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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

die ruhige Wasserfläche eines Sees, auf welchem majestätisch die Schwäne einherrudern und in dessen Wassern sich die Kuppel eines von grünem Gebüsch umrankten Pavillons wiederspiegelt. Ein passender Ort zur Sammlung des Geistes und zur Klärung der gewonnenen Eindrücke! Sie drängen sich hier Jedem mächtiger auf, als in vielen anderen Ausstellungen; denn wir schauen auf diesem Plane nicht allein die Werke der hastig vorwärts strebenden Gegenwart, auch die Schätze längst vergangener Zeiten blenden unser Auge. Die kunsthistorische Abtheilung bildet ohne Zweifel die schönste Zierde und das lehrreichste Stück der Ausstellung. Aus den öffentlichen Museen und privaten Sammlungen der Stadt, ja selbst von fernher von kunstsinnigen Freunden wurden hier in großer Zahl Werke der Kunst vereinigt, die in verschiedenen Jahrhunderten unter der Hand der Bürger Augsburgs entstanden und in ihrer Gesammtheit einen wahrhaft überwältigenden Eindruck ausüben. Neben Martin Schongauer’s berühmtem Gemälde „Maria im Rosenhag“ erblicken wir das ergreifende Votivbild des hingerichteten Bürgermeisters Ulrich Schwarz von Augsburg – ein Werk Hans Holbein’s des Aelteren. Auch ein Altargemälde desselben Meisters ist gegenwärtig für einige Monate in Augsburg vereinigt, während die eine Hälfte des Bildes sich bis jetzt in Eichstädt, die andere in München befand. Seltene Miniaturen aus den letzten drei Jahrhunderten, Emailmalereien von höchstem Werth, Erzeugnisse der Plastik und des Kunstgewerbes, wie der elfenbeinerne Stab des Abtes Reginbald von St. Ulrich, die Bronzefiguren der Maria und des Johannes aus dem 11., Reliquiarien und Truhen aus dem 13. und 14. Jahrhundert, Bildschnitzereien von Syrlin, Vater und Sohn aus Ulm, endlich zahlreiche bewunderungswürdige Erzeugnisse der Goldschmiedekunst, des Holzschnittes und Kupferstichs, sowie des Buchdruckes – alle diese kostbaren Kunstwerke aus Augsburgs Glanzzeit erwecken in uns das größte Interesse und zugleich eine lebhafte Erinnerung an die frühere Blüthe deutschen Kunstgewerbes, welches heute nach langem Daniederliegen wie ein Phönix aus seiner Asche wieder aufersteht. Und doch ist das Alles nur ein Theil der vielen Schätze, die das kunstsinnige und fleißige Augsburg einst nach allen Weltgegenden versandte. In Paris befinden sich die prachtvollen Rüstungen, welche Augsburgs Waffenschmiede für die Könige Frankreichs gehämmert haben, in der Armeria del Real zu Madrid hingen die einst für Philipp II. bestimmten Wehrstücke – Kunstwerke des Desiderius Kollmann, „Kaiserlicher Majestät Harnäschmachers“ aus Augsburg. –

Ruhmreiche Vergangenheit und thatenfrohe Gegenwart – wem sie beschieden sind, der darf sich glücklich schätzen und sicheren Auges in die Zukunft blicken. Augsburg sind sie beschieden! Unter schwierigen Verhältnissen wußte die Stadt sich zu behaupten, in den Zeiten des Friedens wird sie gewiß noch kräftiger blühen und gedeihen und ein Vorbild bleiben für viele ihrer Schwestern im neuen Deutschen Reich.


Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)


3.

Ist Papa zu Hause?“ fragte Ellinor.

„Nein, gnädiges Fräulein,“ erwiderte ich.

„Kommt er bald?“

„Ich glaube kaum; er pflegt vor drei Uhr nicht zurück zu sein.“

„Und jetzt ist es, glaube ich, erst eins. – Wie schade! Ich habe eine lange mündliche Bestellung an Papa zu machen.“

„Mit der Sie mich nicht betrauen könnten? Der Herr Oberst –“

„Ich weiß, daß Sie Papas Intimus sind. Wir wissen Alles und sterben ja fast vor Eifersucht darüber. Uebrigens sind Sie in meine Bestellung eingeschlossen, und so –“

„Aber wollen Sie denn nicht näher treten, gnädiges Fräulein?“

„Ja, darf man denn in das Heiligthum?“

Der letzte Theil der Unterredung hatte bereits auf dem Flur stattgefunden, während ich die offene Thür zum Studirzimmer in der Hand hielt. Sie schlüpfte jetzt hinein. Ich schloß die Thür hinter ihr und bot ihr einen der korbgeflochtenen Lehnsessel, die wir im Zimmer hatten. Sie nahm ihn nicht sogleich, sondern stand erst noch ein Weilchen, während ihre Blicke über die offenen Büchergestelle liefen, mit denen die Wände fast bis zur Decke hinauf besetzt waren.

