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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Ich gestehe Ihnen offen, daß diese Leistung des Herrn Wehlau mich überrascht hat,“ sagte sie halblaut. „Wir kannten sein Talent bisher nur von der liebenswürdigen, aber oberflächlichen Seite; die Skizzen und Karikaturen, die er damals im Bade zeichnete, sprühten von Uebermuth, wie er selbst. Ich hätte ihm nicht die Kraft und Energie zugetraut, die sich in diesem Werke ausspricht.“

„Und er hat es doch beinahe spielend hingeworfen,“ entgegnete Rodenberg. „Hans ist eine jener glücklichen Naturen, die Alles, selbst das Höchste, fast ohne Mühe erreichen. Zu allen den äußeren und inneren Gaben hat ihm ein gütiges Geschick nun auch noch dieses Talent in die Wiege gelegt, das ihn weit über das Alltagsleben hinaushebt.“

„Ein gütiges Geschick, gewiß! Beneiden Sie Ihren Freund um diese Gaben?“

„Nein, ich wüßte sie vielleicht nicht einmal ganz zu schätzen, denn für mich hat nur das Erkämpfte, Eroberte den vollen Werth. Hans mit seinem ewig heiteren, sonnigen Charakter ist so recht für das Glück und den Genuß des Lebens geschaffen: ich bin mehr auf den Sturm und Kampf dieses Lebens gestellt – Jedem das Seine!“

Hertha blickte auf das Gemälde, das auch eine Scene von Sturm und Kampf darstellte. Sie wußte es, daß der Mann da neben ihr kämpfen konnte, nicht bloß gegen einen äußeren Feind, auch gegen sich selbst, wenn es Noth that; sie hatte es ja gesehen, wie jede Fiber an ihm bebte in stürmischer Leidenschaft, und jetzt stand er so ruhig und gelassen an ihrer Seite, und kein einziges jener verrätherischen Zeichen, die sie nur zu gut kannte, strafte diese Ruhe Lügen. Ihre unmittelbare Nähe schien gar keine Wirkung mehr auf ihn auszuüben.

„Wählen Sie den Kampf aus Neigung?“ fragte sie, halb spottend. „Ich glaube, Sie sind sehr ehrgeizig, Hauptmann Rodenberg “

„Vielleicht! Zum Mindesten will ich empor, und wer nicht gleich im Anfange das höchste Ziel im Auge hat, der wird es nie erreichen. Ich werde freilich nicht so von den Verhältnissen gehoben und getragen wie Hans, aber es ist auch etwas werth, ganz auf die eigene Kraft gestellt zu sein, hinauszutreten auf den Plan mit dem Bewußtsein: Du hast Niemand als Dich selbst, aber Du gehörst auch Niemandem als Dir selber.“

So ruhig die Worte gesprochen wurden, sie hatten einen eisernen Klang, und sie wurden verstanden. Hertha schlug das Auge plötzlich auf und heftete es auf den Sprechenden, aber es blitzte wie Zorn in diesen schönen Augen.

„Und Sie glauben das durchführen zu können? Würde Ihnen der Ehrgeiz in der That Alles ersetzen?“

„Ja!“ sagte Michael kalt und fest. „Das Einzige, was ich mit hinausnehme in die Zukunft, ist die Dankbarkeit gegen den Mann, der mir ein zweiter Vater war, und die Freundschaft für seinen Sohn – in allem Uebrigen habe ich mir freie Bahn geschaffen.“

Die Lippen der jungen Gräfin zuckten, aber sie richtete sich mit ihrem ganzen Stolze empor.

„Dazu wünsche ich Jhnen Glück, Herr Hauptmann – Sie werden Karriere machen, daran zweifle ich nicht.“

Sie wandte ihm den Rücken und trat zu ihrer Mutter; aber während sie gleichfalls den Karton betrachtete und lebhaft und ausführlich mit dem jungen Maler darüber sprach, weilten ihre Gedanken immer noch bei jenem Gespräche. Deutlicher konnte man es ihr nicht sagen, daß man Sieger geblieben war, und die Ueberzeugung davon drängte sich ihr mit einer seltsamen, unerklärlichen Empfindung auf. Freilich, er wollte ja seine Liebe niederzwingen und vernichten – das schien ihm überraschend schnell gelungen zu sein!

Die Gräfin machte jetzt Anstalt aufzubrechen, und Michael verabschiedete sich von den Damen, die Hans bis zum Wagen begleitete. Als er zurückkam, hatte er nichts Eiligeres zu thun, als die „verfehlte Arbeit“ aus ihrem Versteck zu erlösen und sie mit der größten Sorgfalt in eine andere Mappe zu legen, die er verschloß.

„Das wäre eine schöne Geschichte gewesen, wenn die Gräfin das Bild entdeckt hätte,“ sagte er. „Sie würde sofort ihr Pathenkind erkannt haben, und mit der Herrlichkeit Hans Wehlau Wehlenberg’s auf Forschungstein wäre es aus gewesen. Er lebte fortan nicht mehr als ritterbürtig in den Erinnerungen der Ebersburg.“

„Wen stellt das Bild denn dar?“ fragte Michael, der wie in Gedanken verloren auf und nieder ging.

