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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

von einem Verhältniß, in welchem er eine so traurig unritterliche Rolle spielte. Und nun wußte sie, nun wußten die Freunde, wovon ich gehofft, daß es mit den zunächst Betheiligten ins Grab gehen werde!

„Und er hat den Muth gehabt, Dir das zu sagen?“ fragte ich in meiner Verwirrung.

„Er mußte wohl,“ erwiderte Adele; „wenigstens war es kaum zu vermeiden, als es sich darum handelte, Dich zu nobilitiren. Die Mutter des Barons von Hochheim (zu diesem wollte er Dich machen) durfte keine, wenn mich noch so schöne und liebenswürdige Schauspielerin, sie mußte eine vornehme Dame gewesen sein. Ich hatte dafür zu sorgen, daß das in den adligen Kreisen herumkam; ja, ich sollte im Nothfalle vor einer Namensnennung nicht zurückschrecken. Nun, und der Herzog wußte recht gut, wie schwer mir die Lüge wurde. Da zog er es denn doch vor, mir die Wahrheit zu sagen, mir alle!n; wie er auch allein, nach seiner Versicherung, die Familienverhältnisse Deiner Mutter kannte. Möglich, daß Weißfisch, als wir endlich herausbrachten, daß Du Dich nach Hamburg gewandt hattest, und er Dir nachgeschickt wurde, geheime Instruktionen mitbekommen hat, um sich nöthigenfalls der Mitwirkung des amerikanischen Konsuls und anderer Behörden versichern zu können. Aber durch Dein spurloses Verschwinden wurde das Alles hinfällig. Ueberdies ist der Mann verschollen, und so hast Du nichts mehr von ihm zu fürchten.“

„Er ist wieder aufgetaucht,“ erwiderte ich und erzählte, wo und wie ich gestern Abend Weißfisch gefunden.

Adele verfärbte sich und warf einen ängstlichen Blick auf ihren Gatten, der lächelnd die Achseln zuckte.

„Die Sache scheint mir sehr ernsthaft,“ sagte Adele; „dieser Mann ist, so viel ich weiß, der einzige, der mich hier kennt, und der Dich, sobald er Dich mit mir zusammensähe, sofort rekognosciren würde.“

„Was hätte er davon?“ sagte der Graf. „Jemand, der socialdemokratische Versammlungen besucht, ist Wohl für unser Einen nicht fürchterlich.“

„Ueberdies,“ fiel ich ein, „haßt er den Herzog, der ihn weggejagt hat; ich glaube mich auch sonst für den Mann verbürgen zu können.“

Und ich theilte seine Aeußerung von gestern Abend betreffs Adelens mit, hinzufügend, daß ich dessen ungeachtet und trotz der fast hündischen Anhänglichkeit, welche der Mann für mich an den Tag lege, die nöthige Vorsicht nicht aus den Augen lassen werde.

„Aber,“ fuhr ich fort, „dabei habe ich noch immer nicht gesagt, weßhalb ich so beharrlich von meiner Mutter geschwiegen habe, ebenso wie es mir jetzt, nachdem die Rede auf diesen wundesten Punkt meines Lebens gekommen und es kein Geheimniß mehr zu bewahren giebt, ein Bedürfniß ist, mich mit Dir und den Freunden offen darüber auszusprechen. Ja, ich kenne die Familienverhältnisse meiner Mutter durchaus. Der Herzog hat mir noch am letzten Abende unseres Beisammenseins, offenbar um mich zu prüfen, wie weit ich etwa schon von dem wahren Sachverhalt unterrichtet sei, oder um mich nöthigenfalls auf das Kommende vorzubereiten, die wahre Geschichte meiner Mutter erzählt und nur die Identität der amerikanischen Dame mit der ehemaligen Schauspielerin bis auf Weiteres verschwiegen. Diese Identität aber mußte für mich zweifellos erhellen durch die Erzählungen der Müllersleute, denen meine Mutter wohl im Ueberschwange ihres erträumten Glückes Alles gesagt hatte, und die den Sohn an der Ähnlichkeit mit der Unseligen auf den ersten Blick erkannten. Dennoch, liebe Adele: nicht der Wunsch, mit meiner Mutter wieder vereinigt zu sein – .wie hätte der auch in mir aufkommen können, da das Gegentheil von Einigkeit stets zwischen ihr und mir bestanden! – nein, eher der Rachegedanke, vor sie hintreten und sagen zu dürfeu: das hast Du an mir gethan, war einer der Beweggründe, die mir den Weg nach Amerika wiesen. Dieser Beweggrund trat aber bald gänzlich hinter dem anderen zurück: mich drüben all der Fesseln, die mich hier drückten, entschlagen, auf freiem Boden frei ausleben zu können. Es ist nun anders gekommen, aber deßhalb bin ich kein Anderer geworden. Im Gegentheile: dieser Freiheitsdrang ist nur in mir gewachsen zur vollen, mich ganz erfüllenden Leidenschaft, der ich auf meine Weise gerecht zu werden suche. Auf eine sehr bescheidene, ich gebe es zu, die sich kläglich genug ausmmmt, zum Beispiel im Vergleiche mit den agitatorischen Leistungen und Erfolgen dieser Herren hier. Es muß sich eben Jeder nach seiner Decke strecken, und ich habe, durch traurige Erfahrungen gewitzigt, herausgefunden, daß meine Decke nun einmal nicht länger ist. Ja, ich habe resignirt, voll und ganz. Der Gedanke der Möglichkeit, die mir heute erst wieder näher gelegt wurde, doch noch als Dichter durchzudringen, erscheint mir schon jetzt wieder völlig kindisch, wenn er mich auch auf einen Augenblick erregen konnte; und fratzenhaft bis zum Grausen die andere Möglichkeit, daß irgend ein abscheulicher Zufall meine Abstammung mütterlicherseits von den Vogtriz ans Licht brächte.“

