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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

einen freundlicheren Ausdruck zu haben schien, wenigstens jetzt hatte, als er mir lächelnd die Hand reichte, hinzufügend: „Jedenfalls bin ich mir keiner Schuld bewußt.“

„Die ich dann nicht ohne weiteres auf einen Anderen schieben würde,“ sagte Ellinor.

Ich wandte mich abermals und verbeugte mich vor der jungen Dame, die ich ebenfalls heute Abend noch nicht gesehen hatte und – ganz in der alten Zauberweise – noch nie so schön gesehen zu haben glaubte, als wie sie jetzt herantrat, ein lebhafteres Roth als sonst auf den zarten Wangen, während die dunklen Augen den fast in heftigem Tone gesagten Worten einen Blitz nachsandten, vor dessen Wirkung den jungen Kriegsmann selbst das Eiserne Kreuz nicht schützte. Ich sah deutlich, wie er sich verfärbte, wenn er auch sein Lächeln festhielt und im höflichsten Tone sagte: „Verzeihe! die Großtante hatte mich provocirt.“

„Macht das unter Euch ab!“ rief die alte Dame; „ich habe mehr zu thun, als Eure tausend und eine Häkeleien zu schlichten.“

Zum Glück für mich kamen andere Gäste, welche empfangen sein wollten und mir erlaubten, mich wieder zu Ulrich zu wenden, den ich bat, mich ein wenig in der Gesellschaft zu orientiren, vor allem mich zu seinen Eltern zu bringen.

Wir fanden dieselben in einem anderen Zimmer zusammen mit Fräulein Drechsler. Herr von Vogtriz schien wirklich erfreut mich zu sehen; wenigstens reichte er mir lebhaft die Hand, welche nicht annähernd mehr die derbe Festigkeit von ehemals hatte, wie denn auch der breite rothblonde Bart inzwischen stark angegraut war. Auch Frau von Vogtriz ließ es an Freundlichkeit nicht fehlen; ich aber hatte nicht die Ueberzeugung, daß sie ohne die leisen Zuflüsterungen der Drechsler sich meiner noch erinnert haben würde. Desto genauer war die Erinnerung der Gouvernante: ich sah noch genau so aus, wie an jenem Morgen, als ich die Familie in die Kirche zu der Predigt von Pastor Renner nicht begleiten konnte oder – wollte? Das sei ihr entfallen. Sie vermuthe das Letztere. Wenigstens erinnere sie sich, daß die gnädige Frau sehr unglücklich über mein Wegbleiben gewesen sei.

„Sie erlauben, Drechslerchen, daß ich Ihnen für diese gefällige Reminiscenz gelegentlich einmal einen Gefallen erweise, den Sie auch nicht so leicht vergessen sollen,“ sagte Ulrich, mich am Arm nehmend und weiter gehend.

„Die Sache ist,“ sagte er, „die alte Spinne hat als langjährige ehemalige Duenna Ellinor’s und designirte Major-Domus des zukünftigen ehelichen Haushaltes das intimste Interesse an dem Zustandekommen der Verbindung und sieht in Dir den geborenen Störenfried desselben. Sie behauptet, Du seiest damals sterblich verliebt in Ellinor gewesen, und darin läge die Erklärung der Extravaganzen Deines Betragens, auf welche anzuspielen sie sich vorhin erlaubte. Das wäre nun nicht schlimm. Aber sie hat in meiner Gegenwart Ellinor ins Gesicht gesagt, daß sie – erschrick nicht! ,sie' ist natürlich Ellinor, nicht etwa die Drechsler! – Gleiches mit Gleichem vergolten, das heißt: sich nicht minder sterblich in Dich verliebt gehabt und sich in Folge dessen nach Deiner Flucht passabel unsinnig und besonders gegen Astolf, milde ausgedrückt, sehr unfreundlich betragen habe. Das Letztere kann ich bestätigen; ich leugne nur die Veranlassung, es wäre denn, daß eine schöne Fischerin es nun einmal übelnimmt und Andere entgelten läßt, wenn ihr ein besonders stattlicher Fisch durch die Maschen geht. Aber weißt Du denn, wer das ist?“

Ulrich winkte mit den Augen nach einem mittelgroßen, etwas beleibten Herrn, der ein langes, ziemlich stark ergrautes Haar aus dem glatt rasirten Gesicht nach hinten über den Schädel gestrichen hatte und jetzt, nach rechts und links lächelnd, mit der Hand grüßend, so rasch durch die Gesellschaft geschritten kam, daß das Eiserne Kreuz, welches er am Friedensbande im Knopfloch seines Frackes trug, hin-, und hergeschaukelt wurde.

„Pastor Renner!“

So leise mein verwunderter Ausruf gewesen, er mußte denselben gehört haben, aber er erkannte mich offenbar nicht wieder, sondern lächelte nur und schritt, freundlich mit dem Kopf nickend, unaufhaltsam weiter.

