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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Mir stiehlt Niemand etwas,“ erwiderte Frau von Werin. Und dann auf die Kinder deutend, die vor uns schritten: „Diese hier sind mir Riegel, Schlösser und Vorlegeketten. Sie sind Mir auch der Anker, der mich noch am Leben festhält.“

13.

Als ich nach einer Viertelstunde vor das Werin’sche Haus zurückgekehrt war, sah ich, um die Ecke nach der Front des Hauses biegend, Maria auf der obersten der Trittstufen, im Begriff hineinzugehen. Sie wandte sich nach dem Geräusch meiner Schritte, und ich sah, daß eine feine Röthe über ihr blasses Gesicht flog, als ich nun, rasch hinaufspringend, ihre entgegengestreckte Hand ergriff und küßte.

„Verzeihen Sie!“ sagte ich ; „ich weiß, Sie lieben das nicht; es ist auch nur, weil ich so glücklich bin, daß ich Sie endlich, wiedersehe,“

„Nicht glücklicher als ich,“ erwiderte sie, und es zuckte dabei um ihre Oberlippe.

Ich sah, daß es ein Lächeln sein sollte, sah es an dem heitren Glanze ihrer Augen, die mir mit ihrem götterhaft festen Blick bis in’die tiefste Seele zu schauen schienen.

Sie hatte meine Hand in der ihren behalten und führte mich so über den Flur in ein dem Kinderzimmer gegenüberliegendes kleines Gemach, an das sich, wie ich durch die offenstehenöe Thür sah, ihr Schlafgemach schloß. Sie verschwand in demselben, um nach einer halben Minute ohne Hut und Mantel wieder einzutreten und mit mir auf zwei Rohrsesseln neben ihrem Arbeitstische Platz zu nehmen – ein Sofa gab es in dem klösterlich einfach ausgestatteten Raume nicht.

„Sie haben die Mama gesprochen,“ sagte sie; „ich nehme es aus der Richtung ab, aus der sie kamen; und so sind Sie über unser Leben und Treiben unterrichtet. Ich helfe der Mutter, so weit es Mir die fünf Stunden, die ich täglich in Meiner Schule gebe, gestatten. Freilich braucht sie kaum eine oder gar keine Hilfe, da sie ausschließlich für unsere Kinder lebt; und Sie wissen, was das bei einer Frau von Mamas Energie sagen will. Adalbert – aber ich lasse Sie nicht zu Worte kommen – Sie wollten etwas sagen?“ Ich wollte ihr allerdings sagen, daß ich sie wunderbar verschönt fände, womöglich noch edler im Ausdruck der reinen Züge, die doch soviel milder und weicher geworden waren. Ein abermaliger Blick in die herrlich klaren Augen warnte mich und ich sagte, Adalbert’s Namen auffassend:

„Ich habe ihn gesehen und gehört: in der Versammlung. Dann bei Adele. Seitdem nicht wieder. Ich habe keine Zeit ihn aufzusuchen. Offen gestanden: ich glaube nicht, daß er mich vermißt hat, trotzdem er sich über unser Wiedersehen aufrichtig zu freuen schien.“

„Warum nur schien?“ - erwiderte Maria, und es zog wie eine Wolke über die reine Stirn. „Lassen Sie das alte Mißtrauen nicht wieder aufkommen, und seien Sie ein- für allemal überzeugt: an Adalbert ist kein Schein. Dafür bedarf er eines Freundes, das heißt Ihrer – er hat nie einen andern gehabt – Mehr als je: der echte Sohn unserer Mutter, Beide entweder Alles wollend oder Nichts. Und er, fürchte ich, ist für sein Theil dahinter gekommen, wie die Rechnung in Wirlkichkeit steht - Aber nun erzählen Sie mir ein wenig, ich meine möglichst ausführlich von sich selbst – von dem Augenblick an, wo Sie, von dem Hofe des Herzogs schieden. Bis dahin weiß ich Ihre Geschichte aus den Mittheilungen Ihrer liebenswürdigen Schwester - und vielleicht besser als diese selbst. Sie brauchen wahrlich nicht zu erröthen über eine Leidenschaft, vor der die Natur Sie Nicht gewarnt hat. Und glauben Sie Mir: ich würde diese Hindeutung nicht gewagt haben, wäre ich nicht entschlossen, unsere alte Freundschaft Mit allen ihren Rechten und Pflichten wieder aufzunehmen und, indem ich in das Verborgenste Ihrer Seele deute, zugleich da rauf hinzüweisen, daß wir heute wie damals kaum etwas vor einander verbergen können und ganz gewiß nichts vor einander zu verbergen brauchen.“

Die Gelegenheit, das zur Sprache zu bringen, was mich doch, wenn ich ehrlich sein wollte, eigentlich hierher geführt hatte, war zu günstig, und so sagte ich denn rasch:

„Lassen Sie mich Sie beim Wort nehmen! Es betrifft Jemand, der Ihnen einmal theuer war und dem Sie es noch sind. Ich weiß es sicher – aus einem Briefe, den ich gestern von ihm empfing – von Ulrich Vogtriz.“

Ich hatte dabei Maria in die Augen zu sehen versucht. Es war Mir doch nicht recht gelungen, und jetzt war mir der unveränderte Klang ihrer Stimme kein gutes Zeichen.

