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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Das glaubst Du nur?“ fiel ihm Hans entrüstet in das Wort. „Wirklich? Und Du willst wohl gar noch kritisiren mit Deinem ‚Aber!‘? Höre, Michael, Du bist jetzt eine unbedingte Respektsperson für mich geworden und wirst mir von dem Papa so oft als Muster aufgestellt, daß mir Deine Vorzüglichkeit schon längst ein Dorn im Auge ist. Aber wenn es sich um Frauen und Frauenschönheit handelt, dann schweige gefälligst, davon verstehst Du rein gar nichts, da bleibst Du nach wie vor – der dumme Michel!“

Mit diesen halb lachend, halb ärgerlich gesprochenen Worten ließ er seinen Freund stehen und trat wieder zu einer der plaudernden Gruppen; Michael schritt allein weiter, aber es lag ein unendlich herber Ausdruck auf seinen Zügen.

Inzwischen stand drüben auf der andern Seite des Saales Oberst Reval im Gespräche mit dem Grafen Steinrück. Sie hatten sich in den kleinen Erker zurückgezogen, den eine nur halb zurückgeschlagene Portière von dem Salon trennte, und Reval sagte soeben: „Ich möchte Sie auf diesen jungen Officier aufmerksam machen, Excellenz. Sie werden sich bald überzeugen, daß er im vollsten Maße die Beachtung verdient.“

„Wenn Sie ihn so warm empfehlen, zweifle ich nicht daran,“ entgegnete Steinrück. „Sie sind sonst karg mit Ihrem Lobe. Er hat von Anfang an in Ihrem Regimente gedient?“

„Ja, und ich wurde zuerst im dänischen Kriege auf ihn aufmerksam. Damals nahm er als jüngster Lieutenant des Regimentes mit einer Hand voll Leuten eine Position, die bisher allen Angriffen getrotzt hatte und von der äußersten Wichtigkeit war, und die Art, wie er dies Wagestück ausführte, bewies ebenso viel Energie wie Geistesgegenwart. Im letzten Feldzuge war er mein Adjutant, und jetzt eben ist er auf Grund einer ganz vorzüglichen Leistung zum Generalstab kommandirt worden. Die Arbeit hat Ihnen vielleicht vorgelegen, Excellenz, sie betrifft einen Punkt, für den Sie erst kürzlich mit vollem Nachdruck eingetreten sind, und sie war mit dem Namen unterzeichnet.“

„Lieutenant Rodenberg, ich erinnere mich!“ sagte der General nachdenklich. Der Name berührte ihn noch immer peinlich, fiel ihm aber nicht auf, weil er mehrfach in der Armee vorkam. Es gab einen Oberst Rodenberg, dessen drei Söhne gleichfalls dienten, und der Graf nahm mit voller Bestimmtheit an, daß es sich um einen dieser jungen Officiere handelte, so daß er es für überflüssig hielt, noch eine Frage in dieser Richtung zu thun.

„Ich kenne die Arbeit allerdings,“ fuhr er fort. „Sie bekundet eine ungewöhnliche Begabung und hätte dem Verfasser meine Beachtung gesichert selbst ohne Ihre warme Fürsprache, und da Sie ihm auch in Bezug auf den gewöhnlichen Dienst ein so glänzendes Zeugniß geben –“

„Rodenberg ist unbedingt zuverlässig, allerdings nimmt er seinen Kameraden gegenüber eine etwas isolirte Stellung ein, seine Ungeselligkeit und sein starres, verschlossenes Wesen schaffen ihm wenig Freunde, aber respektirt wird er von Allen.“

„Das ist genug!“ erklärte Steinrück, der mit augenscheinlichem Interesse zuhörte. „Wer Ehrgeiz hat und einem großen Ziele nachstrebt, findet selten Zeit, liebenswürdig zu sein. Ich liebe solche Naturen, die ganz auf sich selbst gestellt sind, ich bin in meiner Jugend auch nicht anders gewesen.“

„Da ist er ja! Seine Excellenz wünscht Sie kennen zu lernen, lieber Rodenberg,“ sagte der Oberst, indem er diesem, der gerade vorüber kam, einen Wink gab, näher zu treten. Er stellte ihn in aller Form vor und wandte sich dann wieder zu der Gesellschaft, indem er es seinem Günstling überließ, den Eindruck zu vollenden, den jenes Gespräch bei dem General hervorgerufen hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Der Heidenhof.

Eine Reise-Erinnerung von Fr. von Bülow.


Dienstliche Verhältnisse veranlaßten mich, längere Zeit in Schleswig-Holstein zuzubringen. Ich lernte dabei eine der merkwürdigsten Gegenden Deutschlands genau kennen: die Geest mit ihren spärlichen Dörfern, ihren öden sandigen Heiden und großen einförmigen Torfmooren, die sich als breiter Höhenrücken mitten durch die Halbinsel zieht. Der guten Straßenverbindungen über dieselbe giebt es nicht viele, und wird man gezwungen, sie an Stellen zu passiren, welche dem allgemeinen Verkehr ferner gerückt sind, so ist man auf die oft zweifelhaften Landwege angewiesen, die sich meist durch nicht ungefährliche Moorgebiete hinschlängeln.

