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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

meinige. Ich glaube, er hat mir das sechsmal erzählt; es war überhaupt kein vernünftiges Wort mit ihm zu reden, so hatte er sich schon damals in seine Marotten verrannt, und jetzt scheint er beinahe kindisch geworden zu sein.“

„Er ist alt und krank, und es ist ein trauriges Schicksal, in Armuth und Einsamkeit zu verkümmern,“ entgegnete die Gräfin sanft. „Seit ihn sein Gichtleiden zwang, den Abschied zu nehmen, besitzt er nichts als seine kleine Pension und die alten Trümmer der Ebersburg. Wenn er nur wenigstens zu bewegen wäre, Gerlinde auf einige Zeit von sich zu lassen, ich nähme sie gern mit nach Berkheim oder nach der Stadt, da wir ja in diesem Winter auf einige Zeit dorthin gehen, aber das wird kaum zu erreichen sein.“

„Der alte Egoist!“ sagte der General ärgerlich. „Was soll denn aus dem armen Kinde werden, wenn er die Augen schließt? Aber unsere jungen Damen lassen in der That auf sich warten, es wird Zeit, daß sie erscheinen.“

Die jungen Damen hatten sich allerdings etwas verspätet, aber es waren nicht Toilettenangelegenheiten, die sie zurück hielten. Hertha befand sich schon völlig angekleidet in ihrem Zimmer; sie hatte ihre Kammerfrau fortgesandt und stand vor dem großen Spiegel, in den sie unverwandt hineinblickte. Man hätte glauben können, sie sei in die Bewunderung ihrer eigenen Schönheit versunken, aber die Augen hatten einen seltsam träumenden Ausdruck und sahen offenbar nichts von dem Bilde, welches das helle Glas zurück warf; sie schienen weit darüber hinauszublicken in unendliche Fernen.

Da wurde leise die Thür des Nebenzimmers geöffnet, und Gerlinde erschien. Die beiden jungen Mädchen hatten stets mit einander verkehrt, wenn die gräfliche Familie nach Steinrück kam; dennoch herrschte nicht die geringste Vertraulichkeit zwischen ihnen.

Gerlinde blickte mit scheuer Bewunderung zu der glänzenden Hertha empor, während ihr diese höchstens eine mitleidige Duldung gewährte und sie bisweilen sogar mit dem ganzen Uebermuthe des verzogenen Glückskindes verspottete. Auch heute ruhten die Augen des „kleinen Burgfräuleins“ mit neidloser Bewunderung auf der jungen Gräfin, die in der That bräutlich schön aussah in dem weißen Atlaskleide, das in weichen schweren Falten niederfloß. Das Haar schmückte nur eine einzige weiße Rose, und ein Strauß duftender, halberschlossener Rosenknospen lag auf dem Tischchen neben dem Spiegel.

„Wie schön Du bist!“ sagte Gerlinde unwillkürlich. Die junge Gräfin wandte sich um und lächelte, aber es war kein Lächeln befriedigter Eitelkeit.

„Ich kann Dir das Kompliment zurückgeben,“ erwiderte sie. „Du siehst heute allerliebst aus.“

Das junge Mädchen trug allerdings nicht mehr das graue Aschenbrödelkleidchen, die Gräfin hatte dafür gesorgt, daß ihr Pathenkind bei dem heutigen Feste in entsprechender Toilette erschien, aber Gerlinde fühlte sich offenbar bedrückt von der ungewohnten Pracht und verstand es nicht, sich darin zu bewegen. Sie mochte wohl fühlen, wie wenig sie überhaupt in diesen glänzenden Kreis paßte, und das verschüchterte sie noch mehr. Verlegen und ängstlich stand sie da und wagte kaum die Augen aufzuschlagen.

„Nur diese lächerliche steife Haltung mußt Du ablegen,“ kritisirte Hertha. „Du verlernst es auf der einsamen Ebersburg noch völlig, Dich unter Menschen zu bewegen. Du siehst ja Niemand dort, als Deinen Vater und höchstens die Bauern des benachbarten Dorfes, wo Du die Messe hörst.“

Gerlinde schwieg und senkte das Köpfchen. Niemand? Sie dachte an deu jungen Gast, der in Sturm und Unwetter gekommen und im hellen Sonnenschein wieder gegangen war, aber sie hatte das bisher noch mit keiner Silbe erwähnt, obgleich es ein Ereigniß in ihrem einsamen Leben war. Eine unbewußte Scheu schloß ihr die Lippen, und heute hätte sie nun vollends nicht davon sprechen können. Die Erinnerung an den sonnigen Morgentraum auf den alten Burgtrümmern gehörte nicht vor das Ohr der jungen Dame, welche die Jugendfreundin mit so kühler Ueberlegenheit hofmeisterte.

Hertha hatte sich wieder umgewandt, sie streifte dabei das Tischchen, wo der Rosenstrauß lag, und dieser fiel zu Boden, ohne daß sie es beachtete; Gerlinde hob ihn auf.

