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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Seit dreißig Jahren war seine Persönlichkeit die bestimmende an der Münchener Akademie, erst als Professor, zu dem sich Alle drängten, dann nach Kaulbach’s Tod 1874 als Direktor. Jener erkannte sehr wohl, welchen neuen Lebensstrom diese junge Kraft in die stark ausgetrocknete Anstalt leitete. Er selbst erhob zwar Bedenken gegen die Kunstrichtung der „Naturalisten“, aber seinen eigenen Sohn Hermann wußte er doch nirgends besser unterzubringen, als in Piloty’s Schule, und die damit entstandene vollkommene Verständigung und Ausgleichung zwischen beiden Gegnern verschönerte Kaulbach’s letzte Jahre und war eine Wohlthat für Piloty’s nervös erregbare Natur.

Mit den Jahren wuchs die Zahl der Bilder und Schüler, wuchs auch das Familienglück in dem reizenden Hause der Briennerstraße, welches versteckt in Gärten hinter der Schack’schen Gemäldegalerie steht. Was so oft im Leben großer Männer fehlt, das ist Piloty zu Theil geworden: eine Frau, die nicht nur mit seltenen Charakter- und Herzenseigenschaften den Mann beglückte und Anmuth über sein Leben ergoß, sondern auch die treueste und theilnehmendste Gefährtin seines künstlerischen Strebens war. Sie hatte hierin keine leichte Aufgabe, denn Piloty war eine tiefleidenschaftliche, vielfordernde Natur, nie zufrieden mit den errungenen Standpunkten, in hohem Grade reizbar und oft genug gequält von dem Leiden, welches den einzigen Schatten in das sonst so glückliche Familienleben warf. Jedem, der einmal an diesem theilnehmen durfte, werden die Abende unvergeßlich sein, wo in dem prächtigen Saal des oberen Stockwerks ein Dilettantenquartett, darunter zwei Söhne des Hauses, Mozart und Beethoven spielte, während ein kleiner Kreis von Freunden die Wonne solcher Musik in solcher Umgebung genoß. Wohin das Auge fiel in dem dunkelgetäfelten Raum, überall traf es auf die Spuren der feinen Künstlerhand, die venetianisches Krystall, schwere einfache Möbel, Bronzen, Majoliken und alte Teppiche zu einem so behaglichen, so völlig unaufdringlichen Ganzen gestaltet hatte. Von den Wänden herunter leuchteten die von Lenbach und Makart gemalten Familienbilder, sechs schöne und kräftige Knaben und Mädchen mit blonden und braunen Köpfen die Eltern umgebend, und bis zur Decke hinauf stiegen die vielen Andenken von dankbaren Schülern; der schöne Salon war zugleich ein Erinnerungsmuseum für den Meister, der an solchen Abenden still im Lehnstuhl im Schatten saß und die Musik halbgeschlossenen Auges genoß, die seiner Seele ein tiefes Bedürfniß war.

Später ging es dann ins Speisezimmer hinunter zum Abendessen, und hier, unter vertrauten Freunden, entfaltete der seltene Mann die Heiterkeit, die bei ihm trotz seines schmerzlichen Magenleidens immer wieder hervorbrach, sobald er erträgliche Zeiten hatte. Er schien der Lebenslustigste von Allen, wenn er, die Cigarre in der Hand, lebhaft angeregt mit der Wärme sprach, welche der eigenthümlichste Zug seines Wesens war. Gleichgültig konnte ihn kaum Etwas lassen: er nahm sofort Stellung zu jeder Frage in Neigung oder Abneigung, und in Aeußerung der letzteren konnte er leidenschaftlich genug werden. Was ihm künstlerisch oder moralisch verwerflich schien, das verneinte er mit einer Rücksichtslosigkeit, vor welcher alle Diskussion sofort verstummte. Aber in dieser inneren Sicherheit lag seine Macht, da sie bei ihm mit großer Herzensgüte, wahrhaft idealem Sinn und hinreißender Liebenswürdigkeit gepaart war. Er konnte begeistern, weil er begeistert war; objektiv nüchternes Urtheil durfte man bei ihm nicht suchen, aber Alles, was der bedeutende subjektive Mensch einzusetzen hat: die Gewalt und Gluth der Ueberzeugung, die starke Wirkung auf Andere, das war ihm in seltenem Maße eigen. Er würde in Zeiten der Gefahr freudig sein Leben für das von ihm heißgeliebte Reich und seinen Kaiser hingegeben haben, denn der Patriot in ihm war eben so stark wie der Künstler.