Zum Standquartier hatte ich schon seit Monaten den Gasthof eines Dorfes gewählt, welches auf der Grenzscheide zwischen Geest und Ostküste liegt. Kurz vor Schluß der dortigen Arbeiten erhielt ich an einem Oktobertage den Auftrag, mich am nächsten Frühmorgen zu dringender Besprechung in einem Orte jenseit der Geest einzufinden. Der Befehl scheuchte mich aus behaglicher Ruhe, doch war ihm nicht auszuweichen. Das Unangenehmste bei der Sache blieb, daß pünktliches Eintreffen nur ermöglicht werden konnte, wenn ich sofort aufbrach und den direkten Weg über die Geest wählte.

Das Wetter war hierzu nicht einladend, vielmehr unfreundlich und naßkalt. Trotzdem fuhr ich, mit dem nothwendigsten Reisegepäck versehen, auf leichtem Wagen in den sinkenden Tag hinein und fürchtete nicht im Geringsten den uns prophezeiten Sturm, da mein Kutscher, der junge Wirthssohn Christian Nissen, zu den ortskundigsten Männern der Gegend zählte und seine Pferde an Kraft und Ausdauer nichts zu wünschen übrig ließen.

Die Prophezeiung sollte sich in der That bald als richtig erweisen. Die bis dahin trägen, regenschweren, grauen Wolken wurden lebendig. Einzelne Windstöße und schwere Tropfen bildeten ein kurzes Vorspiel, dann begann es am Himmel droben immer eiliger zu werden. Das Wolkenmeer erschien wie eine wilde Jagd, bei welcher jedes einzelne Glied das erste am fernen Stelldichein sein wollte. Die Böen wurden steifer, dann und wann von einem kurzen Regenschauer unterbrochen, und als vollständige Dunkelheit eintrat, hatten wir gegen einen Weststurm zu kämpfen, wie man ihn in solcher Wildheit oft genug auf der Geest erlebt. Nur die vortrefflichen Pferde machten es möglich, wenigstens noch Schritt um Schritt vorwärts zu kommen.

Auch mir war die Gegend nicht fremd, ich kannte ihre Gefahren genau. Ein nur geringes Ablenken vom Wege führte in sogenannte Bebemoore, deren Betreten selbst am Tage die größte Gefahr in sich birgt, wie viel mehr zu solcher Stunde!

Es mochte neun Uhr geworden sein, als das Wetter einen Grad von Heftigkeit annahm, welcher zeitweise den Wagen zum Stillstand brachte. Der jetzt wolkenbruchartige Regen peitschte an uns herum, jedes Schutzes spottend, und von Minute zu Minute mußte man auf ein Umwerfen gefaßt sein. Nach meiner Berechnung waren wir mindestens noch drei Stunden vom Ziele entfernt. Die Hoffnung, dasselbe noch in der Nacht zu erreichen, schwand vollständig, und da an ein Umkehren bei der schmalen Straße auch nicht zu denken war, so faßte ich den Entschluß, im nächsten Gehöft um Obdach zu bitten.

Die Landkarte hatte ich gut im Kopf. Nach derselben mußten wir nicht weit vom Heidenhof sein, einem größeren Anwesen, das zugleich als Wirthshaus bezeichnet war. Auf die Frage, ob man dort ein Unterkommen finden dürfte, bekam ich anfangs von meinem Nissen gar nichts zu hören. Erst wiederholte Aufforderung erzwang die Antwort:

„Ein Unterkommen wohl, aber ich rathe Ihnen nicht dazu.“

„Und weßhalb nicht?“

Wiederum eine lange Pause, dann hieß es:

„Weil im Heidenhof kein Reisender des Nachts bleibt. Schon so Mancher ist hier verschwunden, und die Spnr verlief sich stets in der Gegend des Hofs. Das Moor heißt nicht umsonst das Todtenmoor. Wollen Sie durchaus dorthin, nun gut! Doch noch einmal, ich warne Sie, es ist nicht geheuer im Hofe.“

Diese Worte wurden mit solcher Ueberzeugungstreue gesprochen, daß sich vielleicht mancher Andere dadurch veranlaßt gesehen hätte, dem Rathe zu folgen. Mir aber wollten keine Furchtgedanken kommen; in unserer friedliebenden Zeit an Räuberherbergen zu glauben, erschien mir kindisch und lächerlich.

Offenbar unwillig vernahm der junge Rosselenker meinen Entschluß und versuchte mich nunmehr auf Umwegen darin wankend zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_504.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2022)