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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Blätter und Blüthen.

Der Heidelberger Schloßhof. (Mit Illustration Seite 529.) Wie ein Märchen umfängt es uns, wenn wir aus den schattendunklen Baumhallen des Heidelberger Schloßparkes durch den kühlen, düsteren Thorgang hindurch in den Schloßhof treten. Ein phantastisches Gewirr von Mauern, hier die edlen Linien der italienischen Renaissance, dort der Ernst und die Strenge der Gothik, Erker und Hallen, Bogengänge und reiche, von Karyatiden umschlossene Portale, hochaufstrebende Giebel und ein über Alles hinausragender Riesenthurm; darüber spannt sich der blaue Himmel, und das helle Sonnenlicht fluthet über den rothen Sandstein und das grüne Geißblattgeranke, kost mit den Blüthen der Akazien und dem Strahl des Schloßbrunnens und malt kräftige Schatten neben die Säulentrümmer und Mauerstücke, die, von üppigem Grün umwuchert, da und dort lagern.

Man steht verwundert still und sättigt seine Augen an der berückenden Pracht; man fährt sich wohl auch über die Stirn und fragt sich, ob man nicht träumt. Und wenn nicht – wer hat dieses Bild aufgebaut, das einzig ist in dem Zusammenspiel von Kunst und Natur, in der Verschmelzung klassischer Formenschönheit mit dem traumhaften Zauber der Romantik? Es scheint kaum möglich, daß es Wirklichkeit ist, und doch ist es so, und wer es in seiner Verzückung nicht glauben will, den mahnt gewiß der Fremdenführer daran, der ehrerbietig an ihn herantritt und ihn fragt, ob er die Ruine besichtigen will.

Ja, dieses Märchen ist eine Ruine. Hinter den stolzen Mauern befinden sich ausgebrannte Säle, in denen Unkraut und Gestrüpp wuchert. Kein Edelfräulein wird dir vom Erker herab zunicken, in dem nur die Mäuslein durch Schutt und Moder huschen, und kein fröhlicher Festlärm tönt dir aus den Hallen entgegen. Es ist Alles still und todt, und nur zu Zeiten weht es wie ein Geist der schönen Vergangenheit durch diese Räume. So in diesen Tagen, wo Heidelberg den Jubeltag seiner nun 500 Jahre alten Universität festlich begeht und wo auch ein Theil des Schlosses, das sogenannte Landhaus, zur Festhalle umgeschaffen wird. Wieder werden Trompeten erschallen und Gläser klingen, fröhliche Reden werden von den alten Mauern widerhallen, und die Lieder vom weinfrohen Pfalzgrafen, vom Zwerg Perkeo und vom Heidelberger Faß werden die grauen Ritter in den Wandnischen aus dem Schlafe schrecken und ihnen von der fröhlichen Gegenwart erzählen, die nun hereintönt in den stillen Märchenzauber. Und heller als alle diese Lieder wird das Lied erklingen von „Altheidelberg der feinen, der Stadt an Ehren reich“, als ein Zeugniß, daß diese Gegenwart der reichen Vergangenheit würdig ist und zu den alten neue Ehren gereiht hat.

Aber der Fremdenführer mahnt – entreißen wir uns der Traumwelt und folgen wir ihm. Und während er seinen Leierkasten in Bewegung setzt und die gewohnten Weisen aborgelt, steigt vor unserem Geiste das alte Heidelberg empor, das seinen Mittelpunkt im Schlosse hat, wie dieses ihn wieder im Schloßhof besitzt. In der That – wir brauchen unseren Standort am Portale nicht zu verlassen, wir brauchen unsere Augen nur langsam in der Runde schweifen zu lassen, und dann erzählen uns diese Mauern die Geschichte vieler Jahrhunderte, die Geschichte der Pfalz und ihrer Fürsten, die Geschichte Heidelbergs und seines Schlosses. Die unscheinbaren Bauten zur Linken – sie fehlen auf unserem Bilde – führen in die älteste Zeit zurück. Der Ruprechts-Bau ist zu Anfang des 15. Jahrhunderts auf den Resten der alten, aus dem 13. und 14. Jahrhundert stammenden Anlage erbaut. An ihn stößt der Rudolfs-Bau, der vielfach als der älteste Theil des Schlosses bezeichnet wird, und an diesen das Bandhaus (einst Küferwerkstätte) und das Gebäude, welches das weltberühmte „Heidelberger Faß“ enthält. Daran grenzt, fast im rechten Winkel, der besterhaltene Theil der Burg, der Friedrichs-Bau, 1601 bis 1607 vom Kurfürsten Friedrich IV. erbaut. Es ist das stattliche Bauwerk mit den beiden Giebeln, das sich auf dem Bilde zur Linken befindet, ein schönes Denkmal deutscher Renaissance in etwas schweren, barocken Formen und mit reichem Skulpturenschmuck. An den Friedrichs-Bau schließt sich der Neue Hof Friedrich’s II., 1549 erbaut, erkennbar an den in drei Etagen über einander befindlichen Arkaden. Ueber diesen Bau blickt der achteckige Thurm herüber, in den 1764 der Blitz schlug, so daß in Folge dessen fast das ganze Schloß ausbrannte.

