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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Wenn es ihr nicht eigens befohlen wurde, allerdings, – es klang beinahe wie ein Warnungsruf!“

Mit diesen Worten nahm Steinrück neben seiner Schwiegertochter Platz, während er den Morgengruß seines Enkels nur mit einem flüchtigen Kopfnicken erwiderte. Die Beiden hatten bisher ausschließlich französisch gesprochen, sie bequemten sich aber sofort zur deutschen Sprache beim Eintritt des Generals, der jetzt fortfuhr: „Ich wollte Dich um eine Auskunft ersuchen, Hortense. Ich höre soeben, daß Zimmer für zwei Gäste in Stand gesetzt werden, auf Deinen Befehl. Ich dächte, wir hatten schon unsere Verwandten zu Gaste und wollten diesmal im Familienkreise bleiben. Wen hast Du eingeladen?“

„Es handelt sich nur um einen ganz flüchtigen Besuch, Papa,“ erklärte die Gräfin. „Bekannte, die in Wildbad sind und auf der Rückreise nur zwei oder drei Tage bei uns verweilen werden. Ich habe erst heute Morgen die Nachricht von ihrem Eintreffen erhalten und hätte es Dir jedenfalls mitgetheilt.“

„Nun wohl, aber ich möchte wissen, wen Du erwartest.“

„Henri de Clermont und seine Schwester,“ die Antwort wurde mit einem gewissen Zögern gegeben, und das Antlitz des Generals verfinsterte sich sofort.

„Dann bedaure ich, daß Du mich nicht vorher von dieser Einladung verständigt hast – ich hätte sie nicht erlassen.“

„Es geschah auf Raoul’s Wunsch, auf seine besondere Bitte.“

„Gleichviel, ich wünsche die Clermonts nicht in unserem Kreise zu sehen.“

Raoul fuhr auf bei dieser mit voller Bestimmtheit gegebenen Erklärung, und eine dunkle Gluth bedeckte plötzlich sein Gesicht.

„Verzeih, Großpapa, aber Henri und seine Schwester sind im Winter schon verschiedene Male in unserem Hause gewesen.“

„Bei Deiner Mutter! Ich mache ihr keine Vorschriften in Bezug auf die Besuche, die sie persönlich empfängt, dieser Besuch in Steinrück aber, wo wir im engsten Familienkreise sind, würde eine Intimität bedeuten, die ich entschieden ablehne, und muß deßhalb unterbleiben.“

„Das ist unmöglich!“ entgegnete Hortense, indem sie in nervöser Gereiztheit ihr Taschentuch zusammenpreßte. „Ich habe die Einladung nun einmal erlassen und kann sie nicht rückgängig machen.“

„Weßhalb nicht? Du schreibst einfach, daß Du erkrankt bist und Dich außer Stande fühlst, die Pflichten der Wirthin zu erfüllen.“

„Das würde uns ja lächerlich machen!“ brach Raoul aus. „Der Vorwand würde niemals geglaubt werden, es wäre eine Beleidigung für Henri und seine Schwester.“

„Der Meinung bin ich auch,“ stimmte Hortense bei.

„Wohl, so bin ich anderer Meinung, als Ihr Beide!“ sagte der General mit Nachdruck, „und auf mich kommt es hier doch wohl allein an. Es ist Eure Sache, wie Ihr die Einladung rückgängig machen wollt, geschehen wird es unter allen Umständen, denn ich empfange die Clermonts nicht in meinem Schlosse.“

Das war allerdings der volle Gebieterton, der die leidenschaftliche Frau herausforderte, sie erhob sich stürmisch.

„Soll ich gezwungen werden, die Freunde meines Sohnes zu beleidigen? Freilich, sie gehören ja meinem Lande, meinem Volke an, und das bannt sie von dieser Schwelle. Meine Liebe zu der Heimat ist mir ja stets zum Vorwurf gemacht worden, und bei Raoul gilt die Neigung dafür als ein Verbrechen. Er hat seit dem Tode seines Vaters Frankreich nicht wieder betreten dürfen, sein Umgang wird ihm vorgeschrieben und geregelt wie einem Schulknaben, kaum daß er noch mit meinen Verwandten verkehren darf. Aber ich bin dieser ewigen Sklaverei müde, ich will endlich –“

„Raoul – verlaß uns!“ unterbrach Steinrück sie. Er war ruhig sitzen geblieben, und sein Gesicht erschien unbewegt, nur auf der Stirn zeigte sich wieder die drohende Falte.

„Du bleibst, Raoul!“ rief Hortense heftig. „Du bleibst bei Deiner Mutter!“

Der junge Graf schien allerdings geneigt, Partei für die Mutter zu nehmen, er war wie schützend an ihre Seite getreten und schien entschlossen, dem Großvater Trotz zu bieten, jetzt aber erhob sich dieser auch und seine Augen flammten.

„Du hast gehört, was ich befahl!“ herrschte er seinem Enkel zu. „Geh!“

Es lag etwas so Zwingendes in diesem Gebot, daß Raoul’s Widerstand davor zusammensank. Er vermochte es in der That nicht, diesen Augen und dieser Stimme zu trotzen, einen Moment zögerte er noch, aber auf einen nochmaligen gebieterischen Wink bequemte er sich zum Gehorsam und verließ das Zimmer.

