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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nicht der Fall ist, will ich einmal ausnahmsweise ganz ernsthaft sein. Die Geschichte thut mir aufrichtig leid. Christine ist kein gewöhnliches Mädchen, und mein ganzes Unrecht, so viel ich sehen kann, besteht darin, daß ich das zu spät bemerkt habe. Als ich es endlich bemerkte, habe ich gethan, was ich als ehrlicher Mensch thun mußte, und ihr ganz offen gesagt: ,Liebes Kind, das geht nicht, geht so nicht länger. Heirathen kann und will ich Dich nicht. Werde Schauspielerin, wozu Du ja Lust hast, und Du kannst es nebenbei in dem Metier weiter bringen, als ich es wahrscheinlich in meiner Laufbahn jemals bringen werde? Nun ist das ja, dank Deiner Verwendung, Alles glücklich so gekommen und in schönster Ordnung. Ich sehe also nicht ein, weßhalb ich mir nun noch darüber den Kopf zerbrechen soll, von dem Herzen ganz abgesehen, das, Alles in Allem, bei der ganzen Geschichte, offen gestanden, eine ziemlich untergeordnete Rolle gespielt hat. Ich wollte nur, ich hätte das Geld, das ich nicht habe, um es dem Mädel mit vollen Händen zu geben; aber Du weißt: Vogtriz – keinen Vätersitz, und daß das heute für uns mehr als je der Fall ist. Nicht wahr?“

„Ich weiß nichts,“ erwiderte ich. „Wie könnte ich auch, da der Oberst niemals über seine Familienangelegenheiten mit mir spricht!“

„Wie er denn überhaupt für, die Familie leider jemals weder Sinn noch Herz gehabt hat,“ warf Ulrich hin.

„Darf ich Dich darauf aufmerksam machen, daß ich Deinen Onkel über Alles liebe und verehre und ein tadelndes Wort schlechterdings nicht hören kann?“

„Meinetwegen,“ sagte Ulrich, „ich wollte auch gar nicht von ihm sprechen, sondern von uns Anderen, die wir noch so beschränkt sind, zu meinen, daß die Glieder einer alten Familie zusammenhalten sollen, um so mehr, wenn besagte Familie en décadence ist. Und das ist bei der unseren der schlimme Fall. Also, da Du es noch nicht weißt: der Papa hat sich denn glücklich so hineingewirthschaftet, daß die Güter schon seit zwei Jahren unter Sequester sind. Er lebt noch mit der Mama auf Nonnendorf, weil es schließlich das Billigste ist, von der kleinen, ihm von den Gläubigern zugestandenen Pension. Aber zu sagen hat er gar nichts mehr – selbstverständlich; – und Astolf, wenn er mal ans Regiment kommt – was möglicherweise so lange nicht dauert, – denn der Alte gehört zu den Leuten, die das Unglück partout nicht vertragen können, und ist in letzter Zeit höllisch klapprig geworden – wird immer noch einen gehörigen Pack Schulden abzutragen haben. So stünde die Sache ziemlich verzweifelt, wenn Tante Isabella – das heißt, sie ist, wie Du Dich erinnerst, unsere Großtante – die Schwester von Mamas Mama – Alles was von Geld in der Familie, kommt ja von der Frauenseite – von den Gransewitz – denn der längst verstorbene Gemahl der Großtante, General von Westen-Burgberg, hatte auch nur Schulden wie ein Major – also, wenn Tante Isabella mit ihrer runden Million – Notabene Thaler – nicht in Reserve wäre. Aber sehr in Reserve, verstehst Du? Das heißt, sie ist sich ihrer Machtstellung vollkommen bewußt – trotzdem sie so gut wie blind und mehr als halb taub ist – und tyrannisirt uns auf eine schauderhafte Weise, was sie ganz ungestraft darf, sintemalen die ganze Familie Vogtriz aus ihrer Tasche lebt. Ich unter anderen auch, einschließlich Melac. Ich hätte ohne sie nicht einmal studiren können, eben so wenig wie vor mir meine beiden Vettern, die Söhne von Onkel Hinrich, dem Präsidenten, der trotz seiner ehrbaren Miene ein ganz resoluter Vogtriz’scher Schuldenmacher ist und nur von der Großtante über Wasser gehalten wird. In Summa: wir kosten der alten Dame jahraus jahrein ein grimmiges Stück Geld, und ,viele Hunde sind des Hasen Tod’, pflegt sie in ihrer eleganten Weise zu sagen, wobei sie bei ,Tod’ ihr falsches Gebiß zusammenschnappen läßt, daß es mir jedesmal kalt über den Rücken läuft. Na, an uns wird sie darum doch nicht sterben, und Ellinor wird genug übrig behalten. Ellinor ist nämlich, während wir Anderen mit Legaten abgefunden werden, Universalerbin unter einer Bedingung. Du kannst Dir denken, welcher – die Sache war ja damals schon abgekartet: daß sie Astolf heirathe. Es ist die einzige Möglichkeit, das Gransewitz’sche Vermögen wieder zusammenzubringen und in der Vogtriz’schen Familie zu erhalten, die dadurch zu einem noch nicht dagewesenen Glanz sich aufschwingen würde, wogegen wir gewiß nichts haben können, wenn wir Uebrigen, wie gesagt, auch dabei leer ausgehen. In einer alten Familie muß man sich unterzuordnen wissen; die Hauptsache ist, daß der Stamm erhalten bleibt.“

„Warum heirathen denn die jungen Leute nicht?“ fragte ich mit gut gespielter Ruhe.

