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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

undurchführbar, und eine weitere Annäherung zu Schiff hätte die Forscher unabwendlich in den Katarakt hinabgerissen. Erst am 9. November 1884 konnte die Reise fortgesetzt werden.

Mittlerweile hatte man sechs Bauern durch Ueberredung zu gewinnen gewußt. An diesem Tage begaben sich Anton Hanke, Joseph Marinitsch und Friedrich Müller zu Fuß durch die Schmidl-Grotte an jene Stelle des Ufers, welche von dem Forscher „Hafen“ benannt worden war. Drei Boote wurden in das Wasser gelassen. Um neun Uhr Vormittags fuhren zwei dieser Boote ab. Hanke saß in dem ersten, Müller im zweiten. Damit sich die Insassen einander besser beistehen konnten, waren die beiden Boote durch ein Schlepptau mit einander verbunden.

Auf diese Weise geleitete Müller seinen Genossen Hanke, der noch einen Bauern, Namens Jednak, zu sich ins Boot genommen hatte, bis zu einer Stelle, von welcher aus es bei dem damaligen Wasserstande möglich war, zu Fuß bis zum Lorelei-Felsen vorzudringen. An dieser Stelle landete Hanke mit seinem Genossen, um den gedachten Felsen zu erreichen und dort das Nöthige für die Ueberwindung des Wasserfalles vorzubereiten. Später wurde auch Marinitsch an dieser Stelle ans Land gesetzt, um die Vorbereitungen zu einem Brückenschlage zu treffen, der im Svetina-Dom oberhalb des Wasserfalles ausgeführt werden sollte. Dieser Brückenschlag hatte den Zweck, zur leichteren Beischaffung des Materiales dort unten die beiden Ufer zu verbinden. – Eine Menge von schweren Gegenständen mußte zunächst auf die Höhe des Lorelei-Felsens geschafft werden. Um mit allen diesen Lasten zu demselben zu gelangen, war man genöthigt, vorerst eine Höhe zu überklettern, für deren Beschreibung ich kein anderes Bild weiß, als das einer Mondlandschaft im Kleinen.

Die Felsen waren dort so scharfkantig, von der Wirkung der Hochfluthen zerfressen, durchbohrt, abgeschliffen und zugespitzt, daß es schon für einen einzelnen Menschen ein Ding von großer Schwierigkeit war, dort hinüber zu kommen. Trotzdem gelang es der ganzen Gesellschaft, mitsammt ihrem Gepäck und ihren Lasten jene Höhe zu überschreiten. Eine besondere Schwierigkeit war es, sich davor zu verwahren, daß man in die Wassertümpel hineinglitt, welche sich auf jenem Hang überall, von scharfen Rändern umgeben, in den Felsen eingegraben haben.

Endlich war die Höhe des Lorelei-Felsen erreicht. Die Temperatur betrug hier + 8° C., während draußen, vor dem Eingang in die Unterwelt + 6,8° C. gemessen worden war. Die Temperatur des Wassers wurde zu + 5,8° C. gefunden.

Unterirdischer Lauf der Reka bei Sanct Canzian.
Müller-Dom mit dem 6. und 7. Wasserfall, Lorelei-Felsen und See.

Man war jetzt bereits bis zu jener Gegend der Unterwelt vorgedrungen, in welcher es der Wärme nach ebenso wenig Jahreszeiten giebt, als man die Räume, in welchen noch ein Unterschied zwischen Nacht und Tag wahrnehmbar ist, schon vor dem zweiten Wasserfall hinter sich hatte.

Die Arbeit der Gesellschaft zerfiel hier in zwei Theile. Vorerst mußte das Boot, in welchem die Fahrt unterhalb des Wasserfalls fortgesetzt werden sollte, bis zum Rande des Flusses über das steile Ufer hinabgelassen werden. Sodann mußte es unten Jemand in Empfang nehmen und so in die aufwallenden Strudel der Wasser einsetzen, daß es, wenn man es an einem Tau über den Katarakt hinabließ, unterwegs nicht umschlug. – Mittlerweile waren die Spitzen der Felsenhügel, welche jenen Schauplatz umgeben, allenthalben beleuchtet worden, und die Gesellschaft war im Stande, alle einzelnen Vorgänge gut zu überschauen. Von einer wechselseitigen Verständigung durch Zurufe konnte wegen des Brausens der Wasser keine Rede sein. Es mußte deßhalb zu den Signalwerkzeugen der Grotten-Reisenden, den Hifthörnern, gegriffen werden. Der Gesellschaft wurde hier ein Anblick, wie ihn noch nicht viele Menschen gehabt haben. Ringsum Berge, Thäler und rinnende Wasser, wie auf der Oberwelt. Die Ähnlichkeit mit der Mondlandschaft zeigte sich auch in den schwarzen Schlagschatten, von welchen jene Schlüfte ausgefüllt waren, wohin das Blinken der Magnesiumflamme, welche wie weißglühendes Eisen leuchtet, nicht drang. Die Fackeln, die man hier und dort umherirren sah, erschienen dagegen wie trübe, braunrothe Punkte. Dämonisch war der Anblick des schaumbedeckten Kataraktes und der Traufen, welche von ihm in die Kegel der Magnesiumlichter hinaufflogen. Es war ein Strom von silberweißem Feuer, wie ihn noch keine Einbildungskraft eines Dichters gesehen hat. Dazu flimmerte es in der Luft weit hinauf von leuchtenden Punkten in allen Farben. Es war dies der Wasserstaub, angeglänzt von den mannigfaltigen Lichtern der Reisenden. Zugleich nahmen sie eine Erscheinung wahr, wie sie Grottenwanderern des Karstes nicht selten wird. Die hohe Decke des Gewölbes, zu welcher nur schwächliche Streiflichter der Flammen aus der Tiefe hinaufreichten, erschien ganz und gar wie der dunkle Nachthimmel der Oberwelt, über welchen leichte Wölkchen ziehen, die von einem noch unterhalb des Gesichtskreises stehenden Vollmond leicht angeglänzt sind. Diese Täuschung wird hervorgebracht durch die schwarzgraue Färbung des Gesteines oben, an welches sich hier und da flache Krystallbildungen von Kalksinter angelegt haben. Diese letzteren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_469.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2022)