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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

öde Sandfelder in blühende Gärten verwandelt wurden, an sich schon einen gewissen Eindruck machen, so ist hier bei dem Schlosse Herrenchiemsee das Gegentheil der Fall. In diesem deutschen Fichtenwald, am Fuße dieser schöngeformten ewigen Berge macht der französische Prachtbau einen fremdartigen und frostigen Eindruck. Von seinem verkünstelten Prunke schweift der Blick immer und immer wieder, wie Erlösung suchend, über die Wälder hinaus nach der edlen Einfachheit der Natur. Diese meilenweite glitzernde Seefläche, diese schimmernden Felswände zeigen zu sehr, was wirklich schön und groß ist. Das vergißt man wohl auf Augenblicke, aber nicht völlig.

Nähern wir uns dem Schlosse von der Ostseite her, so finden wir hier das Meiste noch unfertig. Ueber einen öden, von Gestrüpp überwucherten Bauplatz, wo allenthalben noch Gerüstbalken und zerbrochene Ziegel umherliegen, kommt man zu dem breiten offenen Hofe, der nach Osten schaut. Schweigend, wie verwunschen, umstarren die weißen Mauern den spiegelblank gepflasterten Raum. Unter einem Säulengange ist der verschlossene Eingang zum Treppenhause, welches ohne Zweifel das Schönste, Befriedigendste an dem ganzen Schlosse ist. Denn selbst dem an einem trüben Regentage hier Eintretenden strömt eine solche Fluth von Licht und sprühender Farbenpracht entgegen, daß man meint, in ein sonniges Märchen einzutreten. Und hier wirken auch diese marmornen Säulen und Geländer, diese Stuckfriese, diese glühenden bunten Fresken, diese glitzernden Krystallleuchter und spiegelblanken Stufen nicht störend, nicht einschüchternd. Von einem Treppenhause verlangt man ja nicht, daß es wohnlich sei; da freut man sich im Vorübergehen der üppigen Pracht.

Vergoldete Jagdgruppe.

Von der Treppe aus gelangen wir in den „Saal der Garden“, wo die aufgepflanzten Hellebarden daran erinnern, daß hier die schweigenden Gestalten pflichttreuer Leibwachen ihren Platz haben sollten; an den Wänden stehen Büsten französischer Marschälle! Dann folgen zwei Vorzimmer, mit steigendem Luxus ausgestattet. Das zweite derselben führt den Namen „Ochsenauge“ („Oeil de Boeuf“) von einem elliptischen Fenster. An den Wänden finden sich hier wie in allen Sälen Freskobilder, die Großthaten Ludwig’s XIV. verherrlichend. Sie sind genaue Kopien der Bilder zu Versailles; auch die Reihenfolge der Säle ist derjenigen des französischen Vorbildes nachgeahmt. Von Raum zu Raum wird die Pracht der Ausstattung reicher und reicher – durchschnittlich soll die Ausstattung eines jeden der fertigen Säle zweieinhalb Millionen Mark gekostet haben – bis sie in der „Salle de parade“ einen Höhepunkt erreicht, welcher nicht mehr überboten werden kann. Hier fühlt man sich wie erdrückt vom Golde. An der Wand steht ein im Halbrund von goldenem Geländer umgebenes Paradebett, mit der schwersten goldgestickten Decke überhängt. Den rothen Sammt der Vorhänge und der Polstermöbel überkleidet fingerdicke Goldstickerei; ja stellenweise empfängt man den Eindruck, als wüchse hier das Gold aus den Wänden heraus und aus dem Boden empor in gespenstiger Pracht, als wolle es den ganzen Raum mit seinen Arabesken durchdringen und schließlich zu den Fenstern hinausranken, um den ganzen Bau in seiner metallenen Umarmung zu ersticken. Dazu füllt glühendrothes Licht das ganze Prunkzimmer, dessen Plafond zwischen reicher Vergoldung einen ganzen Olymp von Göttern und Göttinnen zeigt. Drei Jahre ward an diesem Saale gearbeitet; Millionen sind von seinen reichthumstrotzenden Wänden aufgenommen worden. Es giebt wohl keinen Raum in der Welt, in welchem der Luxus mit solcher geradezu dämonischen, sinnberückenden Gewalt aufträte, wie hier.

Es folgt der Berathungssaal; himmelblauer Sammt mit fingerdick aufgestickten Goldlilien bildet den Stoff der Polstersitze und Vorhänge. Und dann treten wir in die berühmte Spiegelgalerie. Mit ihren beiden der Verherrlichung des Krieges und des Friedens geweihten Seitensälen, dem Salle de la Guerre und Salle de la Paix, zusammen nimmt sie die ganze Westseite des Schlosses in Anspruch. Gegenüber den zwanzig hohen Bogenfenstern sind ebenso viele Spiegelscheiben von gleicher Größe angebracht; auch die Thüren sind zolldicke Spiegel. In den Fensternischen stehen ungeheure Bronzevasen mit meterbreiten Höhlungen und versilberte Tafelaufsätze, an den Pfeilern Büsten der römischen Kaiser aus den verschiedensten Marmorsorten zusammengesetzt, wunderbare italienische Arbeit. Ueber den Eingängen zu den Nachbarsälen schweben Genien in bunten Gewändern plastisch aus dem Mauerwerke heraus; zwischen den Spiegelscheiben und dem Plafond erstreckt sich durch den ganzen Saal ein funkelndes Gewirr von lebensgroßen vergoldeten Relieffiguren. Wer aber den Sinn all dieses verschwenderischen Prunkes erfaßt, wird innerlich verletzt durch die Verherrlichung jenes übermüthigen Franzosenkönigs, die aus den Deckengemälden allerwärts niederschaut.

Und mit der gleichen Empfindung durchwandert man die übrigen Säle. Immer frostiger und lebloser erscheint der ungeheuerliche Prunk. Da kommt noch das eigentliche Schlafgemach des Königs, mit Vorhängen und Polsterwerk aus blauem goldgestickten Atlas; dann das Arbeitszimmer, grün mit Gold. In diesen wie in den folgenden Räumen finden sich bewundernswerthe Kunstgegenstände an den Wänden und auf den Kamingesimsen; namentlich die merkwürdigsten Uhren und Vasen – Gegenstände, die ungeheure Summen verschlangen. Durch einen blauen Salon gelangt man dann in das Speisezimmer des Königs. Hier ist wieder Alles rothe Seide mit Gold. Ein Riesenlüster aus Meißner Porcellan mit Tausenden von Blumen besäet hängt über dem Eßtische; letzterer steht auf einer Versenkung, um völlig gedeckt und mit Speisen besetzt aus dem Boden auftauchen zu können, als hätten ihn Geister emporgetragen. Es folgt ein Rauchzimmer, welches Vorhänge und Polstermöbel aus buntgestickter weißer Seide enthält. Daran schließt sich die „kleine Galerie“, welche als Promenadenraum verwendet werden sollte. Vier köstliche Mohrengestalten in bunten goldgestickten Gewändern dienen hier als Leuchterträger.

Man wandelt wie durch ein Traumreich. Aber seltsam – je länger man durch diese unvergleichliche Pracht hingeht, um so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_587.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)