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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Hans Wehlau, der Jüngere, war ein schlanker, bildhübscher Junge von vierundzwanzig Jahren, dessen Aeußeres allerdings noch sehr die Würde des künftigen Professors vermissen ließ. Das Strohhütchen saß keck und schief auf dem dunkelblonden Haare, und der höchst kleidsame Anzug, das Sommerjaquet mit dem umgeschlagenen Hemdkragen, hatte ein entschieden mehr geniales als gelehrtes Ansehen. In dem jugendlich frischen Gesichte blitzten ein paar lustige, lachende Augen, und die ganze Erscheinung hatte etwas so Herzgewinnendes, daß man den Vaterstolz begriff, mit dem der Professor auf seinen Sohn schaute.

„Nun, Du Sausewind, da bist Du ja!“ sagte er heiter. „Ich habe die Tante soeben darauf vorbereitet, daß es wieder Unheil in ihrem Hause geben wird, wie stets, wenn Du da bist.“

„O nein, Papa, diesmal beabsichtige ich vernünftig zu sein, ungeheuer vernünftig,“ versicherte Hans und lieferte auf der Stelle den Beweis davon, indem er die Frau Bürgermeisterin, die eben ahnungslos ihr Schlüsselkörbchen niedersetzte, plötzlich umfaßte und mit ihr durch das Zimmer walzte, trotz all ihres Sträubens.

„Du böser Bube, willst Du mich wohl in Frieden lassen!“ schalt sie athemlos, als er sie endlich losließ und ihr mit abgezogenem Hute eine tiefe Verbeugung machte.

„Verzeihung, Tante, aber das war die nothwendige Einleitung zu meiner Botschaft. Man verlangt im Küchendepartement dringend Deine Gegenwart, und ich habe die Vermittelung übernommen, da ich mich sehr gern im Hause nützlich mache.“

Die Nützlichkeitsbestrebungen ihres Neffen schienen der Frau vom Hause doch einigermaßen verdächtig zu sein, denn sie fragte in sehr gedehntem Tone:

„Was hast Du denn in der Küche bei den Mägden zu suchen?“

„Mein Gott, ich habe nur die alte Gretel begrüßt,“ erklärte Hans mit der unschuldigsten Miene.

„So? Und die junge Leni war wohl nicht dabei?“

„Die habe ich mir vorstellen lassen, da ich sie noch nicht kannte. Als Verwandter des Hauses ist das meine Pflicht. O, ich habe eine sehr häusliche Richtung!“

„Mein lieber Hans,“ sagte die Frau Bürgermeisterin resolut. „Deine häusliche Richtung kann ich hier nicht brauchen, und wenn sie Dich noch einmal in die Küche führen sollte, wird der Riegel vorgeschoben, merke Dir das.“ Damit nickte sie ihrem Schwager zu und ging in voller Majestät zur Thür hinaus.

„Nimm Dich in Acht,“ sagte der Professor strafend. „So sehr Du auch das Herzblatt der Tante bist, in dem Punkte versteht sie keinen Spaß, und mit vollem Rechte. Wenigstens wird sie nun wohl über Deine sogenannte Verzweiflung beruhigt sein, sie hält hartnäckig an der Idee fest, Du fühltest Dich unglücklich in Deinem Berufe.“

„Nein, Papa, ich bin gar nicht unglücklich!“ versicherte der junge Mann, indem er sich rittlings auf einen Stuhl setzte und sich seelenvergnügt im Zimmer umschaute.

„Das habe ich auch nie vorausgesetzt. Dergleichen thörichte Jugendideen fallen von selbst, sobald man anfängt, sich mit ernsten Dingen zu beschäftigen.“

„Jawohl, Papa!“ stimmte Hans bei, der sich angelegentlich damit beschäftigte, seinen Stuhl in eine schaukelnde Bewegung zu bringen, was ihn höchlich zu amüsiren schien.

„Und das Ernsteste ist wohl die Wissenschaft,“ fuhr Wehlau mit Nachdruck fort. „Ich habe leider in der letzten Zeit – Hans, man benutzt die Stühle nicht zum Reiten, diese Studentengewohnheit mußt Du ablegen, sie paßt nicht mehr für den angehenden Doktor – ich habe wenig Zeit gehabt, Deine Studien eingehend zu prüfen. Du weißt ja, daß mein großes eben vollendetes Werk mich gänzlich in Anspruch genommen hat. Jetzt aber bin ich frei, und nun wollen wir das Versäumte nachholen.“

„Jawohl, Papa!“ sagte Hans, der allerdings die väterliche Mahnung beherzigt und den Stuhl verlassen hatte, aber dafür saß er jetzt auf der Tischkante und schlenkerte mit den Füßen. Der Professor sah das zum Glück nicht, da er gerade etwas auf seinem Schreibtisch ordnete, und sprach ruhig weiter.