„Gerlinde von Eberstein. Ich habe sie aus der Erinnerung gezeichnet. Du weißt ja von meinem Abenteuer auf der Ebersburg und meiner Standeserhöhung. Es ist merkwürdig: ich kann die Erinnerung an das kleine Dornröschen nicht los werden, das mir so lächerlich und zugleich so lieblich erschien; es drängt sich zwischen mich und jede andere Gestalt. Sogar vorhin, in Gegenwart der schönen goldhaarigen Märchenfee, tauchte mir immer wieder das holde Gesichtchen mit den dunklen Augen auf, die so träumend in eine längst versunkene Welt schauen. Ich finde übrigens, daß mit Gräfin Hertha eine Veränderung vorgegangen ist, seit sie Braut ist. Seitdem umgiebt sie eine gewisse Gletscheratmosphäre, die gar nichts Bräutliches hat. Das ist das gewöhnliche Ergebniß solcher Konvenienzverbindungen, wo von einer etwaigen Neigung gar keine Rede ist. Auch Graf Raoul scheint nicht viel für seine schöne Verlobte zu fühlen, wenigstens treibt er es toller und wilder als je, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn er nicht in ganz anderen Banden läge.“

Michael blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.

„Jetzt schon? Im Angesichte seiner Braut – das wäre gemein!“

Hans sah verwundert auf bei dem dumpfen, drohenden Tone.

„Das klang ja förmlich tragisch. Kennst Dn denn überhaupt den jungen Grafen?“

„Ich sah ihn zuerst bei dem General, und seitdem sind wir noch verschiedene Male zusammengetroffen. Ich war aber genöthigt, ihm in der nachdrücklichsten Weise klar zu machen, daß er es mit einem Officier zu thun hat, der sich nöthigenfalls mit dem Degen in der Hand die Rücksicht erzwingt, die man ihm versagen möchte. Er scheint das auch endlich begriffen zu haben.“

In dem Auge des jungen Malers blitzte Etwas auf, und während er es scharf und fest auf seinen Freund heftete, nahm er, scheinbar ganz absichtslos, Pinsel und Palette wieder auf und begann von Neuem zu malen.

„Das wundert mich, Graf Raoul mag seinen Ahnenstolz besitzen, gewöhnlichen Standeshochmuth habe ich aber nie bei ihm bemerkt. Er muß irgend Etwas gegen Dich haben.“

„Oder ich gegen ihn? Ich glaube, wir wissen es Beide, wie wir mit einander stehen!“

„Aha, jetzt kommt es!“ murmelte Hans ganz leise, aber triumphirend, während er einen Pinselstrich nach dem anderen zog; dabei setzte er aber ruhig das Gespräch fort.

„Nun, ich habe den Grafen nur von der liebenswürdigen Seite kennen gelernt. Was aber seine Verlobung betrifft, so weiß man ja allgemein, daß sie einzig das Werk des Großvaters ist. Seine Excellenz befahlen, und der Enkel beugte sich dem allerhöchsten Willen.“

„Um so erbärmlicher!“ brauste Rodenberg auf. „Wer zwang ihn denn, zu gehorchen? Warum weigerte er sich nicht? Aber dieser vielgepriesene, geniale Steinrück mit all seiner Ritterlichkeit ist doch nur ein Feigling, wenn es sich um den moralischen Muth handelt!“

Es sprach ein so leidenschaftlicher, unbezähmbarer Haß aus den Worten, daß Hans aufhorchte. Aber mit dem ganzen Egoismus des Künstlers, der nur sein Werk im Auge hat und dem alles Andere daneben verschwindet, fragte und forschte er nicht, wie sein Freund zu dieser wilden Gereiztheit kam. Er sah ihn nur unverwandt an und zog dann wieder Strich auf Strich auf der Leinwand.

„Ich glaube, es wäre dem Grafen übel bekommen, wenn er einen Widerstand versucht hätte,“ warf er hin. „Der General soll in seinem Hause ebenso strenge Mannszucht halten wie unter seinen Soldaten und nicht den geringsten Widerspruch dulden. Du kennst ja Deinen eisernen Chef. Möchtest Du es versuchen, vor ihn hinzutreten und ihm ein offenes Nein zu sagen?“

„Ich habe ihm wohl noch mehr gesagt, als ein bloßes Nein.“

„Du – dem General?“

Hans war so erstaunt, daß er einen Augenblick die Arbeit ruhen ließ, Michael aber vergaß alle Vorsicht, er ließ sich von seiner Erregung fortreißen.

„Dem General Graf Steinrück – ja! Er wollte mich auch zwingen mit seinem Herrscherblick, er gebot mir auch Schweigen mit jenem Gebietertone, dem sich Alles beugt, aber ich schwieg nicht. Er sollte und mußte von meinen Lippen hören, was er wohl noch niemals in seinem Leben vernommen hat. Ich schleuderte es ihm rücksichtslos in das Antlitz, und er hat

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