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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Im deutschen Böhmerwalde.

Reiseskizzen von Karl Pröll.0 Mit Originalzeichnungen von R. Püttner.
II.[1]

Stifter-Denkmal am Plöckensteinsee.

Von Krumau ging meine Fahrt moldauaufwärts nach Hohenfurt. Ich sollte jetzt das grüne Waldhügelgeländ besuchen und den böhmischen Urwald schauen.

Eine halbe Stunde oberhalb Hohenfurt liegt die Teufelsmauer, bei welcher die Moldau sich durch vorgelagerte Felsen in schäumenden Fällen Bahn bricht. Zahllose Granitblöcke sind an den Schluchtwänden auf- und nebeneinander gelagert, über die sich dann düsterer Nadelwald emporschwingt. Diese wilde Naturromantik wird zu unserem Erstaunen einen Kilometer weiter aufwärts durch ein Bild abgelöst, das an amerikanischen Unternehmungsgeist gemahnt. In der Steinwüstenei sind Hunderte von Arbeitern ameisenartig thätig, um Raum für die großartigen Anlagen einer Cellulose-Fabrik zu schaffen, die das starke Gefälle des Flusses ausnützen soll. Kurz vor Feierabend hört man den Knall des in Bohrlöchern hinterlegten Dynamits, und große Felsentrümmer stürzen hernieder. In wenigen Monaten war ein guter Theil des Bodens geebnet, die Arbeitshäuser und Fabrikräume fertiggestellt worden, und nun kamen die weiteren Umgestaltungen und Einrichtungen, der Durchstich des Turbinen-Kanals u. dergl. Mit großer Umsicht leitete dieses Werk ein Mann, welcher seinen deutschen Ursprung abgeschworen und nun als eifriger Parteigänger der Slawen auch eine tschechische Arbeiterbevölkerung in dieser Gegend ansiedeln wollte.

In später Nacht langten mein Fahrtgenosse und ich in Friedberg an und verließen am frühen Morgen den hübschen Marktflecken, um den Weg nach dem Sankt Thoma-Gebirge zu nehmen.

In einer Stunde erreichten wir die Hochebene, etwa 1000 Meter über dem Meere, wo sich ein armseliger Flecken, ein Schwarzenberg’sches Jagdschloß im Schweizervillenstil, eine Wallfahrtskirche und die Reste der Ruine Wittinghausen befinden, einer Stammburg der Witikone oder Rosenberg, auf welche Adalbert Stifter eine seiner reizendsten Erzählungen gedichtet hat. In dem noch erhaltenen Thurm sind die Treppen gangbar gemacht, und die oben sich bietende Fernschau wird als die schönste im ganzen Böhmerwalde bezeichnet. Allein trotzdem die Sonne heiß herniederglühte, der mich auf dieser Reise äffende Höhenrauch wollte auch nach zehn Uhr nicht weichen, und ich sah nur Theile des Grenzkammes, des Salnauer Gebirgs, den Schreiner und Kubani, sowie die dazwischen liegenden Thäler – immerhin noch ein herrlicher Anblick. Wir beschlossen weiter zu gehen, nachdem wir noch mit einem höheren Schwarzenberg’schen Beamten Rücksprache gepflogen. Dieser war sehr freundlich. Aber als er das Gespräch auf politische Dinge lenkte, sahen wir, daß einer der heftigsten politischen Parteigänger des Fürsten sich uns gegenüber befand, welcher die Treue im Dienstverhältnisse selbst bis zur Verleugnung der inneren Ueberzeugung getrieben wissen wollte.

