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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

im Wasser, vermochte seinem ernsten ungeselligen Freunde nur eine vorübergehende Aufmerksamkeit abzugewinnen; er war mehr Beobachter als Theilnehmer dabei.

Auf seiner Wanderung durch die verschiedenen Gemächer gelangte er endlich in das Gewächshaus, das die Gesellschaftsräume abschloß und durch Palmen, Lorbeerbäume und Blumengruppen zu einem stillen, lauschigen Ruheplatze umgeschaffen war.

Hier war es kühl und einsam, und der junge Officier fühlte keine Neigung, sofort wieder in die heißen Zimmer zurückzukehren, wo ihn Niemand vermißte. Langsam ging er von einer Pflanzengruppe zur andern, bis er in seinen Betrachtungen durch den Eintritt des Oberst Reval gestört wurde.

„Wieder so ungesellig, Lieutenant Rodenberg?“ fragte dieser, halb scherzend, halb vorwurfsvoll. „Sie sind ein schlimmer Gast bei unserem Feste. Was machen Sie denn hier in dem einsamen Gewächshause?“

„Ich bin soeben erst eingetreten,“ entschuldigte sich Michael, „und überdies bin ich so fremd in der Gesellschaft –“

„Ein Grund mehr, sich bekannt zu machen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrem jungen Freunde, der schwimmt bereits mit vollen Segeln auf dem Strome der Geselligkeit. Ich vermisse Sie schon eine ganze Zeit lang im Saale, ich wollte Sie dem Grafen Steinrück vorstellen. Sie kennen ihn doch noch nicht?“

„Den kommandirenden General – nein!“

„Er ist soeben erst gekommen, und Sie werden sich später jedenfalls noch dienstlich bei ihm melden müssen. Der General ist äußerst einflußreich, allerdings auch sehr gefürchtet wegen seiner eisernen Strenge im Dienste. Er schont darin Niemand, am wenigsten freilich sich selbst, obschon er bereits im Anfange der Siebzig steht, aber der Begriff des Alters scheint für ihn nicht da zu sein.“

Michael hörte schweigend zu, er wußte bereits, daß der Graf sich in Steinrück befand, und mußte auf eine Begegnung gefaßt sein, die ihm bisher erspart geblieben war, die aber in Zukunft nicht vermieden werden konnte, denn er mußte sich allerdings später bei dem kommandirenden General melden.

„Wir hofften auch den jungen Grafen zu sehen,“ fuhr Reval fort, „aber wir hören soeben, daß er erst morgen Abend eintrifft. Schade! Sie hätten da eine interessante Bekanntschaft gemacht.“

„Sie meinen den Sohn des Generals, Herr Oberst?“

„Nein, der ist schon seit Jahren todt, ich meine den Enkel, Graf Raoul. Er ist wirklich eine der schönsten Männergestalten, die ich je gesehen habe! Immer voran bei allen Tollheiten, immer den Kopf voll von genialen Ideen und dabei von einer so hinreißenden Liebenswürdigkeit, daß er im Sturm Alles gewinnt. Er ist in der That eine ungewöhnlich begabte Natur, aber auch ein Tollkopf, der seinem Großvater noch zu schaffen machen wird, wenn dieser ihn nicht bei Zeiten bändigt.“

„Wie es scheint, ist General Steinrück der Mann dazu,“ warf Michael hin.

„Das glaube ich auch! Graf Raoul fürchtet sonst weder Tod noch Teufel, aber vor seinem Großvater hat er einen heillosen Respekt, und wenn Seine Excellenz einen Ukas erläßt – was, unter uns gesagt, ziemlich oft nothwendig ist – bequemt er sich regelmäßig zum Gehorsam.“

Ein leises Rauschen, wie von seidenen Frauengewändern, ließ sich hinter den beiden Herren vernehmen, die dem Eingange den Rücken zukehrten; sie wandten sich um, und in demselben Augenblicke trat der junge Officier so jäh und hastig zurück, daß der Oberst ihn befremdet anblickte.

Es waren zwei Damen eingetreten; die ältere, eine zarte, blasse und kränkliche Erscheinung, in gewählter, aber dunkler Toilette, schien den Ruhesitz aufsuchen zu wollen, der sich unter einer Palmengruppe am Ende des Gewächshauses befand: die jüngere stand noch auf den Stufen, die hinabführten, hell beleuchtet von dem Schein einer Ampel, die sich gerade über ihrem Haupte befand.