„Darf ich wissen, woraus Sie das Letztere schließen?“

„Er schreibt, er habe das werden müssen; was er geworden, weil die Hand ihn verworfen, in welcher er Wachs gewesen sein Würde. Und dann bittet er noch, seine todte Liebe zu grüßen.“

Ich blickte wieder auf; es war nun doch ein Schatten über den Glanz ihrer Augen gefallen und ihre Stimme ein wenig dumpfer, als sie nach einer kurzen Pause erwiderte:

„Seine todte Liebe? todt für wen? für ihn? für mich? für uns Beide? Ich darf mit Sicherheit allerdings nur für mich sprechen, und da kann ich nur Wiederholen, was ich Ihnen bereits vor fünf Jahren, kurz nach der Katastrophe, bei unserer Abreise schrieb : ,Mein Traum ist ausgeträumt'. Wer so wenig Talent zum Träumen hat wie ich, der weiß mit seinen wenigen Träumen Bescheid – glauben Sie mir! Was ihn betrifft? Was ist er seitdem gewesen? Ein toller Student, wie ich nach den Narben schließen muß, von denen sein Gesicht zerfetzt,ist – ich begegnete ihm neulich auf der Straße – zum ersten Male – er führte eine große Ulmer Dogge an der Leine und sah mich nicht – Gott sei Dank! Einer jener jungen Leute, Deren Treiben mir verhaßt gewesen sein würde, wenn ich auch nicht Adalbert’s Schwester wäre. Was ist er jetzt? Ein junger Gelehrter, mit dessen Gelehrsamkeit es nicht weit her sein soll sagt Adalbert. Ich vermag das nicht zu beurtheilen; aber ich habe seine Paar Broschüren und Aufsätze gelesen, und ein wenig verstehe ich auch von diesen Dingen. So viel, daß ich den Standpunkt, erkennen kann, von dem Jemand über diese Dinge schreibt, und sein Standpunkt ist der unserer ärgsten Gegner, für die wir: Adalbert, die Mutter, ich, Ihr Schwager, Sie, und Alle, die auch nur ähnlich denken wie wir, einfach Verbrecher sind. Das ist er gewesen, das ist er jetzt. Und Sie könnten wirklich glauben, er wäre ein Anderer geworden, wenn ich – nun ja, wenn ich ihn weiter geliebt hätte, er der Fortdauer meiner Liebe gewiß gewesen wäre? In den Formen vielleicht, im Wesen nimmermehr. Und ich bin zu sehr Meiner Mutter Tochter und meines Bruders Schwester, um nach anderer Mädchen Weise – die leider auch die Weise so vieler Männer ist – mich durch den süßen Rausch jener Empfindungen, die wir Liebe nennen, über den wesentlichen Unterschied wegtäüschen zu lassen und zu vergessen, daß die schlimmste Scheidung, die der Gedanken ist, mit denen wir unseres Lebens Wurzeln nähren. Dan haben Sie, lieber Lothar, die Inschrift auf dem Grabe meiner ,todten Liebe’. Sie ist ein wenig lang geworden; aber Ihnen war ich einige Ausführlichkeit schuldig, schon für den Fall, daß Sie doch noch einmal mit Ihrem Freunde auf dies Thema zu sprechen kommen sollten.“

Das klang ja nun freilich sehr hart und trostlos für Schlagododro. Aber während sie sprach, war wiederholt die Farbe auf ihren zarten Wangen gekommen und gegangen, und sie hatte Einzelnes in einer Erregung gesagt, die mir auf eine Grabesruhe in ihrem Herzen nicht eben zu deuten schien.

Ich hatte, während Maria sprach, unwillkürlich auf den rasch näher kommenden Hufschlag eines Pferdes gehört und mich gewundert, was wohl ein Reiter bei dieser Jahreszeit auf diesen Wegen zu suchen habe. Indem ich die letzten Worte sprach, ertönte der Hufschlag in unmittelbarer Nähe, und ein großer dunkler Gegenständ huschte an dem Fenster, dem ich halb den Rücken kehrte, vorüber, worauf das Geräusch verstummte: zweifellos ein Wagen mit Gummirädern, der nun vor dem Hause hielt.

„Das ist doch seltsam,“ murmelte Maria, indem sie sich zugleich erhob und sich nach der Thür bewegte. Sie hatte aber noch keine zwei Schritte gethan, und ich nicht die Zeit gefunden, zu fragen, was seltsam sei, als bereits an die Thür gepocht und dieselbe dann auch sofort geöffnet wurde. Eine junge Dame in pelzbesetztem Plüschpaletot und ebenfalls mit Pelz verbrämter, mützenartiger Kopfbedeckung stand auf der Schwelle und schaute auf uns Beide mit großen, halb erschrockenen, halb lachenden Augen.

Ich hatte seit fünf Jahren nicht ist diese Augen gesehen, aber ich glaube, ich würde sie erkannt haben, hätten sie mich aus den Höhlen einer Maske angeblickt.

Und jetzt blickten sie mich an aus dem rosigen Gesichte Ellinor’s von Vogtriz.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_547.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2018)