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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Da trat, noch ehe die förmliche Verlobung stattgefunden hatte, in das Leben des achtzehnjährigen Mädchens eine jener Leidenschaften, die zum Unglücke führen, führen müssen, nicht wegen des Standesunterschiedes, auch nicht, weil sie den Familienzwist heraufbeschworen, sondern weil ihnen das Einzige fehlt, was einem solchen Bunde Segen und Dauer geben kann, die wahre, echte Liebe. Es war ein Rausch, dem Reue und Ernüchterung folgten, aber sie kamen erst, als es zu spät war.

Louise lernte einen Mann kennen, der, obgleich bürgerlicher Herkunft, sich doch den aristokratischen Kreisen vielfach zu nähern wußte. Eine blendende Erscheinung, voll glänzender Eigenschaften und von bestechender Liebenswürdigkeit, gelang es ihm, sich überall Eingang zu verschaffen, aber er war einer jener unstäten, abenteuerlichen Menschen, die in keinem Verhältnisse und an keinem Orte aushalten. Voll leidenschaftlicher Begier nach dem Glanze und Genusse des Lebens besaß er dennoch nicht die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft emporzuarbeiten, und war ein Glücksritter im vollsten Sinne des Wortes. Vielleicht liebte er die junge Gräfin wirklich, vielleicht wollte er durch sie nur eine Lebensstellung und einen Platz in der Gesellschaft erobern, genug, er wußte sie so vollständig an sich zu ketten, daß sie entschlossen war, trotz des voraussichtlichen Widerstandes des Vaters und der ganzen Familie sein Weib zu werden.

Es konnte nicht ausbleiben, daß Graf Steinrück von der Sache erfuhr, und er griff sofort mit einer Energie ein, die in diesem Falle verhängnißvoll wurde. Er glaubte mit einem Machtworte, mit Befehlen und Drohungen der Sache ein Ende zu machen, und rief damit nur jenen Trotz wach, den die Tochter von ihm geerbt hatte. Sie weigerte sich entschieden, zu gehorchen, widerstrebte energisch allen Versuchen, sie zur sofortigen Verlobung mit ihrem Vetter zu zwingen, und wußte trotz der strengsten Bewachung in Verbindung mit dem Geliebten zu bleiben. Plötzlich war sie verschwunden, und schon nach wenigen Tagen traf die Nachricht ein, daß die Trauung vollzogen und sie die Gattin Rodenberg’s sei.

Die Ehe war unanfechtbar, trotz der Eile und Heimlichkeit, mit der sie geschlossen wurde, Rodenberg hatte dafür gesorgt und Alles längst vorbereitet. Er rechnete darauf, daß Graf Steinrück den Gemahl seiner Tochter schließlich nicht verleugnen und fallen lassen könne, rechnete auf die Neigung des Vaters zu seinem Lieblingskinde, aber er kannte jene eiserne Natur nicht. Steinrück antwortete auf die Vermählungsanzeige mit der vollständigen Lossagung von seiner Tochter und verbot ihr, ihm je wieder zu nahen – sie existire hinfort nicht mehr für ihn.

Er hielt das mit unerbittlicher Konsequenz aufrecht bis zu ihrem Tode und noch darüber hinaus. Rodenberg machte anfangs noch Versuche, eine Annäherung an den Vater seiner Frau zu erreichen oder zu ertrotzen, er mußte aber endlich einsehen, daß sich von dem Grafen nichts erreichen und erzwingen ließ, und da ihm alle Hilfsquellen abgeschnitten waren, so warf er sich mit Weib und Kind wieder in das Abenteuerleben, das die Zügellosigkeit seiner Natur vollends entfesselte.

Was nun folgte, war ein unlösliches Gewebe von Schuld und Elend, ein stufenweises Sinken zum Abgrunde, und das Los der jungen Frau an der Seite dieses Gatten, dem sie Glanz und Reichthum, Heimath und Familie geopfert hatte, ließ sich nur zu leicht errathen, waren doch all die Hoffnungen gescheitert, die er an sie und ihren Besitz knüpfte. Sie verleugnete auch jetzt ihren Charakter nicht und hielt aus an der Seite des Mannes, dessen Weib sie einmal geworden war, ohne je einen Versuch zu machen, bei ihrem Vater Hilfe und Rettung zu suchen, sie wußte freilich, daß es vergebens gewesen wäre, vermochte doch nicht einmal ihr Tod ihn zu versöhnen. Jetzt deckte sie und ihren Gatten schon seit Jahren das Grab, und damit war auch jenes unselige Familiendrama begraben. –

