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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

frostiger und freudloser wirkt das Ganze. Den unzähligen interessanten und meisterhaften Einzelnheiten gegenüber drängt sich immer mächtiger der Gedanke auf, daß ja doch das Ganze nur eine Nachahmung eines fremden und unsympathischen Vorbildes sei. Die fleißigen Künstlerhände, die hier schafften, sie durften nichts erfinden, nichts aus dem Eigenen gestalten, sie hatten nur das nachzubilden, was die Laune des herzlosen Despoten zu Versailles hatte entstehen lassen.

Und wofür dies Alles? Der vierzehnte Ludwig von Frankreich versammelte wenigstens zu Versailles einen glänzenden Hof, in den glitzernden Scheiben seiner Galerie spiegelten sich die goldbetreßten Staatskleider seiner Herzoge und Marsch alle; in den Laubgängen seiner Gärten leuchteten buntfarbige Frauengewänder. Ludwig II. von Bayern aber blieb in seinem Jnselschlosse ein einsamer Mann. Da weilte kein Gast, diese Pracht zu bewundern, da rauschte kein Hofleben. Wohl strahlte die Spiegelgalerie – ein paarmal im Jahre – zur Mitternachtszeit von zweitausend Kerzen zugleich, welche vierzehn Diener in einer Viertelstunde anzünden mußten; aber die Kerzen brannten nur für Einen, und die mächtigen Spiegelscheiben gaben nur eine Gestalt zurück, die unheimlich und unnahbar, in freudlosem Spiel, in seelenlosem Prunke die lange Flucht des Saales auf- und niederschritt. Niemand sah dem einsamen König zu, als der starre Marmorblick der römischen Cäsaren an den Wänden. Und wenn ein menschliches Ohr die Sprache des Marmors verstehen könnte, so hätte der unglückliche Monarch von den steinernen Lippen eines jener Männer, etwa Trajan’s oder Vespasian’s, die erbarmungslosen Worte vernehmen müssen: „Lösche Deine Lichter aus und laß Dein Schloß in den Erdboden versinken! Denn was ist all Deine Pracht? Weglos irrende Laune eines tief umwölkten Geistes; glücklos träumende Sehnsucht eines unheilbaren Gemüthes; ein ungeheures, entgeistertes, goldstrotzendes Spielzeug des Verderbens!“

Die Westseite des Schlosses von Herrenwörth mit dem Fortuna-Brunnen.

Diese Worte rauschen geisterhaft durch den Prachtbau hin; sie rauschen in uns nach, wenn wir die schimmernden farbensprühenden Räume verlassen und hart nebenan in den unvollendeten Rohbau eintreten, wo uns Stein, Mörtel und Balken häßlich und rauh entgegenstarren. Da dehnen sich noch in unendlicher Flucht Zimmer und Säle entlang, die wohl keine kommende Zeit je vollenden wird. Und an der Südseite des Baues, wo ein gleich großer Flügel wie an der Nordseite entstehen sollte, steigen zwar die Grundmauern mehr als klafterdick aus dem Boden empor, aber keine Hand ist mehr daran thätig. Stumm liegt der ungeheure Bau da, von den Strahlen der Spätnachmittagssonne voll beleuchtet. Terrassenförmig ziehen sich die Gartenanlagen zum See hinab. Ein Paar mächtiger Marmorbecken fällt uns zunächst ins Auge. In ihnen sind Felshügel aufgebaut, welche mythologische Figuren und barockes Gethier aus gegossenem Zink tragen. Auf einem dieser Felshügel steht die siegreiche Göttin Fortuna; er heißt der Fortuna-Brunnen. Um die Marmorbecken stehen Bildwerke, zum Theil aus weißem Marmor, zum Theil aus vergoldetem Metallgusse; darunter hübsche Jagdgruppen. In diese Marmorbecken und über die Felshügel herab sollten Fontainen rauschen. Dreimal sprangen die Wasser während der Anwesenheit des Königs; jetzt liegen die breiten Becken trocken da. Ueber eine breite Freitreppe steigen wir hinab zum „Latona-Brunnen“. Hier sitzt zu Füßen der Göttin Latona, die als Marmorbild inmitten des Brunnens steht, eine Schar goldschimmernder Krokodile, Frösche und Schildkröten. Es sind gegen fünfzig solcher Thiere, jedes drei bis fünf Fuß lang. Der Sage nach hatte einst die Göttin Latona eine Horde lykischen Landvolks zur Strafe in solche Amphibien verwandelt; jetzt sitzen sie um die Göttin her und sollten alle aus ihrem Rachen Wasser speien. Aber auch hier ist die belebende Fluth versiegt. Still steht die 70 Pferdekräfte starke Dampfmaschine, welche die Wasserspiele treiben sollte, und die kunstvollen Mundstücke laufen Gefahr, durch den Rost zerfressen zu werden.

Nur weiter unten, wo der „Latona-Kanal“ vom See her gegen die Gartenanlagen sich zieht und der Blick weit hinaus in die Ferne wie durch eine grüne Straße schweift, zeigt sich lebendiges Wasser, das goldene Licht des Abendhimmels spiegelnd. Es ist ein Bild voll großartiger Melancholie – hier

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_589.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)