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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Adalbert hatte das in einem müden Tone gesagt und über sein bleiches Gesicht zitterte wieder das melancholische Lächeln. Auch erhob er sich nach den letzten Worten und erklärte, noch von gestern her, wo er nach der Versammlung mit der Elite seiner Zuhörer in einer gräulichen Kneipe bis drei Uhr habe beim Biere sitzen müssen, tödlich erschöpft zu sein. So war ich ebenfalls gezwungen, aufzubrechen. Adele nahm schwesterlich zärtlichen Abschied von mir und verpflichtete mich, am nächsten Abend wiederzukommen. Der Graf leuchtete uns – diesmal mit einer Laterne – die steilen Treppen hinab und über den Hof durch den Flur zum Hause hinaus, das mittlerweile auch verschlossen war, nachdem er uns an der Thür gute Nacht gesagt, trotz der Laterne in seiner Linken vom Scheitel bis zur Sohle der vornehme und gegen mich noch besonders höflich-freundliche Kavalier.

Wir machten schweigend ein paar Schritte auf der dunklen, einsamen Gasse, durch welche ein Regensturm heulte.

„Unsere Wege trennen sich gleich hier,“ sagte Adalbert stehen bleibend; „ich wohne ganz in der Nähe“ – und er nannte mir Straße und Nummer, während ich mich schämte, zu sagen, daß ich dieselben, schon längst aus dem Adreßbuche kannte.

„Auch ich hoffe natürlich, Dich recht bald zu sehen,“ fuhr er fort, „wenn ich auch morgen Abend nicht zu Deiner Schwester kommen kann. Und, was ich sagen wollte: ich denke, Du erinnerst Dich daran, daß auch ich eine Schwester habe, die Dich herzlich liebt, und in deren dunkles Leben Du einen Sonnenstrahl bringen würdest. Sie wohnt mit meiner Mutter zusammen. Und nun lebe wohl und auf Wiedersehen!“

Er schlug den Rockkragen in die Höhe und wandte sich, ohne mir diesmal die Hand gereicht zu haben, wie er das ja auch in der Maienzeit unserer Freundschaft auf der Schule nicht zu thun pflegte. Wollte er damit ausdrücken, daß wir so weit als möglich wieder die Alten sein wollten?

So weit als möglich? wie weit?

Ich grübelte darüber nach, während ich nun meinen einsamen Weg nach der weit entfernten Wohnung fortsetzte. Wie gestern Abend mit leidenschaftlicher Bewunderung, so gedachte ich heute seiner mit innigster Theilnahme. Großer Gott, war diese, wie es schien, hoffnungslose Schwermuth der ganze auf ihn gefallene Antheil jeues Wohlergehens, welches er Anderen zu bereiten mit der vollen Kraft seiner starken Seele strebte? Das konnte mich wahrlich um das wenige Glück, das ich nur errungen hatte, bange machen; geschweige denn um das viele, große, das mir an diesem Tage aus den Wolken, aus der Götter Schoß zugefallen. Der Freund, den ich in thörichter Bangigkeit hatte meiden wollen; die Schwester, nach der ich mich, ohne es mir einzugestehen, alle diese Jahre herzlich gesehnt und die jemals wiederzusehen ich aufgegeben hatte! Das war schon schier zu viel aus einmal für den Glückentwöhnten. Aber die Götter rächen ja nur den Uebermuth. Sie sollten scharf ausspähen müssen, bis sie den Tischlergesellen darauf ertappten!

9.

Nein, der nächste Morgen fand mich nicht übermüthig, aber die Götter thaten, als wäre ich es, und versuchten auf mancherlei Weise, mir zu schaden und, wollte das nicht gehen, mich wenigstens zu schrecken.

Das Letztere durch die Erkrankung der beiden jüngsten Kinder meines Bruders, bei denen zugleich über Nacht der Scharlach ausgebrochen war. In einem kleinen und ärmlichen Haushalte, wie der unsere, gab das immer, auch wenn vorläufig von Gefahr nicht die Rede war, eine empfindliche Störung und einen Arbeitszuwachs, der, obgleich er im Grunde doch nur die Schwägerin traf, von Otto als ein ihm besonders widerfahrenes Mißgeschick beklagt wurde. Wo nichts sei, da habe bekanntlich der Kaiser sein Recht verloren; aber das Unglück wich lange nicht. Nun, ihm sei es gleich; er sei auf Alles gefaßt.

Er war es nicht einmal, als eine Stunde später unser Mitgeselle Knall und Fall von der Arbeit lief. Dieser Brave hatte binnen vierundzwanzig Stunden die Umwandelung von einem wüthenden Socialdemokraten in einen fanatischen Christlich-Socialen vollständig durchgemacht. Er war gestern Abend in der Versammlung beim Pastor Renner gewesen; Pastor Renner hatte ihm die Augen geöffnet: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, Innungszwang und keine Steuern mehr für die unteren Klassen: das sei von jetzt sein Programm, und der Teufel solle ihn holen, wenn er je wieder bei einem socialdemokratischen Meister einen Hobel anrühre.