Das war die letzte Katastrophe, die über das großartige Bauwerk hereinbrach, das schon im Dreißigjährigen Kriege viel gelitten und 1693 von den Franzosen unter Melac in die Luft gesprengt worden war – so weit es sich bei der kolossalen Festigkeit seiner Mauern eben in die Luft sprengen ließ. Am lebhaftesten wird diese barbarischen Gewaltakte wohl Jeder dann bedauern, wenn er sein Auge dem Otto-Heinrichs-Bau zuwendet, der sich in einem stumpfen Winkel an den „Neuen Bau“ anschließt. Otto Heinrich, der ebenso geistvolle als schönheitsfrohe Neffe Friedrich’s II., der mächtige Förderer der Universität, der dem Geist der neuen Zeit freudig die Thore öffnete, erbaute diesen Palast in den Jahren 1556 bis 1559. Einer der herrlichsten Bauten der Welt, erfreut er noch als Ruine das Auge durch die phantasievolle Gliederung, den Reichthum der bildnerischen Ausstattung und die edle Harmonie des Ganzen. Man braucht zu seinem Ruhme nicht mehr zu sagen, als daß sich lange Zeit das Gerücht erhielt, Michel Angelo habe die Pläne entworfen. Der an den Otto-Heinrichs-Bau grenzende Ludwigs-Bau gehört zu den gut erhaltenen Theilen des Schlosses. Er wurde 1508 bis 1524 von Ludwig V. erbaut, ebenso wie die Oekonomiegebäude, die das Viereck des Schloßhofs nach vorne zu abgrenzen und von denen auch unser Bild noch ein Stück zeigt: die von Grün umsponnene Säulenhalle, die zu den malerischsten Theilen des Schloßhofes gehört. Die Halle ist in gothischem Stil ausgeführt und wird von sechs Granitsäulen getragen, die Ludwig der Kaiserpfalz Karl’s des Großen zu Ingelheim entnehmen ließ. Sie enthält den bis auf den Fels gebohrten, gleichfalls von Ludwig angelegten Ziehbrunnen.

Damit ist unsere Rundschau zu Ende, und wir folgen wohl dem Fremdenführer zur Besichtigung der anderen Sehenswürdigkeiten des Schlosses – zum „Gesprengten Thurm“, in den Schloßgraben und dann hinauf zu der von Salomon de Caus erbauten Terrasse, um dort den herrlichen Blick auf das Schloß, das Neckarthal und die freundliche, tief zwischen grüne Berge gebettete Stadt zu genießen. Aber mächtig zieht es uns wieder in den Schloßhof zurück und alle die „alten Herren“, die in den Festtagen ihr geliebtes Heidelberg wiedersehen, werden gewiß manche Stunde dort oben im Angesichte der alten Märchenherrlichkcit verträumen. Man muß aber auch wieder und wiederkehren, um dieses Kleinod voll zu genießen und ganz zu würdigen. Man muß am frühen Morgen kommen, wenn noch kein Engländer mit dem rothen Reisebuch unter dem Arme die Steine beklopft und kein Pfälzer Kindermädchen ihre Schutzbefohlenen mahnt, die „Aache aaf’m Weg zu hawwe“, wenn das feierliche Schweigen, die tiefe Einsamkeit den Zauber der Scenerie noch erhöhen; dann am frühen Nachmittag, wenn die Sonne den rothen Sandstein des Otto-Heinrichs-Baues erglühen läßt und die scharfen Schatten die herrliche Façade erst recht beleben, und endlich am Abend, wenn der Mond über dem phantastischen Gemäuer schwebt und im Schloßgraben die Nachtigallen schlagen, oder – wieder ein gegensätzliches Bild – wenn bunte Lampions die Nacht erhellen, fröhliche Klänge erschallen und heitere Menschen plaudernd auf- und niederschreiten. Wann man aber auch kommen mag, immer empfängt man einen tiefen, bleibenden Eindruck, und auch diejenigen, die in den Augusttagen hier zusammen kommen, um das Jubiläum der Ruperto-Carolina mitzufeiern, werden, wenn sie scheiden, gewiß nur ein herzliches Wort auf den Lippen haben, das eine Wort: Unvergeßlich! Emil Peschkau.     