„Danke!“ sagte Hertha gleichgültig, indem sie die Blumen wieder in Empfang nahm. Sie schienen nur lose zusammengefügt zu sein, denn eine der Rosen hatte sich aus dem Kreise ihrer Schwestern gelöst und lag grade zu den Füßen der jungen Gräfin, die mit einem eigenthümlich herben Ausdruck darauf nieder schaute. Vielleicht kam ihr die Erinnernng an jenen Abend, wo auch solch eine duftende, halb erschlossene Knospe ihrer Hand entfallen war, um wenige Minuten darauf zu sterben unter einem eisernen Tritt, der sie zermalmte.

„Laß das!“ wehrte sie heftig, als Gerlinde sich von Neuem bücken wollte. „Was liegt denn an der einzelnen Rose, ich habe ja genug davon.“

„Es ist aber ein Geschenk Deines Bräutigams,“ bemerkte das junge Mädchen.

„Nun ja, ich werde es auch am heutigen Abend tragen, mehr kann Raoul doch nicht verlangen. Wenn nur erst die Ceremonie des Glückwünschens vorüber wäre! Es ist tödlich langweilig, von Jedem dasselbe zu hören und all diesen banalen Redensarten Stand halten zu müssen. Ich bin heute gar nicht in der Stimmung dazu.“

Die Worte klangen sehr ungeduldig und es lag auch eine nervöse Ungeduld in der Art, mit der sie jetzt im Zimmer auf und ab zu schreiten begann. Gerlindens Augen folgten erstaunt der stolzen, königlichen Erscheinung, der die schwere Atlasschleppe rauschend nachfolgte: sie begriff nicht, daß eine Braut an ihrem Verlobungstage nicht in der Stimmung sein könne, Glückwünsche zu empfangen, und mit naiver Verwunderung fragte sie: „Hast Du denn den Grafeu Raoul nicht lieb?“

Hertha blieb plötzlich stehen.

„Seltsame Frage, wie kommst Du darauf? Gewiß habe ich ihn lieb, wir sind ja für einander erzogen worden, ich wußte ja schon in meinen Kinderjahren, daß er mir zum Gemahl bestimmt war. Er ist schön, ritterlich, liebenswürdig, mir gleich an Namen und Geschlecht, weßhalb soll ich ihn denn nicht lieben? Du glaubst Wohl, es müsse bei einer Vermählung noch heute so romantisch zugehen wie in Deinen alten Chronikbüchern, wo immer erst um die Braut gekämpft und gestritten wird? Du hast uns ja gestern erst eine derartige Geschichte erzählt von einer Gertrudis –“

„Gertrudis von Eberstein und Dietrich Fernbacher,“ fiel Gerlinde schleunigst ein, als habe sie mit dem Namen ein Stichwort erhalten. „Aber sie durfte ihn nicht ehelichen, dieweil er nicht ritterlicher Abkunft, sondern nur der Sohn eines Kaufherrn war.“

„Sie durfte nicht?“ fragte Hertha, den Kopf aufwerfend. „Sie wollte vielleicht auch nicht, es widerstrebte ihr wahrscheinlich, den alten, edlen Namen ihres Geschlechtes gegen den einer reichgewordenen Krämerfamilie umzutauschen. Begreifst Du das nicht, Gerlinde? Was würdest Du thun, wenn Du zum Beispiel einen Bürgerlichen liebtest?“

„Das wäre schrecklich!“ sagte das kleine Burgfräulein, mit dem ganzen Entsetzen eines Sprößlings aus dem zehnten Jahrhundert, setzte aber dann mit voller Ueberzeugung hinzu:

„Mein Papa sagt, das dürfe nicht vorkommen.“

„Es ist aber doch vorgekommen, sogar in Eurem eigenen Geschlechte. Wie endete denn die Sache eigentlich, hat Deine Ahnfrau auf ihren Dietrich verzichtet?“

Die arme Gerlinde merkte es in der That nicht, daß sie während der ganzen Zeit ihres Hierseins nur das Stichblatt für den Spott Raoul’s und Hertha’s gewesen war, die sie bei jeder Gelegenheit veranlaßten, sich lächerlich zu machen. Sie wollte sich so gern dankbar zeigen für die gespendete Gastfreundschaft und glaubte in aller Unschuld und Harmlosigkeit, man interessire sich in Steinrück wirklich für die Geschichten, die ihr so unendlich wichtig erschienen. So faltete sie denn auch jetzt ernsthaft die Hände und begann wieder in der gewohnten Art einen Abschnitt ihrer Hauschronik herzubeten, der aber diesmal nicht mit einer fröhlichen Hochzeit endete wie bei Kunrad von Eberstein und Hildegund von Ortenau, sondern mit einer Trennung. Die Geschichte war sehr lang, und die Ritternamen und Jahreszahlen, die Raoul so haarsträubend fand, kamen wieder in unendlicher Menge vor, aber die junge Gräfin schien heute ihre Spottlust verloren zu haben. Sie war an das Fenster getreten und blickte unverwandt und regungslos hinaus, bis Gerlinde schloß:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_610.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)