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Blätter und Blüthen

Obermedicinalrath Dr. Bernhard von Gudden †. Am 7. Juni feierte Dr. von Gudden, der verdiente Direktor der großen oberbayerischen Kreisirrenanstalt in München, im Kreise seiner Familie seinen zweiundsechzigsten Geburtstag, wenige Tage darauf sahen ihn dann die Seinen zur Lösung einer verantwortungsvollen Aufgabe von sich scheiden – auf kurze Zeit, wie Gudden annahm und wie es die Familie hoffte, in der That jedoch für immer. Mit dem unglücklichen König Ludwig II. fand am 13. Juni auch Gudden in den Wellen des Starnberger Sees seinen Tod, nachdem er es vergeblich versucht hatte, den geisteskranken König zu retten.

Dr. Bernhard von Gudden.

Gudden wurde in den schönen Rheinlanden zu Cleve am 7. Juni 1824 geboren. Als der dritte von sieben Brüdern besuchte er die Schulen seiner Vaterstadt und ging nach vollendeten Gymnasialstudien auf die Universitäten Bonn, Halle und Berlin. Er hatte sich das schwierige Gebiet der Psychiatrie zum Specialstudium gewählt und begann seine praktische Thätigkeit an der Irrenheilanstalt zu Siegburg. Später wirkte er vier Jahre zu Illenau in Baden und nahm dann 1855 einen Ruf an die unterfränkische Kreisirrenanstalt Werneck an, mit deren Leitung er betraut wurde. Das Jahr 1869 führte ihn nach Zürich an die Universität und die neu erbaute Kantonalirrenanstalt.

Inzwischen hatte sich aber der Ruhm des bewährten Irrenarztes bereits so weit verbreitet, daß König Ludwig II. von Bayern ihn an die Hochschule nach München berief, und als nach dem Tode des Direktors Dr. Solbrig 1873 eine neue geeignete Persönlichkeit mit der Oberleitung der oberbayerischen Kreisirrenanstalt betraut werden mußte, da fiel die Wahl der königlichen Regierung auf Gudden. In dieser letzteren Stellung befand er sich auch noch, als die schwierige Aufgabe an ihn herantrat, deren Lösung durch den tragischen Lebensabschluß des königlichen Kranken wie des ihn behandelnden Arztes unmöglich gemacht wurde.

Die medicinische Wissenschaft und insbesondere die Irrenheilkunde verlor in Gudden einen ihrer hervorragendsten Vertreter; seine näheren Angehörigen aber, die Untergebenen, die seiner treuen Obhut anvertrauten Kranken betrauern in ihm einen Mann von den seltensten Fähigkeiten, dessen Energie und Gerechtigkeit ihm Achtung und Vertrauen, dessen wohlwollendes freundliches Lächeln ihm im Leben die Herzen seiner Kranken und eines Jeden gewann, der mit ihm verkehrte. D. Th.     

Aus der Jugendzeit zweier Könige. (Mit Portraits S. 481.) Vor etwa 24 Jahren stand in der Münchner Maximiliansstraße mancher Spaziergänger betrachtend still vor der Photographie-Auslage mit dem Bildchen, welches wir im Holzschnitt unseren Lesern vorführen. Ein liebenswürdiger, erfreulicher Anblick, selbst wenn man nicht wüßte, daß die beiden sehr jugendlichen Träger der Infanterielieutenantsuniform mit der Schützenauszeichnnng auf der Brust die königlichen Prinzen Ludwig und Otto waren, damals der Stolz und die Freude ihrer erlauchten Eltern, die im Hinblick auf die beiden frisch aufblühenden Knaben die Erbfolge ihres Hauses für fest gegründet hielten. Stramm aufgerichtet steht der dreizehnjährige Otto, sein rundes Kindergesichtchen zeigt die auffallendste Aehnlichkeit mit der Mutter, während die Züge des bildschönen siebzehnjährigen Ludwig an beide Eltern erinnern. Fremd aber sehen die wunderbaren, träumerischen Augen auch hier schon aus dem Bilde heraus, und zu dem idealen Gesichtsausdruck würde ein Don Carlos-Kostüm besser passen, als die Uniform des Leibregiments.

Wer damals die beiden jungen Prinzen sah und sprach, freute sich an der Schönheit des älteren und der kindlichen Munterkeit des kleinen, der im Gegensatz zu seinem poetischen Bruder der geborene Realist und eine im Uebrigen durch und durch gesunde Natur schien. Und nun, welches schreckliche Verhängniß für Beide!

Es werden jetzt in der Presse so viel falsche Nachrichten über die verfehlte Erziehung der beiden Prinzen verbreitet, daß ich es für gerathen hielt, für die folgenden Zeilen mir die Auskunft eines hochgestellten Mannes zu erbitten, der seiner Zeit als täglicher Beobachter das Leben der Königsfamilie mit ansah und als klassischer Zeuge dafür gelten muß. Nach seiner Versicherung ist es gänzlich unwahr, daß die Prinzen grundsatzgemäß kein Spielzeug erhielten und auffallend strenge gehalten wurden. Sie hatten ganz im Gegentheil eine Menge sehr schöner Spielsachen, darunter sogar, was vom ärztlichen Standpunkte aus vielleicht zu beanstanden gewesen wäre, ein Karrousel, auf dem sie nach Belieben fahren durften. In den Freistunden natürlich. Denn das Lernen war allerdings von König Max, dessen Jugenderziehung unter dem genialen Vater nicht zum Besten besorgt worden, als Hauptsache im Tageslauf seiner Söhne erklärt.

