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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Kuß auf Lippen, Stirn und Augen, schob mich auf Armeslänge von sich, mich mit strahlenden Augen betrachtend, während die feinen Nasenflügel in triumphirender Lust bebten; preßte mich wieder an ihren Busen und begann, mich loslassend, meine Kleider zu ordnen mit weiblicher Geschicklichkeit, mütterlich und doch mit zierlicher Sorgfalt, wie ein Mädchen, das den Geliebten zu einem Fest herausputzt. Ich ließ es ruhig geschehen; es dünkte mich so süß. War es doch meines Wissens das erste Mal, daß diese schlanken weißen Hände sich um mich mühten!

Dann saß ich ihr wieder gegenüber. Und nun, da der Sturm der Leidenschaft sich gelegt, wollte es doch wie ein befangenes Schweigen über uns kommen. Die Mutter hatte das Medaillon betrachtet; jetzt schloß sie es wieder, legte es neben sich auf ein Tischchen und sagte:

„Du darfst es nicht mehr tragen. Jch könnte es nicht an Deinem Halse wissen, ohne der fürchterlichen Stunde zu gedenken, da ich es von ihm zurückforderte, immer noch hoffend, er werde es nicht übers Herz bringen, von dem Bilde zu lassen und von mir, und er von beiden ließ, ohne mit der Wimper zu zucken.“

Es war ein anderer Ton, in welchem sie das gesagt hatte, und ihre Züge hatten einen anderen Ausdruck angenommen, der mir weh that.

„Mutter,“ bat ich, „laß das! Laß das Vergangene vergangen sein! Du sagtest vorhin: das Andere wird sich zudrängen. Wie sollte es nicht, wenn Du es selbst heraufbeschwörst?“

Traubenhändler.
Nach dem Oelgemälde von Viktor Tobler.

„Es ist doch nicht abzuweisen,“ erwiderte sie. „Wir müssen abrechnen zwischen uns und ihm. Und wäre es nicht mein Traum aller dieser Jahre gewesen und – ich will es und muß es gestehen – die Absicht, die mich hierher geführt hat, nun, da der Augenblick gekommen schien, das heiß Ersehnte endlich ins Werk zu setzen – jetzt müßte ich es thun. Du solltest mein Werkzeug sein; mein Genoß in der Rache, wie Du es im Leide gewesen bist. Das Leid, das er über uns verhängt, haben wir jeder für sich tragen müssen; die Rache soll uns beisammen finden.“

„Mutter,“ rief ich entsetzt, „was hast Du vor?“

„Das,“ erwiderte sie, „was ich schon vor fünf Jahren versucht haben würde, als ich erfuhr, daß Du Kraft und Muth genug besaßest, Dich aus seinen Schlingen zu befreien, ob er Dich gleich so gern gehalten hätte. Aber Du warst verschwunden und bliebst verschwunden, trotzdem die Gräfin Gernrode unter der Hand die sorgfältigsten Recherchen nach Dir anstellte. Du wirst die alte Dame kaum beachtet haben. Sie war vom ersten Augenblick an meine wahre und auch einzige Freundin am Hofe bis zum letzten; ich durfte von Amerika aus mich vertrauensvoll an ihre Güte wenden. So erfuhr ich von ihr Alles, was da vorging und zumal Dich betraf; sie hat oft auf dem Punkt gestanden, sich Dir als Freundin Deiner Mutter zu entdecken; aber sie fürchtete und mußte ja fürchten, daß sie sich damit Dir nicht empfehlen würde; auch glaubte sie Dich anfangs unlösbar in den Banden des Herzogs; hernach, bei der Plötzlichkeit Deines Bruches mit ihm, war es zu spät, das Versäumte nachzuholen. Du bliebst also verschwunden, bis er – er selbst – mir Deinen Aufenthalt hier entdeckte. Er wußte auch, wie Du inzwischen gelebt – aus den Berichten jenes Schurken Weißfisch. Er schrieb mir aber dies Alles, um mir ans Herz zu legen, was ich an Dir verloren; um, wie er sich ausdrückte, Dir meine Liebe zu erobern, die Du in so hohem Maße verdientest. Und dies Alles wieder zu welchem Zweck? Lothar, ahnst Du es nicht? – die Herzogin kämpfte seit Wochen mit dem Tode – ahnst Du es nicht?“

Meine Augen hingen starr an ihr. Mein Gott, war das die holdselige Frau, die Liebe heischende, Liebe schier im Uebermaß spendende Mutter?

Sie, die mit unter dem Busen dicht verschränkten Armen, in ihren Fauteuil zurückgelehnt, die dunklen Brauen fast zusammengezogen über den blitzenden Augen, mich ihrerseits anstarrte – schön, hinreißend schön noch immer, aber jetzt mit der tödlichen Schönheit der Medusa?

„Ja, ja,“ rief ich; „aber das kann ja nicht sein. Eben der Mensch, der Weißfisch, hat mir ja erzählt, daß Dir der Herzog schon damals den Antrag machte, Alles aufbot, Dich zu bestimmen, Du selbst möchtest mich ihm zuführen, ihm nur noch einmal die Gunst gewähren, Dich zu sehen. Und Du hast es von Dir gewiesen; und ich habe Dir, als ich es – erst jetzt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_641.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2024)