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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

waltenden strengen Zucht und Ordnung. Die Straße zeigte frisches Leben; mächtige Wagen, hoch mit Torf beladen, fuhren vorüber, lustiger Peitschenklang oder ein munteres Lied begleiteten sie. Im Gedanken an die vergangene Nacht trat mir dies Alles wie Bilder einer Luftspiegelung entgegen.

Nicht lange nach mir kam der Hofbauer. Ich erkannte den Mann kaum wieder. Selbst die Hünengestalt mußte von der lachenden Sonne schönen Gruß erhalten haben, nur Freude und Glück sprach ihm aus dem Angesicht.

Er schüttelte mir kräftig die Hand und sagte in biedrer, offener Weise:

„Nichts für ungut, Herr, für gestern Nacht. Was mögen Sie von mir gedacht haben! Sie kamen zu einer Stunde, wo mir so viel im Kopfe hing, daß ich vollauf mit mir selbst zu thun hatte. Ich kann es Ihnen ja anvertrauen. Als Sie anklopften, war ich im Begriff, mich reisefertig zu machen. Ich mußte ohne Verzug den Doktor holen, es hing Leben und Tod davon ab. – Nicht ganz mit Unrecht sagt man mir nach, daß ich ein wohlhabender Mann sei. Der Himmel hat mir dabei ein gutes, braves Weib beschert, und eine Tochter besitze ich, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Nur Eins fehlte mir, – ein Sohn. Den Heidenhof dereinst aus der Familie zu wissen, hätte mir die Sterbestunde schwer werden lassen. Der Adebar vergaß den Hof schon so manches lange Jahr, diese Nacht besann er sich und schenkte uns einen Prachtkerl von Erben. Damit werden Sie sich am besten selbst alle Rathlosigkeit, Unruhe und Sonstiges erklären können.“

Die einfachen, ungeschminkten Worte gefielen mir wohl; der Schleier der Nacht wurde damit gelüftet, wenn auch lange noch nicht ganz gehoben.

Dem Anliegen zu möglichst baldiger Weiterbeförderung wurde bereitwilligst nachgekommen, doch mußte ich das feste Versprechen geben, bei der Rückkunft einzukehren, um auch eine gute Stunde im Heidenhof zu erleben.

Während der Wirth das Nöthige für die Fahrt ordnete, brachte Ingeborg das Frühstück.

Sie kam mir noch schöner vor als am Abend. Von der allgemeinen Freude aber, die doch auch bei ihr hätte Widerklang finden müssen, sah ich nur das Gegentheil. Ein Trauerflor, wie ihn in solchem melancholischen Schimmer nur Liebeskummer webt, umhüllte sie.

Selbst ohne erfahrener Sachverständiger zu sein, konnte ich jetzt die Beziehungen Christian’s zu dem Mädchen wenigstens ahnen, und der Gedanke schlug fest Wurzel, als Helfer in der Noth den beiden jungen Menschenkindern zur Seite zu stehen. Hiervon ausgehend sagte ich zu Ingeborg:

„Jedenfalls treffe ich mit Christian zusammen. Haben Sie mir nichts an ihn aufzutragen? Ich bin verschwiegen und will Ihr Freund sein, Ingeborg.“

Sie sah mich so lieblich verschämt, so herzensfroh und dankbar an, daß ich in jenem Augenblick für das Mädchen durchs Feuer gegangen wäre. Dann ergriff sie meine beiden Hände, und mit gepreßter, fast schluchzender Stimme rief sie:

„Helfen Sie uns!“

Die Meldung, daß der Wagen bereit sei, sollte für jetzt jede weitere Erörterung unterbrechen. –

Meine Vermuthung zeigte sich als richtig. Der junge Nissen erwartete mich unterwegs. Das böse Gewissen vermochte er nicht zu verbergen. Als ich ihm nur mit dem Finger drohte und sein pater peccavi bei Seite schob, mußte er schon ahnen, daß ich manches Geheimniß errathen. Seinem dringenden Wunsche gemäß wurde das Gefährt gewechselt. Das nun folgende Zwiegespräch bestätigte meine Ahnungen. Der Hofbauer hatte ganz entschieden Verwahrung gegen die Heirath eingelegt und Nissen verboten, je wieder den Heidenhof zu betreten. Daraus wurde es mir auch klar, warum Nissen im Heidenhofe nicht einkehren wollte und mich durch räthselhafte Anspielungen auf Räuberherberge etc. von meinem Vorhaben abzubringen suchte. Als Grund seiner Weigerung gab der Heidenhofbauer an, daß er sich für einen solchen Sausewind, der noch nichts Tüchtiges im Leben geleistet, als Schwiegersohn bedanke.

Ich hatte dagegen ganz andere Anschauung von dem jungen Manne während meines Aufenthalts in seinem elterlichen Hause gewonnen. Christian war ein tüchtiger, fleißiger, aufgeweckter Mensch, dem man auch nicht das geringste Schlechte nachsagen konnte, und mehr als einmal hatte ich an dem braven, ehrlichen Charakter große Freude gewonnen.

In wenigen Stunden erledigten sich die Geschäfte, und gegen Abend hielt ich mit meinem Schützling wieder vor dem Heidenhofe.

