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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

zum Fackelzug, den die gesammte Studentenschaft dem Rector magnificentissimus darbrachte.

Abends neun Uhr fuhren Kronprinz, Großherzog und Familie zum festlich geschmückten Rathhaus, um den 3000 Fackeln zählenden, von vielen Musikkorps begleiteten Zug an sich vorüberziehen zu lassen. Großartig war der Lichteffekt. Der Großherzog brachte, als die Studentendeputationen vor ihm aufzogen, mit weithinschallender Stimme ein zündendes, von donnerndem Applaus begleitetes Hoch auf den Kronprinzen als den Vertreter des Kaisers. Ueber eine Stunde lang zogen immer neue farben- und nicht farbentragende Korporationen mit Hurrah und Vivat vorüber. Die ersten Fackelträger waren schon am Ort ihrer Bestimmung angelangt, als die letzten, den Neckar mit rothem Flammenschein beleuchtend, erst längs der Neuenheimer Seite von Handschuchsheim her der alten Brücke zu zogen. –

Am nächsten Tage, dem 5. August erfolgte Morgens um 9 Uhr die ernste Feier der Ehrenpromotion in der Heiliggeistkirche, bei der außer vielen verdienstvollen Männern der Wissenschaft der Großherzog den theologischen, der Erbgroßherzog den juristischen, Minister Turban den philosophischen und Exminister Jolly den medicinischen Ehrendoktor erhielten. Die Dekane der vier Fakultäten motivirten jede einzelne Ernennung in feierlichen Ansprachen. Der Großherzog wohnte der Feier bei, und der Prorektor Geheimrath Becker, in der vom Großherzog gestifteten Prorektorenkette von schwerem Gold erscheinend, redete der Jugend gewaltig ins Gewissen. „Wir Alten,“ meinte er, „leisten eben, was wir noch können, aber an Euch Jüngeren ist es, auf unseren Schultern weiter zu steigen.“

Endlich erschien der Freitag, von soviel Zehntausenden mit Sehnsucht erwartet, der Tag des Festzuges, der zwei Jahre lang den Gesprächsstoff innerhalb und außerhalb von Heidelberg gebildet, auf den hin einundeinhalb Jahr lang angestrengt war gearbeitet worden, für den viele Künstler, von Gelehrten unterstützt, Pläne entworfen, für den die Bahnlinien Süddeutschlands eine fieberhafte Thätigkeit entfalteten, die Stadt Heidelberg ihre Physiognomie durch Errichtnng unzähliger Tribünen auf freien Plätzen, in Gärten, Thorbogen, Thüren, Mauern etc. bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatte.

Wagen der Ruperta Carola.

Ein herrliches Wetter hatte eine zahllose Menge von Zuschauern herbeigelockt, die gleichwohl wegen der Masse von Tribünen und der Besetzung der Häuser längs der ausgedehnten Zuglinie kein Gedränge auf den durch Seile abgesperrten Straßen verursachten.

Nach 9 Uhr verläßt der Großherzog mit seiner Familie in langer prächtiger Kavalkade, von den Adjutanten, Hofchargen, Ministern und Spitzen der hiesigen Behörden geleitet, das Palais und fährt zu der für ihn errichteten Fürstenloge, die reichgeschmückt, mit Fenstern und wohnlichem Gemach versehen, dem Landesherrn und seiner Umgebung bequemen Aufenthalt bietet und durch Aufstellung von Blattpflanzen verschiedenster Art wie eine Oase aus der Bretterwüste der Tribünen hervorleuchtet. Der Fürst wird mit donnerndem Hurrah begrüßt, tritt in die Loge und unterhält sich mit den von ihm geladenen Gästen.

Endlich geht ein Brausen durch die Menge, helle Fanfaren ertönen und der Festzug, in der von Hoff und Kley entworfenen Ordnung, geht dem Auge vorüber.

Unmöglich ist es, die gehobene Stimmung zu schildern, in die jeder Beschauer versetzt wird.

In diesem großartigen Aufzug ist nichts von dem Geflirr und Flitterwerk, von dem Firlefanz und falschen Gepränge einer Fastnachtsaufführung. Alles ist echt, gediegen, edel in Stoff, Farbe und Form. Die Täuschung ist eine vollkommene und – was das Merkwürdigste ist – eine Täuschung löst immer die andere ab. Von einer Geschichtsperiode gerathen wir in die andere, Alles mitdurchlebend, Alles mitfühlend. Kindlich fromm angehaucht sind wir mit dem Zeitalter Ruprecht’s, kriegerisch kühn mit dem Sieger von Seckenheim, tiefster Weisheit theilhaft mit Otto Heinrich, von Hoheit, Glanz und Pracht geblendet mit Friedrich V., niedergebeugt mit den Perioden des Dreißigjährigen und des Orleans’schen Krieges. Das tändelnde Hofleben des 18. Jahrhunderts erfaßt uns mit Karl Philipp, gewinnt sinnlich bestrickende Gewalt über uns mit Karl Theodor, im Kontrast dazu fühlen wir uns zu erneutem Aufschwung emporgehoben mit Karl Friedrich und mit den schönsten Hoffnungen für die Zukunft erfüllt bei dem farbenfrischen Aufzug der modernen Studentenschaft. Dazwischen hingestreut ist so manche herrliche Gestalt, so manche gebietende Persönlichkeit, so manche herzgewinnende weibliche Figur, so manche lusterweckende, echt pfälzische Erscheinung.

Doch was vermögen alle, auch die begeistertsten Worte gegen die lebendige Anschauung und Darstellung? Diese Nonnen, diese Krieger, diese Fürsten, diese Damen des Hofes, diese Pagen, diese Pferde mit ihren abwechselungsreichen Sätteln und bunten Schabracken, diese Wagen mit ihrem herrlichen Zierat, ihren lebendigen und allegorischen Figuren, ein Künstler muß sie Dir zeichnen, zeigen in ihrer harmonischen Anordnung, ihrer naturwahren Haltung, ihrem Zusammenwirken zu der Idee des Ganzen, und erst dann hast Du den vollen Genuß des Festzuges. – Und so führt Dir denn unser Künstler vors Auge zwei herrliche Gruppen: „Die Pflege der Kunst und Wissenschaft durch Kurfürst Otto Heinrich“ und den „Wagen der Ruperto Carola“. Die erste (vgl. S. 621), welche die Glanzzeit Heidelbergs unter dem ruhmvollen Förderer von Wissenschaft und Kunst darstellen soll, eröffnen berittene Bannerträger und Herolde, dann folgt der Kurfürst mit der Pfalzgräfin, von glänzendem Hofstaat umgeben; hinter diesem der einfache Wagen der Universität von Studenten umgeben, und zum Schluß Bürger Heidelbergs mit dem Bauwagen, auf welchem Werk- und Zimmerleute ein emsiges Treiben entwickeln. Vor der anderen Gruppe, dem Wagen der Ruperto Carola, zieht ein Ritter, zwei Pferdeführer folgen, rechts und links gewahrt man Scholaren. Die Pietas und die Sapientia sehen dem Beschauer entgegen, Justitia und Veritas sind ihm abgekehrt. Der Wagen ist mit einem Baldachin geschmückt und mit gothischen Zieraten aufs Reichste versehen. Hinter ihm gewahrt man Ritter, Studenten und den Schlußherold …

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_626.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)