„Ich will nicht, daß Raoul Zeuge von Auftritten wird, wie sie leider zwischen uns nicht selten sind,“ sagte der General kalt, indem er sich zu seiner Schwiegertochter wandte. „Jetzt sind wir allein, was wolltest Du sagen?“

Wenn irgend etwas die erregte Frau noch mehr reizen konnte, so war es diese kalte, überlegene Ruhe, die ihr wie Hohn erschien, sie gerieth darüber völlig außer sich.

„Meine Rechte will ich vertheidigen!“ rief sie. „Ich will mich auflehnen gegen eine unerhörte Tyrannei, die mich wie meinen Sohn knechtet. Es ist eine Beleidigung für mich, wenn ich die Einladung an die Clermonts widerrufen muß, und das geschieht nicht – eher lasse ich es auf das Aeußerste ankommen.“

„Ich rathe Dir, Hortense, fordere dies Aeußerste nicht heraus, Du könntest es bereuen,“ fiel der Graf ein, der jetzt auch seine Ruhe verlor, seine Stimme klang dumpf und drohend. „Wenn Du denn die schonungslose Wahrheit willst, so magst Du sie haben. Ja, es handelt sich in erster Linie darum, Raoul Umgebungen und Einflüssen zu entziehen, die ich bei meinem Enkel nicht dulden kann und werde. Ich verließ mich auf Albrecht’s wiederholte, feierliche Versicherung, daß der Knabe eine deutsche Erziehung erhalte; aber bei Euren kurzen flüchtigen Besuchen konnte ich mich nicht davon überzeugen, und das Kind war leider geschult für diese Besuche. Erst nach dem Tode meines Sohnes ist es mir klar geworden, daß er sich auch in diesem Punkte blindlings Deinem Willen unterworfen, daß er mich absichtlich gctäuscht hat.“

„Willst Du meinem Gatten noch im Grabe Vorwürfe machen?“ fuhr Hortense auf.

„Ich kann ihm auch dort den Vorwurf nicht ersparen, den ich dem Lebenden ins Antlitz geschleudert hätte. Er hat zugelassen, was er nie zulassen durfte. Raoul war ein Fremdling in seinem Vaterlande, fremd in seiner Geschichte, seinen Aufgaben, in Allem, was ihm theuer und heilig sein sollte, er wurzelte mit jeder Faser in dem fremden Boden. Der Einblick, den ich damals erhielt, als Du mit ihm in mein Haus zurückkehrtest, war derart, daß er mich zum sofortigen energischen Einschreiten zwang. Es war die höchste Zeit – wenn es nicht schon zu spät war!“

„Ich bin sicher nicht freiwillig in Dein Haus zurückgekehrt,“ die Stimme der Gräfin klang in schneidender Bitterkeit. „Ich wäre gern zu meinem Bruder geeilt, aber Du beanspruchtest ja Raoul, Du nahmst ihn mir, kraft Deines vormundschaftlichen Rechtes, und ich konnte und wollte mich nicht von meinem Kinde trennen. Hätte ich es mit mir nehmen dürfen –“

„Um vollends einen Montigny aus ihm zu machen!“ ergänzte Steinrück. „Das wäre Dir nicht schwer geworden, er hat nur zu viel von Dir und den Deinen. Ich suche vergebens mein Blut in ihm, aber verleugnen wird und soll er dies Blut niemals. Du kennst mich in dem Punkte, und auch Raoul wird mich kennen lernen. Wehe ihm, wenn er es jemals vergißt, daß er den Namen Steinrück führt, daß er einem deutschen Geschlechte angehört!“

Er sprach mit gedämpfter Stimme, aber es lag etwas so furchtbar Drohendes darin, daß Hortense leise zusammenbebte. Sie wußte, daß es ihm Ernst war mit der Drohnng, und in dem Gefühl, daß sie wieder einmal erlag in dem alten Kampfe, nahm sie ihre Zuflucht zu Thränen und brach in einen Weinkrampf aus.

Der General war an dergleichen zu sehr gewöhnt, als daß es ihn hätte überraschen sollen, er zuckte schweigend die Achseln und ging. Im Vorzimmer fand er Raoul, der dort unruhig auf und nieder schritt und plötzlich stehen blieb beim Eintritt des Großvaters.

„Geh zu Deiner Mutter!“ sagte dieser bitter. „Laß es Dir wieder einmal sagen, daß ich ein Tyrann bin, ein Despot, der seine Freude daran hat, sie und Dich zu quälen, Du hörst das ja täglich, Du wirst ja regelrecht hineingehetzt in den Argwohn, in die Bitterkeit gegen mich, und das hat längst seine Früchte getragen.“

So herb die Worte klangen, es lag ein unterdrückter Schmerz darin, und derselbe finstere Schmerz stand in den Zügen des Grafen. Raoul mochte das sehen und fühlen, denn er schlug die Augen nieder und entgegnete leise: „Du thust mir Unrecht, Großpapa.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_520.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)