„Die Studienzeit liegt jetzt hinter Dir und hoffentlich auch ihre Ausgelassenheit. Ich rechne unbedingt auf größeren Ernst, wenn ich Dich nunmehr in die Wissenschaft einführe. Nimm Dich zusammen, Hans, Du wirst es mir einst noch danken, wenn Du als Professor auf meinem Lehrstuhle docirst.“

„Jawohl, Papa!“ sagte der gehorsame Sohn zum dritten Male, sprang aber in demselben Augenblick mit einem Satze vom Tische, denn der Vater hatte sich umgewandt und sandte ihm einen unwilligen Blick zu.

„Kannst Du Dir denn diese burschikose Art nicht abgewöhnen? Nimm Dir ein Beispiel an Michael, der würde sich nie dergleichen erlauben.“

„Nein, gewiß nicht,“ lachte Hans übermüthig. „Der Herr Lieutenant ist ja auch zu Hause das verkörperte Dienstreglement. Immer Gewehr beim Fuß, immer zugeknöpft bis an den Hals. Wer hätte das gedacht, als er damals zu uns kam! Da war er noch der scheue blöde Bube, der die Welt und die Menschen anstaunte, wie etwas Unerhörtes. Ich habe ihn im Anfange vollständig unter meine Flügel nehmen müssen.“

„Nun, ich dächte, er wäre ihnen bald genug entwachsen,“ sagte der Professor sarkastisch.

„Leider! Jetzt hat sich das Verhältniß umgekehrt, und er kommandirt mich. Aber gestehe es nur, Papa, Du verzweifeltest im Anfang auch daran, irgend etwas Menschliches aus ihm zu machen.“

„Was die äußeren Formen betraf, allerdings. Gelernt hatte er damals schon viel mehr, als ich voraussetzte, mein Bruder ist ihm ein trefflicher Lehrer gewesen, als er aber erst einmal erwacht war, hat er auch mit so eisernem Fleiße, mit so unermüdlicher Ausdauer an sich gearbeitet, daß ich oft genug die Thatkraft bewunderte, mit der er sich aus der alten Knabenträumerei emporriß.“

„Ja, Michael ist stets Dein Liebling gewesen,“ schmollte Hans. „Den hast Du auch nie gezwungen, Du warst sofort einverstanden, als er Soldat werden wollte, ich dagegen –“

„Das ist etwas ganz Anderes!“ unterbrach ihn der Vater. „Michael ist darauf angewiesen, sich seinen Lebensweg und seine Zukunft selbst zu schaffen, und wie er nun einmal ist, taugt er am besten zum Soldaten. Dies rücksichtslose Draufgehen auf das Ziel, ohne rechts oder links zu blicken, dies starre Pflichtgesetz, dies oft tyrannische Beugen jedes widerstrebenden Elementes unter eine eiserne Disciplin decken sich völlig mit seinem Charakter, deßhalb wird er auch seinen Weg machen. Du dagegen sollst meine Saat ernten und mußt deßhalb auf meinem Felde bleiben, Dir wird es bequem genug gemacht im Leben.“

Die Miene des jungen Mannes verrieth, daß er sich sehr wenig aus dieser Bequemlichkeit mache, plötzlich aber fuhr er auf und rief fröhlich:

„Da kommt Michael!“

(Fortsetzung folgt.)




Wohin?

Eindrücke vom Nord- und Ostseestrand.0 Von Hermann Heiberg.


Immer ist noch das Räthsel zu lösen, weßhalb der Blick auf das Meer niemals ermüdet, die schönste Landschaft aber zuletzt einen einförmigen Charakter annimmt.

Vielleicht liegt das Räthsel in dem Räthsel selbst!

Wie das Antlitz eines Menschen nur einen Theil verräth von dem, was in seinem Innern vorgeht, und immer von Neuem zum Nachdenken anzuregen vermag, so hat auch die Welle ihr verborgenes Leben, und ihre Erscheinung hat etwas Majestätisches, dem der Beschauer sich unwillkürlich unterordnet.

Freier, vornehmer ist das Antlitz des Meeres, als das der Landschaft; selbstbewußter erscheint die See, und Größeres, Gewaltigeres pulsirt in ihr schon durch das ruhelose Wesen. – Aber auch ihr Athem ist ein reinerer, reiner selbst, als der des Waldes, welcher durch seine schweigsame Würde etwas Verwandtes aufweist.

Alle Berichte aus den frühesten Zeiten der Erdentwickelung sprechen von dem großen Wasser, aus dem erst das Land sich schied.

Die Woge trennte sich von dem Lande. Einst waren sie vermählt. Nun umspült das Meer die Küsten, wie man sich einem guten Freunde liebkosend naht, und nur, wenn einmal der Zorn die Welle peitscht, stürmt sie mit gierigem Anlauf gegen die feste Erde auf und erinnert diese an die frühere Herrschaft, – an ihre immer noch bestehende Macht.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_466.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2021)