Den ersten deutschen Unterricht gab den Prinzen der sehr tüchtige Volksschullehrer Klaß, der seines Amtes an einer der vorzüglichen Münchener Schulen enthoben und vom König in sorgenfreie Lage versetzt wurde, um sich ganz seinen Zöglingen widmen zu können. Neben ihm stand für die körperliche Pflege eine freundliche und verständige Gouvernante, Fräulein Meilhaus, an der die Knaben mit Zuneigung hingen; den Gymnasialunterricht ertheilte ihnen der ausgezeichnete Philologe Steininger, und Abt Haneberg war der Religionslehrer. Man sieht also, der Unterricht dieser Prinzen war nach damaligen Begriffen sehr gut bestellt, und König Max hat die damals allgemein übliche Isolirung der Prinzen nicht zu verantworten. Der Kronprinz entschädigte sich dafür früh in einer idealen Traum- und Phantasiewelt, er war begabt und lernte leicht, nur nicht Rechnen, welches ihm niemals einging. Aber Gedichte las er leidenschaftlich, konnte seinen Schiller auswendig und begann mit sechzehn Jahren schon einen neuen „Wilhelm Teil“, später einen neuen „Faust“, ließ aber aus leicht begreiflichen Gründen Beides unvollendet.

Scheu war und blieb der junge Ludwig, nicht nur gegen den König, sondern gegen Alle am Hofe, er schickte immer gern den Kleinen voran, wenn er unbekannte Personen bei den Eltern wußte; es kostete auch stets Mühe, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, dann aber, wie mein Gewährsmann versichert, habe er stets in Fragen und Antworten einen lebhaften Geist gezeigt. Mein Gewährsmann theilte mir eine kleine Geschichte mit, die ihm einst König Ludwig selbst erzählte und welche mir sehr charakteristisch für dessen späteren Charakter scheint.

„Sehen Sie, was für ein komisches Kind ich doch war“, fing Ludwig an und erzählte dann, wie er und der kleine Otto einstmals, von Fräulein Meilhaus begleitet, von Hohenschwangau nach Füssen herunter auf den Jahrmarkt gingen. Zwischen den Ständen mit allerlei ländlichen Herrlichkeiten herumschlendernd, fühlte sich der achtjährige Kronprinz sehr angezogen durch einen himmelblauen, perlengestickten Beutel mit glänzender Tombackschließe. Er nahm also ganz einfach den Gegenstand seiner Wünsche vom Verkaufstisch weg und steckte ihn in die Tasche. Die Gouvernante, welche das mit angesehen, bezahlte den Verkäufer, ohne davon gegen den Prinzen Erwähnung zu thun. Erst in Hohenschwangau zeigte er ihr triumphirend den Beutel.

„Haben Sie ihn denn auch bezahlt, Kronprinz?“ fragte Fräulein Meilhaus. Ludwig erwiderte hocherstaunt: „Ja, muß man denn das bezahlen? Warum nicht gar! Die Leute freuen sich ja, wenn mir etwas von ihren Sachen gefällt!“ Hierauf hielt ihm die treffliche Gouvernante einen längeren Vortrag über Eigenthumsverhältnisse, und mitten darin sprang Ludwig ans Fenster, öffnete und warf den Beutel hinunter in den Park. „So“, rief er aus, „jetzt habe ich ihn nicht mehr, jetzt können ihn die Leute wieder holen!“ Hiermit war für seinen Begriff Alles abgemacht, und es fiel ihm nicht ein, sich um diese Sache noch weiter zu kümmern.

In den Aeußerungen des Kindes spiegelt sich oft schon der künftige Mensch. Ob König Ludwig ein Anderer geworden wäre, wenn er unter normalen Verhältnissen, in der Wärme eines herzlichen Familienlebens hätte aufwachsen dürfen? Niemand kann das sagen, aber mit Wehmuth blickt man heute nach seinem tragischen Ende auf die jugendschönen Züge, die ein so reiches Leben zu verheißen schienen! R. Artaria.     

Die Aufbahrung und der Leichenzug König Ludwig’s II. Unser Bild auf Seite 488 zeigt die Leiche König Ludwig’s in der Großmeistertracht des Hausordens vom heiligen Hubertus auf hohem, lichterumstrahltem Katafalk, und zu beiden Seiten der von den treuen Bewohnern der Berge mit Alpenrosen geschmückten Bahre halten Hartschiere in Gala-Uniform die Todtenwacht. Auf der Brust des Königs ruht der von der Kaiserin von Oesterreich gewidmete Strauß von Jasminblüthen. Vor dem Katafalke sieht man die Gruppen der Leidtragenden vorüberschreiten, welche in Scharen gekommen sind, den todten König ein letztes Mal zu sehen. – Das Doppelbild auf Seite 492 und 493 giebt den Augenblick wieder, in welchem sich der Trauerzug seinem Endziele, der Michaelskirche, durch das Karlsthor nähert. Einen kurzen Hinweis auf den Zug enthält der Artikel „Die bayerische Königstragödie“ II, in vorliegender Nummer der „Gartenlaube“.


Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 481. – Die bayerische Königstragödie. II. S. 484. Mit Illustrationen S. 485, 488, 492 und 493. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 489. – Eine Razzia auf Flußpiraten. Scene aus dem New-Yorker Leben bei Nacht. Von Hermann Haardt. S. 495. – Ein Veteran der „Gartenlaube“. Mit Portrait S. 497 – Blätter und Blüthen: Obermedicinalrath Dr. Bernhard von Gudden †. Mit Portrait S. 500. – Aus der Jugendzeit zweier Könige. Von R. Artaria. S. 500. Mit Portraits S. 481. – Die Aufbahrung und der Leichenzug König Ludwig’s II. S. 500.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_500.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)