Zu meinem Erstaunen fand die kleine Rede nicht den Beifall, auf den ich gehofft hatte. Adele lächelte verlegen, wie mir schien; Adalbert blickte starr vor sich hin, und gar der Graf schüttelte leise den Kopf. Ich sah ihn erstaunt fragend an.

„Verzeihen Sie,“ sagte er, „wenn ich bei aller Würdigung Ihrer Gefühle mich zu Ihren Anschauungen nicht ganz bekennen kann. Bei Freund Adalbert müßte es folgerichtig der Fall sein, aber er mag hernach für sich selber sprechen. Sie haben da nämlich einen Hauptpunkt berührt, über den er und ich uns durchaus nicht einigen können. Ich bin der Meinung, daß die grundmäßige Umgestaltung der Verhältnisse, in denen wir leben und leiden, von unten her, von dem Volke nicht ausgehen kann. Die träge Masse vermag sich nicht aus eigener Kraft zu heben; sie wird immer gehoben werden müssen und kann nur gehoben werden von Denen, welche im Vollbesitze der Bildung sind, die Mittel derselben kennen und diese Mittel auch anzuwenden verstehen und anzuwenden willens und entschlossen sind. Revolution von unten, wie die Jacquerie, die Bauernkriege, selbst noch die Erhebung des tiers-état> 1789, oder heut zu Tage der irischen Landliga, oder unser kosmopolitischer Socialdemokratismus werden immer unterdrückt, zertreten, zerschmettert werden und sich dann in ihr Gegentheil verwandeln und eine mehr oder weniger wüste Reaktion im Gefolge haben, so lange sich nicht die gebildeten Klassen an der Erhebung betheiligen und die Sache in die Hand nehmen. Deßhalb mein beständiger Refrain: gewinnen wir die oberen Klassen, den Adel, die Officiere, das Beamtenthum, die oberen Zehntausend der Gelehrsamkeit, der Kunst und nicht zum wenigsten: des Reichthums. Begnügen wir uns nicht, Außenwerke zu erobern und zu zerstören, an welchen dem Feinde nichts liegt, oder die er doch mit einem einzigen kühnen Ausfalle zweifellos wieder in seine Hände bringen wird. Dringen wir in seine Hochburg! Dann, und dann erst kann, dann aber wird auch Troja fallen, und der Leidenskrieg der Menschheit, wenn nicht ein Ende – an das ich nicht glaube – so doch einen vorläufigen Abschluß haben, mit dem wir zufrieden sein dürfen. Und eben deßhalb: ich sehe kein Heil weder für unsere Sache noch für ihn selbst darin, daß unser Freund hier, mein lieber Schwager, so weiter Bretter sägt und hobelt; aber sehr bin ich dafür, daß er mit seinen Gesinnungen, seiner Ueberzeugungstreue und seinem Opfermuth die Millionen seiner Mutter erbt und, als ein großer Mann, der er dann in den Augen seiner Vogtriz’schen Verwandten sein wird, das Lager derselben stürmend nimmt und uns unter Anderem den Oberst von Vogtriz als Gefangenen zuführt.“

„Mein Gott, wie kommen Sie gerade auf den?“ rief ich erschrocken.

Der Graf lächelte; Adalbert antwortete für ihn: „Er hat im Reichstage die Militärvorlage als Regierungskommissar zu vertheidigen gehabt und nur schlecht vertheidigt – im Sinne des Ministers selbstverständlich. Wenigstens giebt man ihm schuld, daß es wesentlich durch sein versöhnliches Auftreten zu dem Kompromiß des Septennats mit den sogenannten liberalen Parteien gekommen ist. Seine Stellung soll in Folge dessen schwer erschüttert sein; eine der reaktionären Zeitungen warf ihn heute schon ganz offen zu den Todten. Und die Todten, mußt Du wissen, reiten in jenen Kreisen besonders schnell. Du brauchst also, wenn Du Deinem Idol – er war es wenigstens einst – zufällig begegnest, Dich nicht zu wundern, wenn einige der reaktionären Farben, in welchen er sonst strahlte, etwas eingedunkelt sein sollten. Schiller hat nicht umsonst die ,Drei Unzufriedenen’ in seine revolutionäre Fiesko-Liste gebracht, wenn auch die richtigen Verrinas, sobald ihnen etwas contre coeur passirt, immer wieder ,zum Herzog gehen’ – was sich unser lieber Graf als Beitrag seiner Theorie der Revolution von oben gefälligst merken möge.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_527.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2018)