Damit war der Biedermann, nachdem er vorher weislich einen Streit mit dem gutmüthigen Otto vom Zaun gebrochen, zur Werkstatt hinausgestürmt.

„Laß ihn laufen, Otto,“ sagte ich; „der Mensch ist nicht unersetzlich, und bis er ersetzt ist, werden wir Zwei für Drei arbeiten.“

Otto sagte gar nichts, dafür seufzte er alle paar Minuten so herzbrechend, daß man hätte lachen müssen, wenn die bodenlose Schwäche des Mannes für mich nicht von so trauriger, schwerwiegender Bedeutung gewesen wäre. Der Fortgang des Geschäftes, das sich jetzt so gut anließ, das Wohl der Familie, die durch mich zum ersten Mal eine Art von Behagen kennen gelernt hatte – es ruhte Alles auf mir. Was sollte daraus werden, wenn ich auch nur auf acht Tage arbeitsunfähig wurde? Ich dachte schaudernd an meinen Arm, der mich schon ein paarmal in Folge von Ueberanstrengung heftig geschmerzt hatte. Ein Krüppel! Es hatte mich blutige Thränen gekostet, als es mich damals verhinderte, in den Kampf gegen den Erbfeind zu ziehen. In diesem Kampfe um Haus und Herd würde Keiner für mich eintreten; hier war ich einfach unersetzlich, und die Schlacht mußte ohne mich verloren gehen.

Ich gestehe, daß diese trübseligen Betrachtungen die freudigen und erhebenden Erlebnisse der letzten Tage wie mit einem grauen Schleier zudeckten, und ich förmlich erschrak, als gegen zehn Uhr Weißfisch, diesmal in der Werkstatt selbst, erschien und mich daran erinnerte, daß ich zu meinen häuslichen und geschäftlichen Pflichten andere, keineswegs leicht zu erfüllende übernommen hatte. Zwar das Manuskript des „Thomas Münzer“ hatte ich schon zurecht gelegt und konnte es jetzt Weißfisch übergeben, mit der Bitte, es Herrn Lamarque zu überbringen. Aber mit diesem Kaufpreis von Lamarque’s Protektion Christine gegenüber war die Rechnung mit den Hopps ja keineswegs beglichen. Gab es Jemand, der den Zorn des Vaters, den Jammer der Mutter beschwichtigen, beide mit der neuen Wendung in dem Geschick der Tochter aussöhnen konnte, so war ich es, und zwar mußte das auf der Stelle geschehen; aber wie hätte ich heute von der Arbeit fortgedurft! Ich klagte Weißfisch meine Verlegenheit; Weißfisch wünschte, daß mich einmal eine größere treffen möchte, nur damit er im Stande sei, mir seine Ergebenheit und hoffentlich auch seine Anstelligkeit zu beweisen. Er habe die Bekanntschaft der Hopps damals, als er – nun, ich wisse ja schon – gesucht und gemacht – eine ganz intime Bekanntschaft in Anbetracht der kurzen Zeit, die er darauf verwenden konnte – und wenigstens die von H. H., den er wiederholt in Kneipen getroffen, hier erneuert. Ich solle ihn nur machen lassen. Und auf dem Wege könne er uns gleich einen neuen Gesellen besorgen. Es liefen so viele arbeitssuchend in der Stadt herum. Um Mittag hoffe er mit seinen Besorgungen fertig zu sein und werde sich dann abermals die Ehre geben.

Wirklich kam er schon gegen Mittag zurück. Der neue Geselle, ein kreuzbraver Kerl und Socialdemokrat selbstverständlich, werde morgen mit dem Frühesten antreten. Was das Uebrige betreffe – Ich fragte Otto, ob er nicht inzwischen zu Tisch gehen wolle; ich würde in einigen Minuten nachkommen. Otto legte seufzend den Hobel weg und verließ die Werkstatt; Weißfisch lächelte, rieb sich nach alter Gewohnheit, die ich jetzt zum ersten Male wieder bei ihm bemerkte, ein paarmal sanft die Hände und berichtete.

Es war Alles nach Wunsch, ja fast darüber hinaus glatt und glücklich gegangen. Herr Lamarque habe ihm in seiner Freude über das Manuskript sofort eine größere Summe eingehändigt, zum Arrangement der Angelegenheiten Fräulein Christinens. Einen Theil dieser Summe habe er bei der Brotherrin Fräulein Christinens gelassen gegen einen Revers, in welchem die Dame auf jedes weitere Anrecht an ihre bisherige Gehilfin verzichtete. Darauf habe er sich stehenden Fußes mit dem Fräulein in einen Wagen gesetzt und dasselbe in einer Chambre garnie bei einer sehr anständigen Familie in unmittelbarer Nähe des Theaters vorläufig für einen Monat, den er vorausbezahlt, eingemiethet, mit der Weisung an das Fräulein, das Quartier bis auf Weiteres nicht zu verlassen. Dann erst habe er sich zu Hopps begeben und auch dort mit

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