Das Schicksal aber theilt seine Lose ohne Rücksicht auf Anlagen aus – dem kühnen kampffreudigen Manne fiel das Los des Dulders zu, und er konnte heroische Seelenstärke nur im Ertragen von Leiden bewähren, die Andere zur Verzweiflung getrieben hätten. Und dabei arbeitete er unablässig; wenn die Nacht in Schmerzen verwacht war, sah ihn der Morgen im Atelier. Die Bilder wuchsen rasch, trotz aller nothgedrungenen Pausen; er hat im letzten Halbjahr einen „sterbenden Alexander“ begonnen und das große Bild so erstaunlich weit gebracht, daß es in kurzer Frist vollendet gewesen wäre.

Da sank die unermüdliche Hand plötzlich im Tode herab. Am Vorabend des Tages, wo er mit seiner Frau, den jungverheiratheten Töchtern und ihren kleinen Kindern in das reizende Haus am Starnberger See übersiedeln wollte, in dem er seit Jahren seine besten Zeiten zubrachte, trat eine plötzliche schlimme Wendung ein, und am 21. Juli Abends endete ein sanftes Einschlafen den harten Kampf.

In dem schönen Saal, wo er so oft fröhlich unter den Freunden saß, lag er dann unter Palmen und Rosen gebettet. Das Gesicht trug den Ausdruck tiefen Friedens, der beinahe Sechzigjährige sah unbegreiflich jung aus mit den dichten braunen Haaren, die noch kein weißer Schimmer durchzog. Ueber dem stillen Todten aber erhob sich in voller Kraft und Energie mit flammenden Augen sein von Lenbach gemaltes Bildniß[1], wie ein Protest gegen die Macht des Todes und wie eine Verheißung, daß das beste Theil eines großen und guten Menschen nicht mit seinem irdischen Leben untergeht.

München. Carl Robert.     


  1. Eine Holzschnittnachbildung desselben haben wir in Nummer 40 des Jahrgangs 1880 der „Gartenlaube“ gebracht. D. Red.     


Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
15.

Es schien, die folgenden Tage waren dazu ausersehen, in mir abzutödten, was etwa noch von der Welt Eitelkeit in meinem Herzen sich regte: rauheste Tage, deren Erinnerung mir bis auf den heutigen Tag qualvoll geblieben ist. Draußen wirbelte der Wintersturm eisigen Schnee durch die trübe Luft und heulte wie ein Wolf um unser baufälliges Haus, als wollte er dem Unglück, damit es eindringen könne, alle Fugen und Spalten öffnen. Und das Unglück hatte nicht gezögert und war hereingebrochen und wüthete nach seiner bösen Lust. Die Krankheit der Kinder, die sich anfänglich so gutartig zeigte, hatte eine schlimmste Wendung genommen: zu dem Scharlach hatte sich der Würgengel Diphtherie gesellt; schon war ihm das Kleinste erlegen, das arme Hänschen! Es war in seinem übergroßen Kopfe nie ganz richtig gewesen und hatte nun doch so viel Verstand gezeigt und die erste Gelegenheit ergriffen, sich aus einer Welt zu machen, in welcher für ihn nur Dornen und Disteln wuchsen! Die unglückliche Mutter hatte keine Zeit zu weinen. Sie mußte sich für ihr Jüngstes erhalten, das sie noch stillte, und für das zweite kranke Kind, an dessen Bettchen sie nun thränenlos saß, dem Würger zu wehren. Vergebens. Der Doktor hatte mir gesagt, daß es sterben müsse, und vierundzwanzig Stunden später war es gestorben, mein gutes Rudolfchen, mein braver Spielgesell, dessen krumme Beinchen meinen Rücken so oft umklammert hatten, wenn ich auf allen Vieren mit ihm durch das Zimmer galoppirte! Und hatte sich so mannhaft gegen den Tod gewehrt, der tapfere kleine Kerl! Und nimmer werde ich den letzten Blick vergessen, mit dem er zu Onkel Lothar aufschaute, traurig verwundert, daß der ihm in dieser Noth nicht helfen wolle, wie in jeder anderen. Liebes Kerlchen, ich kann’s Dir nachschwören in Dein stilles Grab: hätte Onkel Lothar an jenem Tage mit Dir tauschen dürfen, er hätt’s gethan ohne Zaudern. Ihm hätte der Tod keine Schrecken gehabt vor den Schrecken, mit denen ihn das Leben von allen Seiten anstarrte.

Wir waren bankerott. Der Tag der Ablieferung der letzten Stücke für den Neubau des Herrn Kunze in der Königsstadt, der Tag, dem ich entgegengeharrt, auf welchen hin ich mich krank gearbeitet, weil ich von ihm hoffte, daß er uns für eine Weile wieder flott machen sollte, er hatte uns aufs Trockene gesetzt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_566.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)