Unser Weg führte über Stögenwald und Glöckelberg, wo wir den Schwarzenbergischen Schwemmkanal kreuzten, zum Plöckensteiner See. „Auf diesem Anger, an diesem Wasser ist der Herzschlag des Waldes.“ So liest man auf dem vor acht Jahren errichteten Granitobelisken von zehnfacher Manneshöhe, welcher am Hange der Plöckenstein-Seewand sich erhebt, rings von aufwärts strebenden Tannen und Fichten eingefaßt. Dieses einfache, aber durch seine landschaftliche Umgebung großartige Denkmal Adalbert Stifter’s stimmt so recht zum Geiste des Dichters der „Studien“, „Bunten Steine“, des „Nachsommers“. Hier verspürt man den Herzschlag des Hochwaldes und blickt von der Felswarte hinaus in die meilenweite Waldfluth, welche bald hoch aufschlägt, bald in Thäler sich hinabsenkt bis zum Andreasberger und Salnauer Gebirge am Horizontrande. Es ist ein wintergrünes Land, welches jetzt in den Strahlen der glühenden Augustsonne seinen stillen Sommerschlaf hält. Nur ein ferner Axtschlag im Holz dringt schwächer als das Hämmern des Spechtes zu uns herüber. Aber Frost und Stürme werden wieder hereinbrechen, und dann muß, in die Nebelkappe gehüllt, der herbe Nadelwald den Kampf aufnehmen gegen feindliche Mächte, um seinen grünen Kranz zu behaupten.

Auf der anderen Seite des Obelisken sind die Worte Stifter’s zu lesen: „Lieg’ in hohes Gras gestreckt, schaue sehnend nach der Felswand.“ Das paßt nicht zu der Stelle, wo man nach dem ermüdenden Aufstieg sich nur auf Felsenplatten lagern oder auf einen Baumstumpf hinsetzen kann. Da müßte man im gewundenen Moldauthale oder bei Hirschbergen am Seebach ausruhen, wo es Wiesengelände und Grasmulden giebt. Nun, über solche Kleinigkeiten setzen sich Denkmalgründer und wohlwollende Denkmalbetrachter hinweg. Den Hauptreiz der Gegend aber haben wir bei unseren kritischen Bemerkungen vergessen. Es ist jenes dunkle Wellenauge, welches vom Fuße der Klippenwand heraufblickt nach Wolken und Sternen mit endloser, ungestillter Sehnsucht: der Plöckensteiner See. Und als durchsichtiger Schleier breitet sich die Einsamkeit über ihn.

Dieser Hochsee liegt mehr als 1150 Meter über der Meeresfläche und wird von dem Plöckenstein und dem benachbarten Dreisesselberg nur noch um 200 Meter überragt. Er hat eine Fläche von etwa 13 Hektaren und ist rings von Wald und Fels umgeben. Wie alle Böhmerwaldseen besitzt er eine braundunkle Farbe, welche nur durch einzelne Lichtstreifen erhellt wird. So gewinnt er seinen düster sinnenden, träumerischen Ausdruck. Stifter hat diese Scenerie auch zum Schauplatz seiner Dichtungen gemacht. Schade nur, daß er selbst diesem Zauber des Stillsinnens und Betrachtens unterlag, daß er sich nicht wie eine Lerche mit schmetternden Jubeltönen erheben und das in patriarchalischen Zuständen eingesargte Bergvolk zum Selbstgefühl und zu jenem Befreiungsdrang erwecken konnte, der alte Ueberlieferungen und Formen sprengt.

Den gewundenen und steilen Weg, der uns zum Stifter-Denkmal auf vorspringender Granitklippe hinaufgeführt, ging es nun lustig hinunter. Wieder zum Ufer des Sees gelangt, warfen wir demselben den Scheideblick zu. Der Abend begann allmählich heranzudämmern, kein Sonnenstrahl streifte mehr die Wasser. Die Krummföhren hockten auf Steinblöcken wie Gnomen, die nach der Arbeit in des Berges Tiefen ein Ruhestündchen halten und sich alte Geschichten vom Hofe ihres Königs und Anekdoten über menschliche Thorheiten erzählen. Ein wurzelloser Baum war durch abwärts gesenkte Zweige in den steinigen Seegrund verankert und streckte kahle Aeste bewegungslos nach oben – das stille, inbrünstige Gebet eines Unglücklichen. Hoch in den

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_524.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)
  1. Vergl. S. 206 der „Gartenlaube“ dieses Jahrgangs.