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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Winde her eilt, haben wir Zeit, den landschaftlichen Gesammteindruck aufzunehmen. Er fällt entschieden zu Gunsten der alten Abtei gegen das neue Königsschloß aus. Mit klarem Blick und einfachem Verständniß fanden in den Tagen grauer Vorzeit jedesmal die Mönche für ihre Klostergründungen den schönsten Punkt auf Meilen in der Runde. So war’s auch hier auf Herrenchiemsee. Hoch ragt der Prälatensitz auf seinem Hügel; von prächtigen Bäumen umstanden schaut sein stattlicher Giebel nach allen vier Windrichtungen über den See hin und macht in all seiner Einfachheit landschaftlich mehr Eindruck, als der neue Königsbau, der langgestreckt sich kaum über den Wald erhebt. Und doch ist es die Hauptfront des Palastes, die man zuerst sieht: die Westseite, von welcher sich terrassenförmig die „Latona-Anlage“ herabzieht bis zu dem breiten Kanal, der vom See aus nach dem Schlosse zu gegraben ist.

Vom Dampfboot aus gleitet der Blick direkt in diesen Kanal hinein und sieht die hohen Spalierbauten, welche ihn einfassen, sowie den Spiegel des Schlosses und der dunklen Waldbäume. Es ist nur der kleinere Theil des Sees, welchen man vom Westgestade aus nach Herrenchiemsee durchfährt; aber er macht weit mehr den Eindruck eines Gebirgssees, als der größere östliche. Von Norden her ziehen sich bewaldete Halbinseln in den See vor, zwischen welchen stille Buchten liegen; an der Westseite zeigt sich waldiges Hügelland; die Ostseite erscheint fast ganz durch die langgestreckte Herreninsel abgeschlossen; im Süden aber baut sich ein schöngezackter Berg empor, die Kampenwand, an deren Gehänge ein scharfes Auge leicht die Alphütten entdecken kann.

Eine Viertelstunde fährt der kleine Dampfer über diesen Theil des Sees; dann biegt er in scharfer Wendung um die Nordspitze der Herreninsel, wo, fast auf dem Wasser schwimmend, eine kleine Kirche unter Pappeln steht. Gleich darauf ist die Landungsbrücke erreicht, und man steigt den Hügel zur Abtei hinan. Hier deutet nichts mehr auf das ehrwürdige Alter dieser Ansiedelung, von der nur dunkle Sagen berichten, daß sie schon in karolingischer Zeit unter der Herrschaft des bayerischen Herzogsgeschlechts der Agilolfinger aufgeblüht sei. Was jetzt an den Gebäuden der vormaligen Abtei noch steht, ist neueren Ursprungs: stattliche weiße Fronten auf hoher Terrasse, mit großen Fenstern, das Erdgeschoß umrankt von Weinlaub und Pfirsichbäumen. Aber die schönen Räume sind leer. Seit dem Anfange unseres Jahrhunderts ist das Kloster aufgehoben. Das prächtige Besitzthum ward um einen Spottpreis verkauft, die beiden hohen Thürme, die einst ein Wahrzeichen der Umgebung, eine weithin sichtbare Landmarke gewesen, abgetragen, die Kirche selbst in ein Bräuhaus verwandelt und aus den kupfernen Thurmdächern wurden Braupfannen. Die Geister der verstorbenen Mönche ließen das Alles ruhig geschehen, ohne in den Gängen und Hallen zu spuken. Von den Spuren ihres Wirkens zeugen nur noch die weißen Mauern und die schönen alten Bäume des Klostergartens, in deren Schatten die Prälaten einst wandelten und in Ruhe das prächtige Landschaftsbild beschauten, welches ringsum sich darbietet. Von der luftigen Höhe dieses Gartens aus sieht man jetzt auch auf den neuen Schloßbau; man sieht fast herab auf ihn. Aber nur der unvollendete Rohbau starrt uns hier entgegen (siehe Anfangsvignette). Der schöne Berg, der ihn überragt, ist der Hochgern, dessen Schluchten ausgedehnte Gemsreviere enthalten.

Wir wandern um die Abtei durch den Klostergarten. Ueberall schimmern zwischen dunklen Zierbäumen See und Hochgebirge. Dann führt uns der Weg durch eine lange Allee von Apfelbäumen sanft abfallend nach der westlichen Kanal- und Gartenanlage des neuen Schlosses. Blendendweiß schaut uns die Hauptfaçade des Prachtbaues entgegen, über breiten Syenittreppen ansteigend mit ihren Riesenfenstern und Säulen. Aber so sehr man auch überzeugt wird, daß hier die heiterste großartigste Pracht beabsichtigt war, so überwiegt doch bei dem äußeren Anblicke des Schlosses der Eindruck des Unvollendeten. Denn an den selbst noch unfertigen Hauptbau schließt sich nördlich ein mächtiger Flügel an, welcher kaum über das Stadium des Ziegelrohbaues hinaus gediehen und nur nothdürftig mit Bewurf versehen ist. Das klafterdicke Mauerwerk des südlichen Seitenflügels aber schaut eben erst über den Erdboden heraus. Das Dach der Façade ist flach; auf dem Dachgesims stehen Statuen und Trophäen in langer Reihe; auch die Außenmauern zwischen den Fenstern sind mit plastischen Trophäen geschmückt.