„Junge Leute ist gut, nicht wahr, alter Herr?“ sagte Ulrich, die Dogge streichelnd. „Uebrigens ganz richtig gefragt, weisester aller Thebaner. Warum heirathen sie nicht? Das fragt alle Welt. Früher hieß es: sie will keinen Sekondelieutnant. Nun ist er aber seit dem vorigen Herbst Premier. Das kann es also nicht gewesen sein. Na, Kind, Du hast ja damals auch mit dem Feuer gespielt und Dir, wie ich annehme, die schlanken Finger ein bischen verbrannt. Die Sache steht, bei Licht besehen, eigentlich noch gerade so wie damals. Ellinor weiß nicht, was sie will. Das heißt, im Grunde will sie, daß jeder Mann, der in ihre Nähe kommt, sich Knall und Fall in sie verliebe, was denn auch mit bewunderungswürdiger Regelmäßigkeit geschieht und ihr den entsprechenden Spaß macht; mir nebenbei auch, der ich, Gott sei Dank, ganz unbefangen dabei sein darf und meinem lieben Astolf die Pein, die er aussteht, brüderlich gönne. Wir lieben einander nämlich mit jedem Jahre mehr, Astolf und ich. Aber das gehört nicht hierher. Es ist also zwischen den Beiden im Grunde genommen die alte Geschichte. Er – ich muß ihm das lassen – hat sich in der ganzen Sache völlig tadelfrei benommen, wie er denn in dieser und jeder anderen Beziehung der korrekteste Mensch von der Welt ist – und sie – offen gestanden, ich bezweifle und habe immer bezweifelt, ob sie überhaupt lieben kann. Alles in Allem wird es eine reizende Ehe werden. Denn heirathen müssen und werden sie sich endlich doch. Da beißt keine Maus einen Faden ab. Ruhig, Melac! es ist ja nur von einer figürlichen Maus die Rede.“

„Du erlaubst, daß ich das Alles abscheulich finde!“ sagte ich.

„Was?“

„Alles: daß da zwei Menschen, um einen Haufen Geld zusammenzubringen, verkuppelt werden sollen, die einander nicht lieben; daß sie sich verkuppeln lassen; daß Deine ganze Familie dazu Ja und Amen sagt, und, was mir natürlich am schmerzlichsten ist: Du selbst.“

„Na, na, Kind!“

„Ja, Du, der Du in meiner Erinnerung standest als ein Mensch, in dessen Herzen nur Güte, Liebe und Großmuth Platz hatten, und jetzt Ansichten aufstellst, in denen ich von dem Allem auch nicht die Spur mehr entdecken kann, wohl aber das vollständige Gegentheil.“

„Kind, Du rasest!“

„Dann segne ich meine Raserei, die mich vor Deiner kaltblütigen Vernunft bewahrt. Und weißt Du, was ich noch weiter segne? Maria’s Hochsinn, der einer gewissen ,todten Liebe’ seinerseits ein kühles und tiefes Grab bereitet hat. Ja, mein Bester, ich habe Deinen Gruß getreulich überbracht, und Du magst es Dir selbst zuschreiben, wenn ich Dir die Antwort, die ich bekam, wie ich sie bekam, ohne freundschaftliche Umschreibungen übermittle. Und endlich: so bitter leid mir Dein Onkel thut, daß er der Liebe seines einzigen Kindes entbehren muß – ich finde es jetzt begreiflich, daß er keinen Finger rührt, ein Band wieder zu knüpfen, das heillos zerrissen ist. Ein Mädchen, wie Ellinor nach Deiner Schilderung, ist seine Tochter gar nicht. Das ist ein fremder Tropfen in seinem Blute. Das ist –“

„Beim Himmel, nun ist’s genug!“

Er war aufgesprungen, zornroth das Gesicht, blitzend die Augen, die Fäuste geballt; mit ihm die Dogge, die knurrend gegen mich die Zähne fletschte.

„Willst Du nicht lieber gleich den Hund auf mich hetzen?“ sagte ich.

Er griff der Dogge in das Halsband und begann mit großen Schritten an der einen Längsseite des Arbeitstisches auf- und abzugehen; der Hund, den er am Halsband behielt, neben ihm.

Ich stürmte an der anderen Seite auf und ab, wüthend auf Ulrich, zornig über mich selbst, daß ich mich zu einer Sprache hatte hinreißen lassen, welcher jede Berechtigung fehlte, wenn der da drüben nicht mehr mein Freund war; und die, wie mir mein Gewissen weiter sagte, ihre Leidenschaft ganz wo anders hergeholt hatte, als aus der beleidigten Moral. Ich fühlte, daß es an mir sei, wieder ein erstes gutes Wort zu sprechen; aber, ehe ich das rechte finden konnte, kam er plötzlich um den Tisch herum mit ausgestreckter Hand.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_604.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)