Eine volle Woche war seit der Bestattung auf Steinrück vergangen. Graf Michael, der die ehemaligen Zimmer seines Vetters bewohnte, befand sich in dem Erkergemach und hatte soeben die Meldung empfangen, daß der Förster Wolfram, den er zu dieser Stunde befohlen hatte, angelangt sei. Er war heute in voller Uniform, denn es galt eine Fahrt nach dem benachbarten Städtchen, wo der Bruder des Souveräns eingetroffen war, um einer Gedenkfeier beizuwohnen. Selbstverständlich hatte man auch die vornehmsten Persönlichkeiten der Umgegend dazu eingeladen, und der nunmehrige Herr von Steinrück konnte sich dieser ersten officiellen Veranlassung nicht entziehen, wenn er auch mit Rücksicht auf die Familientrauer nur der Feier selbst, nicht den späteren Festlichkeiten beizuwohnen beabsichtigte. Die Stunde der Abfahrt war bereits bestimmt, indessen blieb immer noch Zeit zur Audienz für den Förster.

(Fortsetzung folgt.)




Sommerferien in Berlin.

Von Oskar Justinus.


Dabei bleibt es also, mein Schatz!“ rief der Herr Regierungsassessor lustig und drückte seiner jungen Frau wie zur Besiegelung eines soeben gemeinsam gefaßten Entschlusses einen herzhaften Kuß auf die Lippen: „wir verleben unsere Ferien in Berlin.“

Der Entschluß war ihnen aber auch nicht ganz leicht geworden: auf dem Tische lagen verschiedene, vom Buchhändler zur Ansicht erbetene Bädeker und Grieben. – Die Pläne waren ausgezogen, und neben dem gelben aufgeschlagenen Reichskursbuche erblickte man ein Blatt Papier, über und über mit Bleistiftziffern bedeckt, schier, als gälte es, eine neue Kometenbahn zu berechnen. Gegen jedes der Reiseprojekte hatten sich gewichtige Bedenken erhoben: jene Tour hatte eines der beiden Eheleute schon einmal vor ihrer Verheirathung kennen gelernt; hier war es zu geräuschvoll und dort zu öde; hier die fremde Sprache, dort die Hôtelpreise zu ungemüthlich; von überall kamen jämmerliche Regenberichte und überall war es voll von Bekannten, denen zu entgehen ja mit zu den hygienischen Forderungen an den Sommeraufenthalt gehörte. Kurz, man einigte sich, den flüssig gestellten Betrag für das nächste Jahr zu der lange geplanten italienischen Reise zurückzulegen und den Urlaub für eine vierwöchentliche Erforschung Berlins ebenso genußreich, als zweckmäßig zu verwenden, des Berlins, das man sich noch niemals, wenigstens nicht in der Weise eines Durchreisenden angesehen, des Berlins, das man vom sicheren Port der Wohnung aus genießen konnte, und zwar nicht nur zur Sommerszeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit, des Berlins schließlich, in dem sie sicherer, als in irgend welchem Sommeraufenthalte des Erdrunds, Fidschi-Inseln und Madagaskar nicht ausgeschlossen, waren, in der Zeit der Ferien keine Bekannten zu finden.

Schnell waren Bädeker und Grieben bei Seite geschoben und Aloys Henne's „Hundert Nachmittagsausflüge“ nebst dem Fahrtableau der Stadt- und Verbindungsbahn an ihre Stelle gelegt. Bald war ein vollkommener Schlacht-Ferienreiseplan entworfen: auf eine Meerfahrt – etwa auf dem Lietzensee – sollte immer eine Alpentour folgen, etwa die Besteigung des Kreuzberges, und dazwischen eine Besichtigung des zoologischen Gartens am Tage vorgenommen werden – wie neun Zehntel aller Besucher hatte man diesen nämlich immer nur des Abends gesehen, wo die Thiere schliefen etc. Die Phantasie unserer Berlin-Reisenden erfüllte sich mit den wonnigsten Bildern, die Aussicht, nach fünfjähriger Ehe wie ein verliebtes Flitterwochenpaar im fremden Menschengewühl sich umherzutreiben, entfesselte alle Fröhlichkeit in ihren Herzen.

Aus diesen behaglichen Träumen riß sie ein ziemlich unvermitteltes Reißen an der seit langer Zeit wenig in Anspruch genommenen Klingelschnur. Beide sprangen erschrocken auf: Alles, was Interesse oder Beziehung zu ihnen hat, ist ja doch verreist; wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, um neun Uhr Abends ihre Ruhe zu stören? Es war der Depeschenbote, der mit einer diesen Leuten eigenen Unschuldsmiene das verhängnißvolle Telegramm überbrachte:

„Komme 10.26. Schlesischen Bahnhof.  Eugen.“

Eine Zeit lang glaubten Beide, daß dieses Telegramm nur durch einen Irrthum an ihre Adresse gelangt sei, und man war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_428.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)