„Denken Sie, ich bin noch nie in diesem Raume gewesen,“ sagte sie. „Aber wollen Sie nicht auch Platz nehmen? – Noch nicht ein einziges Mal.“

„Und doch bewohnt der Herr Oberst dies Quartier schon seit zwei Jahren.“

„Nicht als ob ich inzwischen nie hier gewesen wäre, wie Sie anzunehmen scheinen. Nur, daß mich Papa immer im Salon empfangen hat.“

„Der Salon ist leider nicht geheizt.“

Es mochte wohl recht ungeschickt herausgekommen sein – ein Lächeln glitt blitzschnell über ihre Züge. Aber auch ihr Benehmen schien mir nicht ganz frei, und das tröstete mich in etwas über die eigene tiefe Befangenheit.

„Ich trage kein Verlangen nach dem Salon,“ sagte sie; „ich habe von der Sorte gerade genug in meinem Leben. Aber nun, weßhalb ich eigentlich gekommen bin. Mit nichts Geringerem, als einer Einladung für den Papa und für Sie zu Tante Isabella auf nächsten Mittwoch Abend, also heute über acht Tage. Onkel und Tante von Nonnendorf sind nämlich in Sicht auf Logirbesuch – sie logiren stets bei uns. Auch Ulrich – wie nannten Sie ihn doch immer? es klang so komisch – ist seit gestern zurück und würde sich furchtbar freuen, Sie wiederzusehen. Uebrigens keine große Gesellschaft – zwanzig höchstens, und die Hälfte davon Familie. Papa ist nicht sehr für dergleichen, aber gerade deßhalb wäre es so reizend von ihm, wenn er mal eine Ausnahme machte. Onkel Hinrich – der Präsident, wissen Sie – kommt ebenfalls – mit einem Worte: es wäre charmant.“

„Ich werde dem Herrn Oberst die gütige Einladung getreulich ausrichten, gnädiges Fräulein.“

„Aber Sie müssen auch dafür sorgen, daß er sie annimmt!“

„Sie scherzen, gnädiges Fräulein.“

„Gar nicht; ich weiß, daß der Papa nur kommen wird, wenn Sie ihm zureden. Sie brauchen deßhalb gar nicht so ironisch zu lächeln. Sagen Sie mir lieber, daß Sie jedenfalls kommen!“

„Es wird mir eine große Ehre sein, den Herrn Oberst begleiten zu dürfen.“

„Ich möchte eine weniger gewundene Antwort.“

„Ich kann Ihnen, gnädiges Fräulein, bei allem Dank für Ihre und Ihrer Frau Tante Güte keine andere geben, bevor ich die Entschlüsse des Herrn Oberst kenne.“

„Aber Sie sind Ihr eigener Herr.“

„Ihrem Herrn Vater gegenüber nicht. Er hat das Recht zu erwarten, daß ich mich ganz seinen Wünschen füge.“

„Das heißt: Sie kommen nicht?“

„Ich habe das weder sagen wollen, gnädiges Fräulein, noch, so viel ich weiß, gesagt.“

„So muß ich mich also damit begnügen.“

Es war ein gereizter Ton gewesen, in welchem sie zuletzt gesprochen hatte; und als sie sich jetzt rasch erhob, zuckten die feinen Nasenflügel, und in den braunen Augen lag ein fast zorniger Ausdruck. Ich bemerkte es mit selbstquälerischer Freude. Es war das Beste so. Gegen ihren Zorn war ich gewappnet.

„Darf ich noch bitten, daß Sie Papa von mir grüßen?“

Ich verbeugte mich stumm; sie rauschte an mir vorüber aus dem Zimmer und dann vor mir her über den Flur nach der Außenthür, die ich ihr mit abermaliger stummer Verbeugung bereits geöffnet hatte, als ein Schritt die Treppe herauf – immer zwei Stufen auf einmal – erschallte und schon im nächsten Moment Ulrich vor uns Beiden stand.

„Sapristi, Ellinor! Und das Kind! noch gewachsen! Na, da werden wir den Jungen auch wohl noch vollends groß kriegen. Alter Junge!“

Er hatte mich umarmt und wandte sich nach der Treppe mit einem kurzen scharfen Pfiff, worauf es die Stufen in Sprüngen heraufkam und eine gewaltige Ulmer Dogge sichtbar wurde, die stehen blieb, um sich zu vergewissern, daß sie recht gehört, dann mit ein paar letzten Sätzen bei uns war und Ellinor stürmisch begrüßte.

„Bist Du toll, Melac?“ rief sie.

„Er hat Dich so lange nicht gesehen,“ sagte Ulrich lachend. „Ruhig, Melac! Aber, Kinder, so laßt uns doch hineingehen! Wir können doch nicht hier in der zugigen Thür stehen bleiben. Ist der Onkel nicht zu Hause?“

„Nein,“ sagte ich, während Ellinor schnell hinzufügte: „Und Du siehst, ich war im Begriff zu gehen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_602.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)