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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

haben wir Euch schon in der vergangenen Woche erwartet. Weßhalb seid Ihr so spat gekommen?“

„Michael’s wegen, dessen Urlaub sich verzögerte, weil er erst seine Leute von den Uebungen zurückführen mußte. Als ich ihn in der Garnison abholte, oder vielmehr abholen wollte, denn ich hatte Glück dabei -“

„Wie gewöhnlich!“ schaltete der Professor ein.

„Nun ja, ich hatte mich auf volle acht Tage in der langweiligen Provinzialstadt gefaßt gemacht und höre bei meiner Ankunft, daß sich Michael drei Meilen davon in dem höchst amüsanten Badeorte befindet, in dessen Umgegend manövrirt wurde. Natürlich fuhr ich schleunigst nach und segnete diese weise Verfügung der Militärbehörde. Der Herr Lieutenant steckte freilich bis über die Ohren im Diensteifer und war taub und blind für alles Andere, sogar für eine Bekanntschaft, um die ihn das gesammte Officierkorps beneidete, und mit der er gar nichts anzufangen wußte. Es war sonst nicht möglich, Zutritt bei der Gräfin Steinrück zu erlangen, da sie recht leidend war.“

Der Professor wurde aufmerksam bei dem Namen und sandte einen forschenden Blick zu Michael hinüber.

„Gräfin Steinrück?“

„Auf Berkheim! Du kennst sie ja, Papa, denn wie die Gräfin mir mittheilte, bist Du als junger Arzt vielfach im Hause, ihrer Schwiegereltern gewesen und auf ihre Bitte sogar an das Sterbebett ihres Gatten geeilt, sie ist Dir noch heute dankbar dafür.“

„Gewiß kenne ich sie, aber wie kamst Du denn zu der Bekanntschaft, Michael?“

„Durch Zufall,“ versetzte der Gefragte lakonisch.

„Seine Schuld war es allerdings nicht,“ spottete Hans, mit einer Unbefangenheit, die deutlich verrieth, daß er die Rolle nicht kannte, die der Name Steinrück in dem Leben Michael’s spielte. „Ich muß Dir die Geschichte ausführlich erzählen, Papa, sie fängt hochromantisch an. Also, Michael sitzt im Walde – das heißt eigentlich hält er dort und kommandirt seine Leute – und läßt lustig drauf losschießen. Da kommt ein Wagen die Chaussee entlang, die in einiger Entfernung vorbeiführt. Die Pferde werden scheu bei dem Lärm der Schüsse, sie gehen durch, der Kutscher verliert die Zügel und die Gefahr ist unabwendbar, da stürmt der Ritter und Retter aus dem Waldesdunkel herbei, bändigt die Thiere, hält den Wagen auf, trägt die ohnmächtigen Damen heraus –“

„Bleib’ bei der Wahrheit, Hans!“ fiel der junge Officier unmuthig ein. „Weder die Gefahr noch die Heldenthat waren so groß, als es Dir beliebt, sie zu schildern. Ich sah allerdings, daß die Pferde scheu wurden, und sprengte heran, um ein Unglück zu verhüten, aber die Thiere standen sofort, als ich ihnen in die Zügel fiel, und die Damen blieben ruhig im Wagen. Du mußt Alles in das Poetische hinaufschrauben.“

„Und Du ziehst Alles in die Nüchternheit herab,“ gab Hans ärgerlich zurück. „Ich habe die Geschichte aus dem eigenen Munde der Gräfin, die hartnäckig darauf besteht, in Dir ihren Lebensretter zu sehen, was Du eben so hartnäckig leugnest.“

Michael zuckte die Achseln und wandte sich an den Professor.

„Die Gräfin behauptete das in der That, und da das Haus, in dem ich wohnte, dicht neben ihrer Villa lag, so ließ sich ein öfteres Zusammentreffen nicht vermeiden. Ich war aber sehr von dem Dienst in Anspruch genommen und hatte wenig Zeit übrig.“

„Ja, er hatte immer und ewig Dienst!“ rief Hans entrüstet. „Man bekam ihn schließlich gar nicht mehr zu Gesichte. Ich erreichte es nur mit Mühe, daß er mich überhaupt vorstellte, und dann ging er wieder davon, und überließ es mir, sein unverantwortliches Benehmen wieder gut zu machen. Die Damen kamen ihm mit der größten Liebenswürdigkeit entgegen, aber er blieb wie ein Eiszapfen!“

„Michael wird wohl seine Gründe gehabt haben,“ sagte Wehlau kühl. „Und wenn er die Zurückhaltung für geboten hielt, so hättest Du seinem Beispiele folgen sollen.“

„Nein, das war schlechterdings nicht möglich, dazu war die junge Gräfin zu schön. Eine Gestalt, wie aus einem unserer Feenmärchen, prachtvolles, goldblondes Haar, Augen, die wie Sterne glänzen! Sie können berücken, diese Augen.“

