ein stärkerer Wasserschwall ein Ende macht, indem er das Spielzeug aufs Trockene schleudert. Ein seltsam geformter dunkler Gegenstand besonders, an dem es zuweilen aufblitzt wie von Silber, kann gar nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder angeschwemmt, wird er stets aufs Neue zurückgerissen. Einmal hing er schon an einer Klippe fest, aber eine nachstürzende Welle warf ihn wieder herunter. Gar zu gern möchte ich wissen, was das für ein Ding ist, aber seine Form läßt sich nicht unterscheiden, nur will es mir scheinen, als sei es ein Werk von Menschenhand. Darüber fängt es zu dunkeln an, heute Abend kann ich meine Neugier nicht mehr befriedigen. Unten ist schon Vieles angehäuft, vielleicht liegt morgen früh auch der räthselhafte Gegenstand auf dem Sande der Bucht. –

In dieser Nacht beruhigte sich endlich das Meer, und heute früh liegt der alte Ländererstürmer wieder so friedfertig da, als ob er nie ein Wässerchen getrübt habe. Nur der Wasserstand ist noch höher als sonst, und ein leises Wallen läuft von Zeit zu Zeit über den Spiegel, wie die Brust eines Kindes, das vom Schreien müde ist, sich noch eine Zeitlang in krampfhaften Stößen hebt. Auch bei den Klippen an der kleinen Bucht ist das Wasser gefallen.

Ich lasse eilig die Leiter an die kleine Pforte legen und steige auf den ersten Rasenvorsprung hinab. Ueber die Felsen rutschend und kletternd gelangte ich in die Tiefe, aber hier begann erst der mühselige Theil der Wanderung. Die höchsten Klippen, die mir im Wege lagen, mußte ich hinauf. Und hinunterklettern, häufig durch den heraufschlagenden Wasserschaum von der einen zur andern springen, bis ich endlich mit nassen Schuhen und zerrissenen Kleidern auf der kleinen Bucht stand.

Ich sah jetzt, daß sie bedeckt war von Holzsplittern, die die Fluth zerrieben hatte, von angebrannten Kohlen, zertrümmertem Geräth, von Bimsstein, weißgewaschenen Thierknochen – darunter vielleicht auch menschliches Gebein. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß ich die Trümmer eines Schiffbruchs vor mir hatte. Als ich eine zerfetzte, von Wasser schwere Strohmatte aufhob, blitzte mir etwas Blankes entgegen, und ich zog einen ganz durchweichten kleinen Schuh hervor, an dem eine feine silberne Agraffe nur noch lose hing. Es war ein schmaler winziger Frauenschuh, wie ich noch sehen konnte, vom feinsten Leder und der zierlichsten durchbrochenen Arbeit, mit rothem Saffian gefüttert und vielfach mit Seide durchsteppt; kleine Quästchen, die jetzt zu Klumpen zusammengeballt waren, hatten ihn verziert. Der hohe Absatz war gleichfalls lose. Ich betrachtete nachdenklich die schmale hochgewölbte Sohle und stellte mir den hübschen Fuß vor, dem dieser Schuh gepaßt hatte. Wer weiß, wo jetzt die Haifische an dem nagen? mußte ich mit Grausen denken.

Ich kletterte über die Klippen zurück ins Kastell, zeigte Giacomino meinen Fund und sprach meine Vermuthungen aus. Der aber schüttelte den Kopf.

„Der Schuh kann keiner Ertrunkenen gehören,“ sagte er, „denn wenn das Leder einmal in Wasser eingeweicht ist, so bringt es keine Gewalt mehr vom Fuße. Eher glaube ich, daß ein Schiff mit solcher Waare beschädigt worden ist und seine Befrachtung über Bord geworfen hat. Es braucht darum noch nicht gerade untergegangen zu sein. In unserem Golf kommen, wie Sie wissen, selten Unglücksfälle vor.“

„Aber was bedeuten denn die vielen Holzsplitter, die zusammengewickelten Stiele, die Küchengeräthe, wie z. B. ein völlig erhaltener zinnerner Seiher und ein Theelöffel von Neusilber, die ich gefunden habe?“

Der Seemann zuckte die Achsel.

„Diese Gegenstände müssen nicht nothwendig mit dem Schuh in Verbindung sein. Da die Küste hier überall felsig ist, so treibt das Meer solche Dinge oft von weit her zusammen und wirft sie dann alle mit einander an irgend einer flachen Stelle aus. Und wer weiß, wie manches noch da unten ruht von langer Zeit her! Dort hinter dem Tino liegt ja der ‚Oncle Joseph‘ auf dem Grund mit Mann und Maus. Da mag wohl hier und da von den Fischen etwas herausgezerrt werden und an die Oberfläche kommen.“

„Uebrigens unmöglich ist es ja nicht,“ fügte er, auf meine Vermuthungen zurückkommend, hinzu. „Das Meer ist diese letzten Tage wild genug gewesen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_415.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2021)