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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

niemals ein neugieriger Tourist daran, das Ammerthal bis zu den Quellen seines Flüßchens hinauf zu durchwandern; die Reisehandbücher schwiegen es todt; nur ein Verirrter mochte ab und zu im Jagdhaus Linderhof ein Unterkommen finden.

Felsgekrönte Berge, der Brunnenkopf und Scheinberg, die Klammspitze und die Geierköpfe umschließen das Thal, dessen nördlicher Vorbau in den scheinbar endlosen Waldeinöden der „Halbammer“ sich nach dem Flachlande zu senkt. Wer in diesen Waldeinöden den Pfad verlor, dem kann es wohl begegnen, daß er tagelang im hochstämmigen Fichtenwalde umherirrt, bis er endlich wieder an eine Holzknechthütte kommt, von welcher ihm eine rauhe Stimme den Weg weist, auf dem er nach Stunden wieder den ersten Kirchthurm erblickt. So einsam ist die Umgebung von Schloß Linderhof, welches in der „Gartenlaube“ (S. 104) schon früher, als der Schleier des Geheimnisses noch über den Schlössern König Ludwig’s lag, geschildert wurde.

Jene interessanten Mittheilungen vervollständigen wir heute durch die trefflichen Ansichten der einzelnen Bauten. Auf dem Breling’schen Gruppenbilde erblicken wir zunächst in der Mitte den Eingang und die Vorderfaçade des Schlosses, vor welchem der berühmte Rokokowagen hält; nur einmal wurde er benutzt, als die Prinzessin Gisela nach der Hochzeit ihren Einzug in München hielt. Links oben steht der kleine Venustempel mit der reizenden, von Hautmann in München modellirten Bildsäule der Göttin, rechts der marokkanische Kiosk, welchen der König auf der Pariser Weltausstellung gekauft hatte. Unten die vielgenannte blaue Grotte, deren nähere Beschreibung wir uns für den letzten Artikel vorbehalten.

Inneres der Hundinghütte im Ammerwald.
Originalzeichnung von Robert Aßmus.

Die übrigen Bauten, welche zu Schloß Linderhof gehören, liegen zerstreut in der Umgebung, stellenweise sogar, wie der „Hubertuspavillon“, auf österreichischem Boden. Auch die „Hundinghütte“ ist weit vom Schlosse entfernt; etwa anderthalb Stunden, hart an der tiroler Grenze in tiefer Waldesnacht. Sie ist ein mäßig großer Bau aus rohen Baumstämmen und spiegelt sich in einem kleinen dunklen Waldsee, auf welchem ein uralter morscher Nachen, aus einem einzigen Stamm gezimmert, schwimmt. In diesem Fahrzeuge pflegte der König, wenn er die Hütte besuchte, über den Waldweiher zu rudern. Dunkelbraun vor Alter sind die Holzwände der Hundinghütte; hellschimmernd heben sich davon die als Thüreinfassungen und Wandstützen angebrachten Birkenwände ab, auch die Fenster sind mit Birkenästen umrahmt. Ein großer Schwan, aus rohen Aesten zusammengestellt, dient der Außenwand als Zierat. Tritt man in den Innenraum, so fällt der Blick zunächst auf den Stamm eines riesigen Baumes, um welchen die Hütte erbaut ist. In diesem steckt ein Schwert, eine Erinnerung an das berühmte Hundingschwert der nordischen Sage.

Eine Hängematte mit roher Malerei hängt vom Dachstuhl nieder; die Zimmerung der Wände ist mit Auerochsenköpfen und geweihtragenden Hirschschädeln geschmückt; auch mit Trophäen aus Beilen, Jagdspeeren und Trinkhörnern.

Ueber den Boden ist eine breit geflochtene Bastdeckc gelegt. Inmitten der Hütte ist die Feuerstätte, über welcher an eiserner Kette ein rußiger Kessel hängt; der Tisch besteht aus einer unförmigen von knorrigen Wurzeln getragenen Holzplatte; als Stuhl davor ein abgesägter Baumstumpf. Die Leuchter sind aus Wurzeln zusammengestellt, der Kronleuchter über dem Tische ist der Schädel eines Hirsches mit vielfach verschlungenem Geweih, an eisernen Ketten hängend. Statt der Tapeten hängen Fischernetze an der Wand. Zu beiden Seiten des Hauptraumes finden sich kleinere Nebenränme, in dem einen derselben uralte Majoliken, auch Gläser und Teller für den Gebrauch des Königs; der andere dient als Schlafgemach.

Die ganze Hütte ist bis auf die kleinste Einzelheit als das Bild einer uralten Jäger- und Fischerhütte mit vollendetem künstlerischen Geschmacke durchgearbeitet. Wer sie betritt, den umfangen Eindrücke und Gestalten, die in graue Vorzeit zurückreichen, in eine Zeit, von welcher uns noch keine Geschichte meldet, sondern nur schwankende Sage. – Hier saß der König bei seinen Ausflügen vom Linderhofe aus in mancher Nacht, einsam mit seinen Gedanken, mit diesen Erinnerungen der Vorzeit und mit der schweigenden Hochgebirgsnatur, durch welche nur hier und da der Schrei eines Hirsches oder eines Nachtvogels scholl. Unfern der Hundinghütte, vielleicht tausend Schritte, liegt die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_634.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)