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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

besser im Kopfe als ich; denn mein Gedächtniß beginnt schon vom Alter zu leiden. Erst gestern machte sie mich auf einen Irrthum in der Jahreszahl aufmerksam, als ich von der Belehnung Udo’s von Eberstein sprach. Nicht wahr, mein Kind?“

Als habe man den Pendel einer Uhr angestoßen, so legte Fräulein Gerlinde auf diese Frage hin von Neuem los und erzählte eine noch weit längere Geschichte, diesmal aus dem fünfzehnten Jahrhundert, in dem irgend ein Eberstein, in irgend einer Schlacht, dem Kaiser das Leben gerettet hatte und dafür mit irgend einer Burg belehnt worden war. All diese schwierigen Daten und Namen kamen mit einer unfehlbaren Geläufigkeit und Sicherheit, zugleich aber auch mit einer Eintönigkeit von ihren Lippen, die an das Klappern eines Mühlenwerkes erinnerte, und am Ende verstummte sie ebenso plötzlich, wie sie angefangen hatte. Hans rückte unwillkürlich seinen Stuhl um einige Schritte zurück, denn jetzt fing ihm die Sache an unheimlich zu werden; der Schloßherr aber, der das für eitel Bewunderung hielt, schien sehr geneigt, ihm noch weitere Einblicke in die Chronik seines Hauses zu verstatten, als die alte Wanduhr mit lauten, langsamen Schlägen die neunte Stunde verkündete.

„Schon neun Uhr!“ sagte Eberstein, indem er sich erhob. „Wir leben sehr regelmäßig, Herr von Wehlau, und pflegen stets um diese Stunde zur Ruhe zu gehen. Ihnen wird das nach Ihrer anstrengenden Wald- und Bergpartie nur angenehm sein. Ich wünsche Ihnen eine ruhige und angenehme Nacht in der Ebersburg.“

(Fortsetzung folgt.)




Die letzten Tage Friedrich’s des Großen .

Von Schmidt-Weißenfels.0 Mit Illustrationen von Adolf Menzel.

Friedrich der Große und der Minister Herzberg.

Der Kriegslärm, welcher die Regierungszeit Friedrich’s des Großen erfüllte, war endlich verstummt, Preußens Genius aus hundert blutigen Schlachten siegreich hervorgegangen, und der große König durfte sich am Abend seines Lebens den Werken des Friedens widmen, mit gleicher Ausdauer, mit welcher er einst den Feind verfolgte, auch für das Wohl des Volkes sorgen. – Er war bereits in das siebzigste Lebensjahr geschritten, und seine gebückte Gestalt verrieth deutlich die Folgen früherer Anstrengungen und Spuren des Alters. Aber sein Geist war ungebrochen, und trotz immer wiederkehrender Krankheitsfälle besorgte der König mit unermüdlicher Pflichttreue die Staatsgeschäfte, unternahm Reisen in die Provinzen seines Reiches und hielt nach wie vor militärische Revuen ab, damit die Kriegstüchtigkeit seines vielbewährten Heeres durch eiserne Zucht aufrecht erhalten würde. Noch im Spätsommer des Jahres 1785 saß er in Breslau vor seinen Truppen sechs Stunden lang zu Pferde, obwohl ein kalter und heftiger Regen niederströmte. Aber solchen Mühen und Anstrengungen schien der Körper nicht mehr gewachsen zu sein.

Unter großen Beschwerden hatte der König den kommenden Winter zugebracht. In seinem Zimmer saß er als ein gebrochener Mann unter Schmerzen durch die Gicht und Wassersucht, durch Kolik und Bluthusten, von Morgens bis Abends vornübergebeugt auf seinem Sessel. Bald verließ er diesen, auch Nachts nicht mehr, weil er es im Bett nicht aushalten konnte. Mit dem Eintritt der wärmeren Jahreszeit sehnte er sich nach dem erquickenden Strahl der Sonne und ließ sich auf die grüne Treppe vor dem Potsdamer Schlosse hinaustragen und ruhte dort stundenlang. Zuweilen freilich schnellte ihn seine Willenskraft und die ungeschwächte geistige Rührigkeit auch jetzt noch in die Höhe; er wollte gehen, und dann mußte ihn einer seiner Kammerhusaren aus dem Sessel in die Höhe heben und unter dem Arm angefaßt führen. Mit seinen stark geschwollenen Beinen ging es so meist nur Schritt um Schritt vorwärts, und er kam dabei ganz außer Athem. Oder er wollte gar reiten; man mußte ihn auf sein Pferd heben, und er konnte dann selbst im Galopp noch seinen Ritt durch die Anlagen von Sanssouci und Potsdam machen.

Friedrich der Große auf der „grünen Treppe“ des Potsdamer Schlosses.

In den letzten Monaten seines vierundsiebzigjährigen Lebens kam er im wahren Sinne, wie sonst auf seinen Feldzügen, nicht mehr aus den Kleidern und den Stiefeln heraus. Immer bot er derartig das Bild, wie es die Welt von ihm kennt: den dreieckigen Hut auf dem Kopf, die schlaffen, weiten Stiefel an den Beinen, eine alte Uniform, oder zu Hause einen hellblauen Atlasrock auf dem Leibe, den Krückstock in der Hand. Nachlässig der ganze Anzug, der Hut mit alten weißen Federn abgetragen, die Stiefel ungewichst, der Rock vorn von spanischem Tabak, den er in zwei Dosen bei sich führte, gelb und braun gefärbt. Das Gesicht war mager, faltig und schon von weißgelber Blässe; die welken Hände zitterten; an der linken derselben blitzten zwei sehr große Diamanten, an der rechten ein Ring mit großem schlesischen Chrysopras. Die Stimme war leise und rauh; aber er konnte sie bis zuletzt zu dem hellen gebieterischen Ton heben, welcher Jeden, der ihn vernahm, in Ehrfurcht setzte, ebenso wie seine Augen noch immer wunderbar groß, klar und umfassend in die Welt hinausschauten und ihr gütiger oder strenger Blick niemals die zauberhafte Wirkung auf Jeden verlor, den er traf. Der Geist Friedrich’s, einer der begnadetsten im Menschengeschlecht, lebte in dem so hinfällig werdenden Körper noch in der alten Gesundheit und arbeitete fort und fort. Die strenge Ordnung, die sich der König für seine Pflichten und Geschäfte vorgeschrieben, die er sich für seine Mußestunden angewöhnt, wurde unter dieser geistigen Thatkraft kaum von der Krankheit beeinträchtigt. Tag um Tag liefen die Berichte der Behörden an ihn ein, Eingaben, Bittschriften und Privatbriefe, und pünktlich fanden sie in der frühesten Morgenzeit ihre Erledigung. Die zitternde Hand schrieb dann auch dutzendweise den großen Namen, der einem Regierungsakt Gültigkeit verlieh, manchen jener liebenswürdigen französischen Briefe an befreundete Fürsten, Gelehrte und Kriegskameraden, wie sie die herausgegebene Korrespondenz des Königs aufweist, und immer auch noch jene „Resolutionen“, die so mannigfaltig den König als obersten Richter und den Selbstherrscher charakterisiren, der gerecht und klug, gütig oder strafend seine Entscheidung zu fällen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_576.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)