Seite:Die Gartenlaube (1886) 629.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 36.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, was uns Beiden von Wichtigkeit ist,“ sagte Graf Steinrück nach Erledigung der dienstlichen Angelegenheiten. „Als wir uns das erste Mal sahen, waren Zeit und Ort nicht geeignet dazu; heute sind wir ungestört. Wollen Sie mich hören?“

„Zu Befehl, Excellenz,“ lautete die kurze Antwort Michael’s.

„Ihre Haltung bei jenem Zusammentreffen hat mir gezeigt, daß Sie die Beziehungen, die zwischen uns obwalten, in ihrem ganzen Umfange kennen, und wir werden uns wohl über die Auffassung derselben von beiden Seiten verständigen müssen.“

„Ich halte es nicht für nothwendig, daß dieser Punkt überhaupt zwischen uns erörtert wird,“ sagte Michael kalt.

Der General sandte ihm einen finsteren Blick zu; er hatte für gut befunden, eine eisig ablehnende Haltung anzunehmen, um jede etwaige Vertraulichkeit bei dieser Unterredung von vornherein auszuschließen, und begegnete nun genau derselben Haltung, die fast ebenso hochmüthig war wie die seinige – hier gab es nichts zurückzuweisen.

„Aber ich halte es für nothwendig, daß wir darüber ins Klare kommen,“ erwiderte er mit scharfer Betonung. „Sie sind der Sohn der Gräfin Louise Steinrück“ (er sagte nicht: meiner Tochter). „Ich kann das selbstverständlich weder ableugnen, noch Sie hindern, diese ganz legitime Abkunft geltend zu machen. Sie haben bisher darauf verzichtet, haben die Sache sogar als Geheimniß behandelt, und das läßt mich hoffen, daß Sie selbst die Unzuträglichkeit einer Veröffentlichung einsehen –“

„Die Sie fürchten!“ ergänzte Michael.

„Die mir zum Mindesten nicht erwünscht ist. Ich will ganz offen gegen Sie sein. Durch Oberst Reval werden Sie erfahren haben, daß kürzlich ein Familienfest in meinem Hause gefeiert worden ist: mein Enkel, Graf Raoul, hat sich mit der Gräfin Hertha Steinrück verlobt, die Ihnen ja wohl auch bekannt ist.“

In dem Gesichte des jungen Officiers zuckte etwas auf, freilich nur einen Moment lang, dann war es wieder verschwunden und er entgegnete anscheinend mit vollkommener Ruhe:

„Ich habe es allerdings gehört.“

„Nun wohl. Die Vermählung wird in Kurzem stattfinden, und das junge Brautpaar wird sich im Laufe dieses Winters dem Hofe und der Gesellschaft vorstellen. Diese Verbindung der beiden letzten Sprossen meines Geschlechtes legt mir doppelt die Pflicht auf, den Namen und das Wappen dieses Geschlechtes rein zu halten von jeder – Verdunkelung. Ich will Sie nicht

Aennchen. Nach dem Oelgemälde von Josef Ženišek.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_629.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)