Drei reichvergoldete Gitterthore führen in ein Vestibül, aus welchem man nach Osten wie nach Westen hin eine weite Aussicht über die Kanäle und nach dem See hinaus genießt. Aber die Räume, welche an dieses Vestibül anschließen sollen, sind alle noch völlig unfertig. Im ganzen Erdgeschoß sind nur zwei Räume vollendet: des Königs Schwimmbad und das daran schließende Ankleidezimmer. Das Badezimmer, welches unsere Illustration[1] S. 569 wiedergiebt, ist einzig in seiner Art; eine ovale Halle enthält ein etwa acht bis zehn Meter im Durchmesser haltendes und gegen drei Meter tiefes Marmorbassin, in welches eine Marmortreppe hinabführt. Die Wände sowie den gewölbten Plafond schmückt ein großes farbenreiches Freskobild: eine feuchtschimmernde Meereslandschaft, wo an felsiger Küste Nereiden und Tritonen ihr lustiges Spiel treiben. Dunkelroth sind die Vorhänge vor den Fenstern, und den ganzen Raum füllt ein magisches rothes Licht. Aus diesem phantastischen Raume führt ein kleines Thürchen in das zu ihm gehörige Ankleidekabinet. Außer einem reich gestickten Ruhebett ist in demselben fast kein Mobiliar zu bemerken; sein charakteristischer Schmuck besteht in seinen Spiegeln, welche so geschickt angebracht sind, daß man, wohin man auch blickt, die Zahl der eintretenden Personen verhundertfacht und das Zimmerchen selbst in eine unendliche Flucht von Zimmern verlängert sieht. Eine schmale Wendeltreppe führt aus diesem Ankleidekabinet hinauf ins obere Stockwerk, in das Schlafgemach des Königs (siehe Illustration S. 568).

Hier fesselt unsere Augen das Prachtbett, in welchem der König viermal übernachtete, – ein Meisterwerk kunstgewerblichen Fleißes. Blaue Seide und weiße Felder mit Goldeinfassung und Ornamenten bedecken die Wände. Der riesige Baldachin ist ebenso wie die Vorhänge aus dunkelblauem schwersten Seidensammt gearbeitet und mit reichen Goldstickereien geschmückt. Große Aufsätze von weißen Straußenfedern schmücken die Ecken. Unter der goldenen Königskrone schimmert das Monogramm Ludwig’s II., das doppelte L; daneben sitzen zwei Genien, Palmenzweige und Lilienstengel schwingend.

Am Kopfende des Bettes befindet sich eine große strahlende Sonne, darüber ein Kunstwerk farbiger Seidenstickerei, die Kreuzigung Christi darstellend. Von der inneren gleichfalls dunkelblauen Decke des Baldachins strahlen goldene Sterne herab. Das Fußende des Bettes bildet ein vergoldetes Basrelief: eine auf dem Lager ruhende Mutter mit Kindern. Rechts von diesem Mittelbilde steht ein Bogenschütze, links eine erwachende Frauengestalt. Beide Figuren sind plastisch ausgeführt und reich vergoldet. Auch diese Gruppe wird von zwei Genien gekrönt.

Rechts vom Bette steht ein Betschemel, auf welchem der König unmittelbar nach dem Aufstehen knieend sein Gebet verrichtete.

Nicht minder prachtvoll wie das Bett ist auch die Waschtoilette gearbeitet. Kostbares Waschzeug aus blauem Email mit schweren Vergoldungen steht auf dem mit mattblauer Sammtdecke versehenen Tisch. Darüber ist ein Spiegel in schwerem schön geschnitzten Goldrahmen angebracht, zu dessem Seiten in reichen Falten kostbare Brüsseler Spitzen herabhängen.

Das Prachtbett wird von dem übrigen Raume des Gemaches durch eine vergoldete Brustwehr getrennt, deren einzelne Pfeiler zierliche Rosengewinde verbinden. Intarsien mit dem Monogramm L schmücken den spiegelglatten Parkettboden.

In dieser der Ruhe geweihteu Stätte finden wir eine Marmorbüste Ludwig’s XIV., dessen Prachtbauten zu Versailles der unglückliche Bayernkönig in dem einsamen Jnselschloß von Herrenchiemsee zu übertreffen suchte. Wenn der König erwachte, so fiel sein Blick zunächst auf jenes starre, vor einem Riesenspiegel aufgestellte Bildniß. Seltsam – durchwandern wir jetzt diese Räume unter dem Eindruck der tragischen Vorgänge, so glauben wir in diesem prunkvollen Schlafgemach nicht die Büste des übermüthigen Franzosenkönigs zu erblicken, sondern eine jener verderblichen Phantasiegestalten des Wahns, einen jener bösen Dämonen, welche als unzertrennliche Begleiter des Einsamen an dem Untergang eines so groß und edel angelegten Geistes rastlos arbeiteten.

(Schluß folgt.)

  1. * Wir verdanken unsere Illustrationen der besonderen gütigen Erlaubniß, welche der Chef der Kabinetskasse, Herr Hofrath L. Klug, unserm Zeichner ertheilt hat.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_562.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)