„Lieber Udo, lieber Hinrich, wollt Ihr erlauben –“ rief Ulrich und stellte mich zwei Herren, seinen Vettern, vor, die ein paar Jahre älter sein mochten als wir – der eine, wie ich hörte, bereits seit längerer Zeit Assessor, der andere erst seit einem Vierteljahr – und auf die, wenn sie denn schon Vogtriz waren, der Ausspruch Ulrich’s, daß die Mitglieder dieser Familie entweder auffallend schön oder auffallend häßlich seien, zweifellos nicht zutraf: ganz gewöhnliche blonde Dutzendgesichter, die sich durch ein paar Schmarren, aber auch sonst durch gar nichts als Leute, welche studirt hatten, auswiesen, mit kurzgeschorenen glatten Haaren, goldenen Kneifern auf den Nasen und einem zugleich faden und arroganten Lächeln auf den mit einem hellen ausgezogenen Bärtchen verzierten Durchschnittsmündern. Ihre erste Frage war, in welchem Korps ich gewesen? und die zweite: ob ich gedient habe und in welchem Regimente? Ulrich’s Antwort, daß ich durch seine Schuld um beide Vergnügungen gekommen sei, entlockte den Herren einige unsichere Ah’s und Oh’s, wie sie denn auch sonst augenscheinlich mit mir nichts anzufangen wußten und erst lebendiger wurden, als Axel von Blewitz zu der kleinen Gruppe herantrat – ganz der alte Axel, wie er noch so frisch in meiner Erinnerung lebte: lang, dürr, mit dem heiser krähenden Sümmchen in der langen Kehle und dem Monocle in dem blaßblauen Auge. Er war glücklich, mich wiederzusehen; er hatte sich bei aller Welt nach mir erkundigt – wa'rhaftig! hundertmal hatte er gesagt: aber wo steckt denn nur der Herr Lorenz – wah’haftig! noch heute Vormittag bei Hiller zu Renten. „Sie können’s mir bezeugen, Renten, wah’haftig!“

Es war eine seltsame Empfindung, als ich in diesem Augenblick meinen puppenäugigen Mentor vom herzoglichen Hofe auf mich zutreten sah, glücklicherweise für mich nicht ganz unerwartet – hatte doch Ulrich bei seinem Besuche von ihm als einem der Kourmacher Ellinor’s und Ellinor selbst von ihm in derselben Eigenschaft gesprochen. Jedenfalls war er durchaus auf mein Wiedersehen vorbereitet, oder der Diplomat, auf den er sich damals schon so gern herausspielte, zum vollen Durchbruch gekommen, wie sich das für den goldenen Kammerherrnknopf schickte, der die Rückseite seines Frackes zierte. Von den Umstehenden hätte wohl keiner, der nicht bereits eingeweiht worden war, aus seinem Wortschwall die Beziehungen errathen, in denen ich zu dem herzoglichen Hofe gestanden haben mochte. Es schien, daß ich mich eine unbestimmte Zeit in einer unbestimmten Eigenschaft zu einem unbestimmten Zweck dort aufgehalten, um dann aus einem unbestimmten Grunde unbestimmte Verhältnisse, die ich dort angeknüpft, aufzugeben. Unbestimmte, aber sehr angenehme Verhältnisse! das sagten die blauen Puppenaugen, die während der ganzen Scene so achtungsvoll zu mir aufblickten; sagte das Lächeln, das fortwährend den kleinen Mund mit dem blonden gekräuselten Bärtchen und den weißen Zähnen (den berühmten Renten-Zähnen) umspielte; sagten die hellen Glacehandschuhe, welche wiederholt meine Hände so freundschaftlich drückten. Es war gewiß nicht die Schuld des Mannes, daß ich es als eine Erlösung ansah, als plötzlich Ellinor in den Kreis, welcher sich immer dichter um uns geschart hatte, hereintrat und mich bat, ihr zu einem alten Freunde zu folgen, von dem ich sehnlich erwartet würde.

„Es ist der Kammerherr,“ sagte sie zu mir, während ich so neben ihr her schritt; „er ist eben gekommen und hat sich nur bis ins erste Zimmer bringen lassen. Er fürchtet, daß er später keine Gelegenheit haben würde, mit Ihnen zu sprechen; und doch ist er bloß um Ihrethalben gekommen.“

Sie hatte das hastig gesagt, in einem unsicheren und, wie mir schien, eigenthümlich erregten Tone. Auch ließ sie mir keine Zeit zu einer Antwort, sondern fuhr ebenso fort: „Werden Sie gegen ihn unfreundlich sein, wie gegen –“

Sie brach ab, die Begrüßungen von ein paar Herren entgegenzunehmen, die eben eintraten. Ich wußte nicht, ob ich weiter gehen oder auf sie warten sollte; aber nach wenigen Sekunden war sie bereits wieder an meiner Seite.

„Wie gegen wen?“ fragte ich.

„Gegen mich zum Beispiel.“

„Also auch gegen Andere?“

„Gegen uns Alle.“

„Ich hoffe, Sie thun mir Unrecht, gnädiges Fräulein. Wäre es nicht der Fall, würde ich in sonderbarer Weise die Absicht verfehlt haben, in der ich hierhergekommen bin.“

„Ich weiß! Der Papa hat der Großtante ausführlich geschrieben; und daß wir Ihr Erscheinen, da Sie sein volles Vertrauen hätten, ansehen möchten wie sein eigenes. Ich wundere mich nur, daß Sie, gerade Sie sich zu einer solchen Mission hergeben.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_622.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2018)