Hans Wehlau hatte Recht mit seiner enthusiastischen Bemerkung, es war eine Gestalt wie aus einem Feenmärchen, hoch und schlank, mit einem Antlitz von seltsam berückender Schönheit und großen, strahlenden Augen, die wie Sterne glänzten und deren Farbe sich doch nicht errathen ließ, weil sie in dem einen Momente tiefdunkel erschienen und in dem andern leuchtend hell. Die rothen Locken, die einst über die Schultern des Kindes fielen, waren freilich verschwunden; auf den reichen, goldblonden Flechten ruhte jetzt nur noch ein leichter, röthlicher Schimmer und wetteiferte mit dem matten Glanz der Perlenschnüre, die sich durch das Haar schlangen, und doch gleißte es in diesem Augenblicke, wo das Licht der Ampel darauf niederfloß, wie das „rothe Gold“ in den alten Märchenschätzen. Das bläulich schillernde Seidengewand verschwand fast unter einer Wolke von Spitzen, die von einzelnen Blumen gehalten wurde, und dazwischen funkelten Juwelen – die ganze Erscheinung war wie aus Duft und Glanz gewoben.

„Ah, Frau Gräfin Steinrück!“ rief der Oberst, indem er zu der älteren Dame eilte und der sichtbar Erschöpften den Arm bot. „Es war wohl zu heiß im Saale? Ich fürchte, Sie haben uns ein Opfer gebracht mit Ihrem Erscheinen.“

„Es ist nur Ermüdung, nichts weiter,“ versicherte die Gräfin, während er sie zu dem Sitze geleitete. „Sieh da, Lieutenant Rodenberg!“

Michael verneigte sich; jetzt rauschte auch das blaue Seidenkleid über den Boden, und Gräfin Hertha trat an die Seite ihrer Mutter.

„Mama ist allerdings etwas angegriffen,“ sagte sie, „deßhalb haben wir den Saal verlassen. Hier, wo es kühl und still ist, wird sie sich bald erholen.“

„Dann wäre es wohl am besten –“ Michael blickte den Oberst an und machte eine Bewegung nach der Thür, aber die Gräfin fiel mit gewinnender Liebenswürdigkeit ein:

„O nicht doch! Nur die Hitze und das Gewühl greifen mich an. Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen, Lieutenant Rodenberg.“

Der Oberst schien erstaunt, daß der junge Officier den Damen bekannt war, und machte eine Bemerkung darüber, was die Gräfin veranlaßte, ihm die Geschichte dieser Bekanntschaft zu erzählen. Sie bestand darauf, daß Michael durch sein rasches Eingreifen ihr und ihrer Tochter das Leben gerettet habe. Er protestirte dagegen.

Gräfin Hertha nahm keinen Antheil an dem Gespräche, das bald lebhafter wurde, sondern wandte ihre ganze Aufmerksamkeit den Blumen zu. Langsam glitt sie durch das Gewächshaus, das nur von dem gedämpften Lichte zweier Ampeln erhellt wurde; ihre Bewegungen hatten etwas ungemein Anmuthiges; aber in dem Wesen der jungen Dame selbst lag nichts von der halb schüchternen, halb unbefangenen Anmuth des Mädchenalters. Sie zeigte mit ihren neunzehn Jahren schon die volle Sicherheit der Weltdame, das ganze Selbstbewußtsein der reichen Erbin und wußte ohne Zweifel sehr genau, daß sie schön sei. Jetzt stand sie vor einer Gruppe ausländischer Pflanzen und fragte, den Kopf wendend, in gleichgültigem Tone:

„Kennen Sie vielleicht diese Blume, Herr Lieutenant? Es sind fremdartige wundervolle Blüthen, und ich gestehe, daß meine botanischen Kenntnisse mich hier im Stiche lassen.“

Michael mußte nothgedrungen nach der anderen Seite des Gewächshauses kommen, und er that dies in ziemlich gemessener Weise, aber es lag eine leichte Blässe auf seinem Gesicht, als er die geforderte Auskunft gab.

„Es scheint eine Dionäa zu sein, eine von jenen mörderischen Blüthen, die sich schließen, wenn ein Insekt ihre Blätter berührt, und dem Gefangenen dann den Tod geben.“

Um die Lippen der jungen Dame spielte ein halb mitleidiges, halb verächtliches Lächeln.

„Das arme Ding! Und doch muß es schön sein, so im berauschenden Duft zu sterben – meinen Sie nicht?“

„Nein! Schön ist nur der Tod in der Freiheit; über die Gefangenschaft kann kein Rausch hinwegtäuschen.“

Die Antwort klang beinahe schroff, und Hertha preßte einen Augenblick lang die Lippen zusammen, dann aber ließ sie den Gegenstand des Gespräches fallen und sagte mit leisem Spott:

„Ich sehe mit Vergnügen, daß Sie hier nicht so gänzlich durch den ‚Dienst‘ in Anspruch genommen sind, wie damals im Bade; dort blieb Ihnen nie Zeit zu irgend einer Geselligkeit.“

„Wir waren dort mitten in den Uebungen, hier bin ich auf Urlaub.“

„Als Gast des Oberst Reval vielleicht?“

„Nein.“

„Ich wußte gar nicht, daß Sie hier in der Gegend Beziehungen hatten. Sie sind also –?“

„Bei Verwandten.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_502.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2022)