„Und verhöhnen!“ ergänzte Michael in einem Tone, dessen Kälte seltsam mit dem Enthusiasmus seines Freundes kontrastirte. „Hüte Dich vor ihnen, Hans, es ist ein trauriges Schicksal, erst verlockt und dann verlacht zu werden.“

„Du meinst, weil Gräfin Hertha für sehr hochmüthig gilt? Ich glaube allerdings auch, däß ein Sterblicher, der nicht mindestens sechzehn Ahnen zählt, sich einen empfindlichen Korb holen würde, wenn er die Kühnheit haben sollte, um sie zu werben. Da ich aber nicht nach dieser Ehre geize, so stört das meine Bewunderung durchaus nicht. Und wenn ich mich von diesen Augen wirklich verlocken lasse –“

„Das wirst Du bleiben lassen!“ schnitt ihm der Vater mit vollem Nachdruck das Wort ab. „Du hast Dich jetzt weder um Feenmärchen noch um Sternenaugen zu kümmern – dergleichen Unsinn verbitte ich mir überhaupt – sondern einzig und allein um Deine bevorstehende Dissertation.“

Die beiden jungen Männer wechselten einen raschen, etwas eigenthümlichen Blick mit einander, dann sagte Michael mit leichtem Spott:

„Sei ohne Sorge, Onkel. Wenn Hans auch wirklich Feuer gefangen haben sollte, dergleichen hat bei ihm keine Gefahr – es kommt zu oft vor.“

„Ja, er hat bisher nur Kindereien und Thorheiten getrieben, aber jetzt wird er die Güte haben und sich zum Ernst bequemen. Ich habe mich für heute Vormittag frei gemacht, und nun wollen wir endlich einmal eingehend über Deine Studien sprechen, Hans. Der Ueberblick, den Du mir bei den Ferienbesuchen gabst, ist doch immer nur ein flüchtiger gewesen, ich wünsche jetzt Näheres zu hören.“

Wieder wechselten die Beiden jenen Blick, der auf ein geheimes Einverständniß zu deuten schien, der Professor aber erhob sich und sagte flüchtig:

„Ich will nur noch der Leni einschärfen, daß sie die heutige Postsendung pünktlich besorgt. Ich komme sogleich zurück.“ Damit ging er hinaus.

Hans sah ihm nach, schlug die Arme über einander und sagte halblaut:

„Jetzt wird die Bombe platzen!“

„Nimm die Sache nicht so leicht,“ warnte Michael. „Du hast jedenfalls einen harten Kampf zu bestehen, der Onkel wird außer sich sein.“

„Das weiß ich, deßhalb bin ich auch gewappnet und gerüstet. Du willst doch nicht etwa fort? Das geht nicht, ich kann die Reserven nicht entbehren bei der bevorstehenden Schlacht. Wenn es gar zu heiß hergeht, ziehe ich Dich als Hilfskorps heran. Thu’ mir den Gefallen und bleibe.“

„Ich bin froh, daß die Heimlichkeit ein Ende nimmt,“ sagte der junge Officier unmuthig, indem er sich in die Fensternische zurückzog. „Ich hatte Dir mein Wort gegeben, zu schweigen, aber es ist mir schwer genug geworden, schwerer als Dir.“

„Pah, ich wußte mir nicht anders zu helfen. Bei Euch Soldaten gilt auch die Kriegslist für erlaubt. Still, da kommt der Papa zurück – jetzt zur Attacke!“

Der Professor kehrte in der That zurück und nahm behaglich in seinem Lehnstuhl Platz, während er seinen Sohn zu sich heranwinkte.

„Du bist jedenfalls in guten Händen gewesen,“ begann er. „Mein Kollege Bauer ist eine Autorität in unserem Fach und steht gänzlich auf meinem Standpunkte. Das war auch der Grund, weßhalb ich Deinen Bitten nachgab und Dich noch auf zwei Jahre nach B. schickte. Ich fürchte allerdings, daß es Dir in erster Linie um das lustige Studentenleben dort zu thun war, ich hielt es aber trotzdem für gut, wenn Du Deine Studien unters einer anderen Leitung fortsetztest, die Grundlage dazu hast Du ja doch von mir empfangen. Nun laß hören!“

Dem jungen Manne schien es doch etwas heiß zu werden bei dieser Einleitung, er drehte verlegen sein zierliches Schnurrbärtchen und stotterte ein wenig bei der Antwort:

„Ja, Professor Bauer – ich habe seine Vorlesungen besucht – sehr regelmäßig sogar.“

„Selbstverständlich! Ich hatte Dich ja hauptsächlich an ihn empfohlen.“

„Aber gelernt habe ich gar nichts bei ihm, Papa.“

Wehlau runzelte die Stirn und sagte zurechtweisend:

„Hans, es ist unpassend, einen verdienstvollen Gelehrten in dieser Weise zu kritisiren. Sein Vortrag läßt allerdings Manches zu wünschen übrig, aber seine Leistungen sind sehr bedeutend.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_482.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2021)