Mein unumwundenes, zweifelloses Urtheil über Nissen galt dem Hofbauer viel, die frohe Stimmung über den nun vorhandenen Gutserben mochte auch das Ihre thun, und als wir bei einem Glase trefflichen Punsches bis tief in die Nacht hinein saßen, wurde nicht allein auf das Wohl des jungen Majoratsherrn, sondern auch auf das des Brautpaares angestoßen. –

Man ließ mich nicht fort. Die Großmutter führte mich wieder in das kleine Stübchen hinauf. Ehe sie von mir ging, leuchtete ich unter das Bett – der bekannte Stiefelknecht war am richtigen Ort. Ich wies lächelnd auf ihn hin. Die Alte gab mir das Lächeln zurück und sagte:

„Sie merkten es also doch. Wir haben nur einen im Hause, und der Herr Doktor, der ein wenig ruhen wollte, war seiner benöthigt: da half es eben nichts, ich mußte ihn holen.“

Als ich am nächsten Morgen den Hof verließ, um ihn nie wieder zu sehen, wurde mir noch manches freundliche Wort zu Theil. Zum Andenken nestelte mir das schöne Kind der Heide den frischen Erikastrauß, der Heide einzigen Schmuck, aus dem Brusttuch. Ich bewahre ihn heute noch, er liegt in meinem Reliquienschrein. Und wenn er mir durch die Hand gleitet, sehe ich immer wieder das tief blickende blaue Auge vor mir, wie es mir in nicht zu sagender Lieblichkeit und Dankbarkeit das letzte Lebewohl grüßte.




Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
Die Elektricität im Dienst der Heilkunde.


II.

Die im Dienste der Heilkunde zur Geltung kommenden elektrischen Ströme sind dreierlei Art. Sowohl die durch Reibungs- und Influenzmaschinen erzeugte Elektricität, als auch der einfache galvanische Strom und der unterbrochene oder sogenannte Induktionsstrom kommen je nach Lage des Erkrankungsfalles zur Verwendung. Thatsache ist, daß der Strom der Influenzelektrisirmaschine vornehmlich durch Fernwirkung einen gewissen Einfluß auf den menschlichen Körper ausübt, während der galvanische Strom eine größere chemische, zugleich die Nervenkraft hebende Eigenschaft besitzt und der unterbrochene, der faradische Strom geeigneter erscheint, mechanische Wirkungen hervorzurufen, Muskelbewegungen auszulösen und in gewissen Fällen durch seine der Heilgymnastik ähnlichen Wirkungen die Ernährung des Körpers im Allgemeinen zu heben. Der Strom der aus der Schulzeit den Meisten schon bekannten Reibungselektrisirmaschinen ist demnach vorzugsweise am Platze, wenn auf das Nervensystem im Allgemeinen eingewirkt werden soll, und kommt bei Behandlung der Allgemeinerkrankungen desselben in Betracht; hierher sind die Fallsucht, die Starrsucht, das Zittern, die Schüttellähmung, der Veitstanz und die Hysterie zu rechnen. Die in der That bewundernswerthen Heilresultate, welche Professor Charcot in seinem in unserem ersten Artikel geschilderten heilelektrischen Institute zu Paris erzielte, gehören vorzugsweise in dieses Gebiet der Nervenkrankheitslehre.

Eine höchst bemerkenswerthe heilkräftige Beeinflussung der atmosphärischen Luft hat der Strom der in unserem ersten Artikel („Gartenlaube“ Seite 433) abgebildeten großen Maschinen durch deren reichliche Ozonbildung zur Folge. Die Luft, die wir athmen, besteht bekanntlich aus Sauerstoff, dem Lebensgase, und Stickstoff. Wird der Sauerstoff der Luft elektrischen Einflüssen ausgesetzt, so gewinnen seine belebenden Eigenschaften einen höheren Grad der Wirksamkeit; der in dieser Weise elektrisirte Sauerstoff wird mit dem Namen „Ozon“ bezeichnet, da er einen eigenthümlichen stärkenden Geruch annimmt und das altgriechische Wort „ozein“ in dieser Sprache den Begriff „riechen“ im Sinne von „ausdünsten“ bezeichnet. Der erfrischende und belebende Einfluß auf das Nerven- und Gemüthsleben, den wir bei einem Spaziergange nach einen heftigen Gewitter empfinden, ist ausschließlich die Folge jener eigenthümlichen Ozonbildung, welche in der Atmosphäre in Folge der elektrischen Entladungen der Gewitter entsteht.

Es ist durch namhafte Aerzte, insbesondere in jüngster Zeit durch den Professor der Arzneimittellehre Dr. Binz in Bonn, erwiesen, daß sowohl der natürliche Ozongehalt der Atmosphäre, als auch künstlich erzeugte Ozonluft einen außerordentlich günstigen Einfluß auf Nervenleidende auszuüben im Stande ist und insbesondere durch Einathmung von Ozon eine nachhaltige schlafbringende Wirkung erzielt wird.

Die Verwendung der zweiten Elektricitätsgattung, des galvanischen Stroms – von dem verstorbenen Professor R. Remak zu Berlin in die ärztliche Praxis eingeführt – ist am Platze, wenn auf das Gehirn und das Rückenmark eingewirkt werden soll, sowie in den Fällen, wo

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_508.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)