Eine geschichtliche Parallele. Man hat die Geisteskrankheit des Königs Ludwig II. von Bayern mit mancherlei ähnlichen Fällen aus der Regentengeschichte aller Zeiten verglichen; man hat dabei auch den Wahnsinn der römischen Cäsaren mit herangezogen, und in der That, wenn die Blutbefehle, die der ursprünglich so genial angelegte, bedauernswerthe Fürst in letzter Lebenszeit gegeben, ausgeführt worden wären, so würde diese Aehnlichleit noch weit mehr in die Augen gefallen sein. Doch der Kulturstand der Zeit ist eben ein anderer, und blinde Werkzeuge, wie es die Römer Nero’s waren, würde heut zu Tage kein irrsinniger Fürst finden, der in seinen dunklen Stunden ausschweifenden Despotenlaunen huldigte. Neuerdings hat Professor Stieve in einem Münchener Blatte auf einen deutschen Kaiser hingewiesen, dessen geistiger Zustand mit dem des verstorbenen Königs von Bayern eine auffallende Verwandtschaft hatte, auf Kaiser Rudolf II. In der That, vergleicht man, was auch der große Historiker Leopold Ranke in seiner „Deutschen Geschichte“ über diesen Kaiser sagt, mit den genaueren Mittheilungen Stieve’s, so glaubt man fast, eine geschichtliche Doublette vor Augen zu haben; denn fast alle einzelnen Erscheinungen der Geisteskrankheit decken sich in wunderbarer Weise. Es ist ja bekannt, daß die Lehrer der Seelenheilkunde die Krankheiten in bestimmte Rubriken gebracht haben, und daß es ebenso schwer ist, auf dem Gebiete des Wahnsinns originell zu sein, wie auf dem der schöpferischen Kunst; gleichwohl wird eine so augenscheinliche Wiederkehr derselben Aeußerungen der Seelenstörung zu den größten Seltenheiten gehören. Kaiser Rudolf stattete seine Gemächer mit unerhörter Pracht aus; Scepter, Krone und Reichsapfel ließ er für eine Million Gulden, eine damals ganz ungeheure Summe, anfertigen, und mit dem prachtvollen Schlitten des Königs Ludwig mochte jener Tisch wetteifern, dessen Platte eine aus Edelsteinen zusammengesetzte Landschaft zeigte. Er hatte Verständniß und Neignng für die bildenden Künste. Seine Abneignng gegen eine Heirath war unüberwindlich: man wünschte seine Vermählung mit seiner Kousine Isabelle; so oft aber die Hochzeit anberaumt werden sollte, verlangte er Aufschub. Zwanzig Jahre gingen darüber hin; dann heirathete Isabelle Rudolf’s Bruder Albrecht. Dies Ereigniß brachte den Irrsinn des Kaisers zu vollem Ausbruch. „Die Krankheit Kaiser Rudolf’s,“ sagt Stieve, „offenbarte sich in Menschenscheu, in stets regem Mißtrauen, welches nur ausnahmsweise für kürzere oder längere Fristen ebenso maßlosem Vertrauen Platz machte, in überaus reizbarer Eifersucht auf sein Ansehen und übertriebener Vorstellung von der Erhabenheit seiner Würde, in Trübsinn und angstvoller Erregung und beständiger Furcht, durch Mörder sein Leben oder durch einen seiner Brüder seine Krone zu verlieren. In einer Ständeversammlung zu erscheinen konnte Rudolf nur noch ein einziges Mal durch Androhung von Gewalt gezwungen werden. Höchst selten fuhr er aus, und dann fast ausnahmslos in der Nacht. In der Regel erging er sich nur in den Gärten und Baulichkeiten des Schlosses auf dem Hradschin, und dann durfte ihm Niemand begegnen. Wohnte er Schaustellungen an, so mußte dafür gesorgt werden, daß ihn Niemand sehen konnte. Seine Mahlzeiten nahm er immer allein ein, und die ihn Bedienenden durften dabei kein Wort sprechen.“ Ranke berichtet, daß die Kammerdiener zu den wichtigsten und einflußreichsten Männern gehörten, die Bestallungen für Civil und Militär vermittelten und noch mehr die Gnadenbeweise; daß sich ohne ihr Fürwort Niemand dem Kaiser nähern, geschweige etwas bei ihm erreichen konnte; er spricht von den Ausbrüchen seiner mit Jähzorn gemischten Melancholie, welche die Erzherzöge als „gefährliche Intervalle“ bezeichneten. Dann mißhandelte der Kaiser seine Diener mit den Fäusten und warf ihnen Teller und Tafelgeschirr an den Kopf. Auch mit Selbstmordgedanken trug er sich und versuchte öfter Hand an sich zu legen.

Sollte man nicht glauben, daß die Weltgeschichte sich bisweilen der Kopirtinte bedient und ganze Blätter aus ihren Annalen mit unverwandelten Schriftzügen wiederholt? Das Königsschloß Hradschin an den Ufern der Moldau und die Burg Hohenschwangau in den Alpen erzählen wortgetreu dieselbe Kunde von der traurigen Geistesumnachtung vereinsamter Herrscher. †      

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